Gisela Koschig-Gehm – Mitgründerin des Kölner Frauenbuchladens
Gisela Koschig-Gehm war eine schillernde Persönlichkeit der Neuen Frauen- und Lesbenbewegung in Köln und Mitgründerin des Kölner Frauenbuchladens.
Was viele nicht wussten: Gisela wurde am 10. Juni 43 im Krankenhaus in Köln-Kalk geboren und war daher ein original „Kölsches“ Mädchen. Allerdings wuchs sie bei Adoptiveltern in der Nähe von Lüdenscheid auf. Dass sie adoptiert wurde erfuhr sie erst mit 18 Jahren.
Das Mädchen machte zunächst eine Lehre als Arzthelferin, vermutlich weil es sich „in der Provinz“ für Mädchen so anbot. Ihre Fähigkeiten lagen jedoch vielmehr im Bereich Wirtschaft. Sie zog nach Frankfurt, arbeitete im Verkauf und wurde schließlich in München Pharmavertreterin. Sie empfahl Diagnostika und Blutkonserven – und verdiente gut dabei.
Schon als Kind hatte sich Gisela zum eigenen Geschlecht hingezogen gefühlt, zunächst zu einer Cousine. Ihr ganzes Leben hatte sie nur Begehren für Frauen empfunden. In der Münchener Zeit bekam sie wegen ihres Privatlebens Probleme mit ihrem Kollegium. Sie ging eine Scheinehe mit einem schwulen Mann ein – eine damals durchaus übliche Strategie, um sich vor Gerüchten und Gerede zu schützen. Nach einigen Monaten gingen die Ehepartner wieder getrennte Wege, ließen sich später auch scheiden. Den Doppelnamen Koschig-Gehm behielt Gisela zeitlebens bei.
Als sie bemerkte, dass in ihrer Firma Etiketten gefälscht wurden, – so erzählte sie später – stieg sie empört aus dem Job aus und kehrte ins Rheinland zurück. Hier besuchte Gisela Koschig-Gehm die 1958 gegründete Rheinische Akademie Köln, um sich in Betriebswirtschaft weiter zu bilden. 1976 wurde sie von Alice Schwarzer als Betriebswirtschaftlerin angefragt, sich an der Gründung der Zeitschrift Emma zu beteiligen. Relativ bald schon kam es zu Konflikten, und noch vor dem Druck der ersten Nummer war Gisela draußen – ebenso wie andere Frauen des Gründungsteams.
Als zeitgleich in Köln ein Frauenzentrum entstand, beteiligte sich die tatkräftige lesbische Feministin an der Renovierung des 200 qm großen Raumes im Souterrain eines Bürgerhauses nahe dem Volksgarten. Das Frauenzentrum Eifelstraße wurde zum Treffpunkt der Kölner Frauenbewegungsszene, wo auch Gisela gerne am Tresen politische Diskussionen führte. Auch wenn sie nicht unbedingt kontinuierlich in einer Gruppe mitarbeiten wollte, waren ihre politischen Interessen breit gefächert.
Als sie durch ihre Mitbewohnerin, die im Frauenzentrum den Büchertisch organisierte, erfuhr, wie schwierig es war, an Bücher von und über Frauen zu kommen, beschloss sie – zusammen mit Ulla Böll und Erika Stegmann vom Verlag Kiepenheuer & Witsch – in Köln einen Frauenbuchladen zu gründen. Dafür sammelte sie Erfahrungen in dem kurz zuvor in Frankfurt eröffneten Frauenbuchladen. Im Zeitalter des Computers kaum noch vorstellbar: sie und ihre Kolleginnen schrieben alle vorhandenen Buchtitel mit der Hand ab. Übersichten oder Empfehlungslisten, welche Publikationen für ein Spezialsortiment Frauen und Lesbenbücher in Frage kamen, gab es noch nicht.
Der Kölner Frauenbuchladen eröffnete am 22. Januar 1977 in der Beethovenstraße 33. Alle drei „Buchladenfrauen“ hatten sich Geld geliehen. Nun war Gisela in ihrem Element. Zwar gab es Bedenken bei Feministinnen, dass sich nun Frauen auf bezahlten Arbeitsplätzen an anderen Frauen bereichern würden, aber die ließen sich leicht ausräumen – reich wurde dort keine.
Gisela hatte bei der Einrichtung des Frauenbuchladens viel Wert auf ein Café gelegt. Es lag geschützt hinter einem Vorhang im Hinterzimmer, darin gab es ein großes Sofa, über dem ein mehrere Meter breites Bild einer lesenden Frau hing. Hier trank sie mit ausgewählten Frauen gerne mal einen Sekt oder Sherry, immer mit Hund Pollux an ihrer Seite. Überhaupt war Gisela im Buchladen eher für Kontakte zuständig, bestach weniger durch profunde Bücher-Kenntnis als durch gekonntes Netzwerken. Geschickt befragte sie Kundinnen, welche Bücher sie gut fanden, merkte sich diese „Rezensionen“ und empfahl die Bücher weiter. Außerdem gab es eine unterstützende Buchladengruppe, die u.a. Tipps gab, welche Bücher anzuschaffen seien. Gisela konnte auch gut mit Männern umgehen und so war der Kölner Frauenbuchladen – in Kölscher „Liberalität“ – der einzige Deutschlands, der von Beginn an Männer hereinließ.
Abends ging Gisela gern aus, sie war auch privat sehr kommunikativ und lernte schnell Frauen kennen. Durch ihre Zeit als Pharmavertreterin kannte sie vermutlich mehr Lesbenbars bundesweit als jede andere Frau. Die Adressen lockte sie gewöhnlich durch reichliches Trinkgeld aus den Taxifahrern heraus.
Vom Typ war sie ein Dandy, eine „Salonlesbe“ im besten Sinne. Sie trug gern weiße Blusen und Westen, wirkte elegant und charmant. Ihrer lesbischen Identität war sie sich immer bewusst, die damals bedeutsame Frage, welchem ‚Lager‘ frau angehört, ob sogenannte Ur-Lesbe oder Bewegungslesbe, interessierte sie allerdings wenig. Sie besuchte alle angesagten Lokale der „Subkultur“ in Köln vom Candida, wo es eher „proletarisch“ zuging und auch schon mal zu körperlichen Auseinandersetzungen unter den Gästinnen kam bis zum George Sand, nach ihrer Besitzerin kurz „Ma“ genannt. Ma Braungart empfing in ihrem Lokal auch Medienleute, Halbprominenz, Prostituierte und Akademikerinnen. Es wurden Chansons gespielt, es gab ein Kulturprogramm – und Etikette. Dass Frauen sich vor aller Augen küssten war aber dort nicht erwünscht.
Die Möglichkeiten der parteipolitischen Diskussion war Ende der siebziger Jahre begrenzt, die Grünen gab es noch nicht und die kleinbürgerliche DKP war für lesbische Feministinnen nicht unbedingt eine Alternative. Gisela hegte einige Sympathie mit der RAF und fuhr am 27. Oktober 1977 zur Beerdigung von Ensslin, Baader und Raspe nach Stuttgart. Damit bildete sie im Frauenzentrum eine Ausnahme. Sie unterstützte auch zeitweilig die politischen Gefangenen der RAF. Ob das tatsächlich Überzeugung oder lediglich eine antiautoritäre Pose war, lässt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.
Ernst war es ihr allerdings mit dem Protest gegen die Stationierung von Atomraketen und dem Thema Ökologie. Sie unterstützte 1981 den Frauen-Kongress gegen Atom und Militär in Köln sowie später die überregionale „Aktion Gegenwind“, bei der Frauen – u.a. mit Rad-Rallyes – gegen die in Deutschland stationierten Atomraketen der amerikanischen Truppen protestierten. Da dies vor der zweiten Anti-Atom Bewegung stattfand, waren die Aktivistinnen Avantgarde. Nicht zuletzt durch Frauen wie Gisela Koschig-Gehm entwickelte sich die Anti-Atomkraft-Bewegung Mitte der 1980er Jahre zur stärksten Bürgerrechtsbewegung in der BRD.
Damals gab es bereits Hinweise auf verstrahlte Ernährung, von denen Gisela sich sehr betroffen fühlte. Anfang der 1980er Jahre verkaufte sie den Frauenbuchladen und plante nach einer Reise im Winter 1981 /82, nach Australien auszuwandern, wo es sogenanntes Frauen-Land gab. Doch Gisela verliebte sich neu und blieb im Rheinland. Sie zog in die Eifel nach Basberg, züchtete Schafe und begann, die noch jungen Bioläden in Bonn und Köln mit Käse zu beliefern. Erstaunlicherweise genoss sie die neue „Einsamkeit“, behielt aber trotz dorftypischer Strickkleidung ihre dandyhafte Eleganz. Sie schloss sich dem Frauenzentrum in Gerolstein an und nun auch erstmals einer Partei, den Grünen. Im sog. Ökofonds an, der von den Grünen 1980 in NRW ins Leben gerufen worden war, nahm sie einen Job an, bei dem sie alternative Projekte mit sozialer, ethischer und ökologischer Zielsetzung unterstützen konnte.
Gisela Koschig-Gehm starb am 19. April 1997 mit nur 53 Jahren an Krebs. Zu ihrer Beerdigung auf dem Kölner Südfriedhof kamen mehr als 300 Trauergäste, darunter auch viele Nachbar*innen aus Basberg. Ihre letzte Partnerin ließ ihren Grabstein nach einer Skulptur aus einer alten Frauenkultur gestalten. Mut und Zivilcourage, so erinnert sich eine Weggefährtin, seien die Begriffe, die auf Gisela am meisten zutrafen.
© Irene Franken, Red. Bearbeitung Gabriela Schaaf