September 2020 – Angelika Hoerle

Die avantgardistische Malerin Angelika Hoerle (1899-1923)

Angelika Hoerle, geborene Fick (20. November 1899) rückte lange nur über Bande, nämlich über ihre männlichen Mitkünstler, in den Fokus der Kunstgeschichte: den Bruder Wilhelm Fick, den Ehemann Heinrich Hoerle, die Freunde Jankel Adler, Max Ernst, Anton Räderscheidt, Franz Seiwert und viele andere. Ihre Kunstwerke galten lange als verschollen. Nur wenige Menschen, die sich mit der DADA-Szene und der jungen Kunstszene der Weimarer Republik befassten, kannten sie.

 Als die Kanadische Großnichte Angelika (!) Littlefield 1967 in Köln den Gartenschuppen ihres Vaters Willy Fick aufräumte, fand sie einen größeren Bilderbestand und nahm ihn in ihre Heimatstadt Toronto mit, ohne zu wissen, wer die Werke produziert hatte. Ein französischer Kunsthistoriker eröffnete Littlefield die Urheberin und ihren Kontext. Sie organisierte 90 Jahre nach dem Entstehen der Bilder eine erste Ausstellung in Ontario, die später auch in Köln zu sehen war. Erst mit diesen Ausstellungen erhielt die „Meisterin des Dada“, wie eine zeitgenössische Zeitung sie titulierte, wieder größere Aufmerksamkeit und wurde in die Kunstgeschichte eingeschrieben.

Angelika war Tochter des Möbelschreiners Richard A. M. Fick und der Anna Maria geb. Kraft. Sie hatte drei Geschwister (Maria, Richard und Willy) und lebte mit der kunstbegeisterten Familie in der Kölner Nordstadt – am Krefelder Wall 16. In der Familie wurde musiziert und politisch diskutiert. Der Vater war SPD-Anhänger, die Mutter repräsentierte zwar das traditionelle Rollenbild mit Haushalt und Kindererziehung, konnte sich aber „durchaus über manch soziale Ungerechtigkeit [ereifern] und lud daher samt Ehemann Richard kontinuierlich zu gewerkschaftlich inspirierten Diskussionsabenden ins bescheiden möblierte Eigenheim. “ (zit. nach Fembio.)

Bei den Kindern stand bald die Bildende Kunst im Fokus: Die Malerinnen Olga Oppenheimer und Emmy Worringer hatten 1911 mit dem Gereonsclub in der Gereonstraße einen avantgardistischen Kunstraum geschaffen, in dem Franz Marc, Paul Klee, Robert Delauny und die Gastgerinnen selbst ausstellten. Ein international rezipiertes Großereignis war die Sonderbund-Ausstellung von 1912. Auch das mit dem bürgerlichen Stadverband Kölner Frauenvereine geschaffene „Haus der Frau“ auf der Werkbund-Ausstellung von 1914 imponierter ihr, nicht zuletzt die Skulpturen der Bildhauerin Milly Seeger. Diese Kunsterlebnisse bewirkten, dass die zwölfjährige „schöne, großgewachsene Tochter“ beschloss, Künstlerin zu werden. (Fembio)

Mädchen wurden jedoch noch nicht zu Kunstakademien zugelassen. Der Berufswunsch der Tochter, dem sie an Privatschulen hätte folgen können, wurde boykottiert. So wählte sie nach der Schulzeit 1915 den Beruf als Modistin, wo sie kunsthandwerklich kreativ sein konnte. Marta Hegemann, eine fünf Jahre ältere Freundin, hat ihr 1915 die Lehrstelle organisiert, Angelika lernte u.a. Hüte zu machen, ein später häufiges Motiv auf ihren Bildern – und ein Markenzeichen ihres modischen Stils. Marta unterstützte Angelika Fick, die keinen Zeichenunterricht erhalten durfte, auch auf anderen Gebieten in ihrer künstlerischen Weiterentwicklung.

Wie viele junge Frauen war Angelika Gegnerin des Ersten Weltkriegs, dessen ‚moderne‘ Waffentechniken erstmals Massentötungen bewirkte, auch ihr Bruder Richard kehrte unheilbar verwundet aus dem Krieg zurück. Enttäuscht von der SPD wandte sie sich kurzzeitig der USPD zu, las Texte von Clara Zetkin und Rosa Luxemburg und unterstützte die USPD-Zeitung ‚Sozialistische Republik‘, die Konfrontation mit dem Nachkriegselend erweckten den Wunsch, durch Kunst zu Gunsten des Proletariats aktiv zu werden. Ihr politischstes Werk waren zwei Linolschnitte für die Mappe »Lebendige« (1919), die ermordeten, linken AktivistInnen gewidmet war. Sie erstellte ein Portrait des Mitglieds der Räterepublik Leviné und des pazifistischen Sozialisten Jaurès. Auch wenn sie sich der Kölner ‚Gesellschaft der Künste‘ anschloss, einem Zusammenschluss, der sich für die Demokratisierung des Kulturbetriebes engagierte, war sie keine genuin politische Künstlerin wie Käthe Kollwitz. Das Scheitern der Novemberrevolution und damit die kurze Utopie der Räterepublik werden sie enttäuscht, der Erhalt des Wahlrechts erfreut haben.

1919 finden wir sie im Kreis der Kölner DadaIstinnen um Johannes Theodor Baargeld, Max Ernst, dessen Frau Luise Straus-Ernst, Franz Wilhelm Seiwert, Anton Räderscheidt und anderen. Hans Arp hatte über Ernst und J Baargeld die Ideen der in Zürich gegründete dadaistische Bewegung nach Köln gebracht. Ein Anhänger war der Maler Heinrich Hoerle(1895–1936), den Angelika seit Ende 1916 kannte – auch er eher Autodidakt. Die enge Freundschaft fand bei den Eltern keine Gegenliebe, der Vater charakterisierte Hoerle als weltfremden rechthaberischen Taugenichts und unzuverlässigen Ernährer. Dennoch heirateten sie im Juni 1919. Die Heirat bewirkte den Bruch mit dem Vater, der angeblich äußerte: „Ich habe keine Tochter mehr“ (was war mit der Ältesten Maria?).

Angelika und Heinrich Hoerle stellten 1919 in der Dada-Ausstellung “Sektion D” im Kölnischen Kunstverein aus. Gab es an anderen DADA-Standorten keine Frauen, so waren es in Köln gleich drei, da sich neben Hoerle-Fick und Martha Hegemann auch Luise Straus-Ernst mit Kunstwerken beteiligte. Angelika erhielt große Aufmerksamkeit. Der Katalog zeigte ihr Werk “Reiterin” (1919) ganzseitig – es gilt als Persiflage auf die vom Kölnischen Kunstverein angekaufte bronzene Amazone des Müncheners Franz Stuck. Die drei kreativen Frauen sahen sich letztlich mit einem Männerbund konfrontiert, alle drei wurden bald von ihren Partnern betrogen und verlassen. Angelika gilt als Sprachrohr der Frauen.

 Mit Heinrich bezog Angelika eine Dachgeschosswohnung in der Bachemer Straße 243 in Köln-Lindenthal, die „DADAheim“ genannt wurde. Obwohl dort oft Mangel herrschte, empfingen sie gerne Gäste. Um der finanziellen Not abzuhelfen wurden z.B. – gemeinsam mit Heinrich Hoerle – Tapeten- und Krawattenmuster auf den Markt gebracht. Ggf. hat auch ihre Wahl von Bleistiftzeichnungen mit fehlendem Geld für Ölmalerei und Leinwände zu tun?

Die Ehefrau hatte zunehmend Erfolg: Eine US-amerikanische Sammlerin, Katherine Dreier, kaufte 1922 drei Bilder für die Yale University Art Gallery an, sie sind noch heute im Besitz der dortigen Société Anonyme Collection. Als das Ehepaar 1920 den Schloemilch-Verlag startete, bei dem Baargeld und Ernst die internationale dadaistische Zeitschrift Schammade herausgaben, wählten diese eines von Angelikas Werken als Coverfoto der Erstausgabe. Auch durch andere Zeichen ist die Wertschätzung durch Max Ernst für ihre zunehmend phantastischen Motive belegt. Weitere Beiträger der internationalen Zeitschrift waren z.B. André Breton, Paul Eluard, Francis Picabia, und Tristan Tzara. Katherine Dreier prägte auch das kürzlich als Buchtitel verwendete ikonische ‚Komet des Kölner Dada’, was ihre künstlerische Schwerpunktsetzung jedoch nicht trifft. Ihre Bleistiftzeichnungen und Druckgrafiken changierten zwischen Karikaturen, Dada, und frühem Surrealismus. „Bereits um 1921, d.h. knapp drei Jahre bevor André Breton das »Manifest des Surrealismus« (1924) niederschrieb, stöberte Hoerle bildmotivisch in der Welt der Träume und des Unbewussten. Sie paarte, addierte und sezierte oder verschmolz Objekte, Körperteile und Landschaften zu völlig neuartigen Gebilden.” (fembio) Aber auch die sozialdemokratische Rheinische Zeitung nannte sie Anfang 1920 ‚Deutsche Meisterin der Dadaisten‘.Eine weitere Künstlergruppe , zu der sie Zugang fand, war „Stupid“, die eine stärker regionale und politische Ausrichtung hatte. Stupid wollte die Kunst aus ihrem immer noch vorhandenen Elfenbeinturm lösen und dem Volk nahebringen, der Stil was stärker sozialkritisch-konstruktivistisch. DADA erschien dagegen eher antibürgerlich, als an die Massen adressiert. Im Fokus von Stupid stand das Ehepaar Hegemann-Räderscheidt, das seine neue Wohnung am Hildeboldplatz 9 auch als Galerie anbot. Ab dieser Zeit wurde die Freundschaft mit Marta Hegemann noch enger.

Im Katalog stupid 1 vom November 1920 sind Abbildungen eines Kinderbuchs abc-Bilderbuch mit puristischen Linolschnitten zu sehen, von denen sie leider nur vier fertigstellen konnte. Sie wollte ihren künstlerischen Stil auf eine größtmögliche Einfachheit reduzieren. Das Motiv Fisch in Konservendose für den Buchstaben F in erhielt ikonischen Charakter. Zudem lässt sich im Katalog das heute einzig bekannte – düstere – Landschaftsbild Angelika Hoerles betrachten.

1922 erkrankte sie an Tuberkulose. Sie wandte sich in ihrem letzten Schaffensjahr zunehmend dem Thema Frauen(emanzipation) zu. Ihr Mann, der die Ehebande eher freizügig definiert hatte, verließ sie, sei es aus Angst vor Ansteckung und Tod (Hoerles Vater und seine Schwester Marie waren an Tbc gestorben)? – Oder weil er sie nicht pflegen wollte? – Oder, wie andere vermuten, weil er neidisch auf ihre Erfolge war? Er fing an zu trinken, ließ sie mittellos zurück und kam nie mehr zu Besuch. Marta Hegemann dagegen, die Angelika seit 10 Jahren verehrte, verharrte treu an ihrer Seite. Die junge Mutter und auch ihr Mann Anton Raederscheidt waren die treuesten UnterstützerInnen der letzten Monate.

Als ihr Zustand sich immer mehr verschlechterte vermittelte Bruder Willy die Rückkehr zur Familie an den Krefelder Wall und die Versöhnung. Angelika Hoerle starb am 9. September 1923 mit nicht einmal 24 Jahren. Marta, die sie DADA Angelika genannt hatte,  widmete der Freundin postum das einzige bekannte Portrait ihrer Hand: Ein Aquarell mit einer jungen Frau, die eine Katze an der Leine führt. Auch andere Künstler malten oder zeichneten sie.

Zur Beisetzung auf dem Kölner Westfriedhof erschienen nur drei bis vier FreundInnen, der Ehemann war nicht darunter. Es gibt nur ein Foto, das den ungefähren Standort des Grabes zeigt. Es ist abgeräumt. Marta Hegemann hatte das Gefühl, die Welt würde stillstehen. „Keiner, der sie kannte, vergisst sie“, schrieb sie später. Sie ahnte nicht, dass ihre Freundinnen und sie an die Peripherie verbannt wurden, als Hintergrund für die hochgehandelten Künstlerpersönlichkeiten Max Ernst, Anton Räderscheidt und -weniger bekannt – auch Heinrich Hoerle. Erst die 20-jährige Angelika Littlefield rettete das schmale Oeuvre von 35 Werken des einstmaligen Kölner ‚Kometen‘ und rettete ihn vor dem völligen Verglühen. Mittlerweile kann  das Erinnern an sie in Kunstbänden, einem Roman, einem Bühnenstück (Angelika’s Promise), Podcasts und einem Musikstück aufgerufen werden.

Irene Franken

Literatur:

  •  1990 Michael Euler-Schmidt (Hg.): Marta Hegemann (1894-1970). Leben und Werk. Köln. Kölnisches Stadtmuseum.
  •  1995 Jörgen Schäfer, Angela Merte, Dada in Köln, Bibliographien zur Literatur- und Mediengeschichte, Bd. 3, Peter Lang, Frankfurt/M., Berlin  (Bibliographien zur Literatur- und Mediengeschichte, 3).
  • 2009 Catherine de Zegher, Angelika Littlefield, Angelika Hoerle: The comet of Cologne Dada, Art Gallery of Ontario, Toronto, König, Köln, Gallery of Ontario, deutsch: 2009/10 Museum Ludwig Köln, Angelika Hoerle: Komet der Kölner Avantgarde.
  •  2015 Ina Boesch, Ralf Burmeister, Irene Gammel  et al. (Hg.): Die Dada. Wie Frauen Dada prägten. Zürich. Scheidegger & Spiess.

Links:

  • https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Angelika_Hoerle?uselang=de
  • http://www.angielittlefield.com/AngelikaHoerle.html
  • http://www.angielittlefield.com/AngelikaHoerle/Fate3Angelikas.html und werke http://www.angielittlefield.com/MuseumLudwig.html
  • https://soundcloud.com/agotoronto/family-secrets-an-inside-view-of-the-short-life-of-angelika-hoerle Art Gallery of Ontario Angelika Littlefield – Family Secrets: An Inside View of the Short Life of Angelika Hoerle , auch auf https://ago.ca/events/family-secrets-inside-view-short-life-
  • Museum Ontario AGO https://ago.ca/exhibitions/angelika-hoerle-comet-cologne-dada
  • The New Woman: Angelika and Women’s Rights https://ago.ca/exhibitions/angelika-hoerle-comet-cologne-dada “The New Woman: Angelika and Women’s Rights”. Summer at the AGO: Dada Podcasts (Audio). Art Gallery of Ontario. Retrieved 18 October 2014.
  • https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/angelika-hoerle/