Martha Fraenkel (1896 – 1976) – Ausstellungsmacherin
Martha Fraenkel wurde am 19. Dezember 1896 in Köln in eine jüdische Familie geboren. Ihr Vater Georg war Kaufmann, die Mutter Therese (geb. Epstein) vermutlich Hausfrau. Ihr älterer Bruder Maximilian starb bereits 1909. Der jüngerer Bruder Ernst Fraenkel (1898-1975) dagegen, der sich als Politikwissenschaftler mit einem Standardwerk The Dual State in die NS-Forschung einschrieb, wurde ein Lebensfreund. Aber auch Martha errang internationale Berühmtheit auf ihrem Feld: der Gesundheitsforschung und ihrer musealen Präsentation.
Martha besuchte die Evangelische höhere Töchterschule in der Antoniterstraße und später realgymnasiale Kurse an dem Kaiserin Augusta-Gymnasium. Mit 19 Jahren war sie schon Waise: Der Vater war 1909, die Mutter 1915 verstorben.
Martha zog daher – ebenso wie der jüngere Bruder Ernst – zu zwei Onkeln nach Frankfurt a. Main. Hier machte sie mit 20 Jahren das Abitur. Sie studierte Medizin – bis Herbst 1918 in Frankfurt, anschließend in Bonn. Haben die vielen frühen Verluste ihre Studienfachwahl mitbestimmt?
Anfang Oktober 1918 legte sie die ärztliche Vorprüfung ab, in Frankfurt a.M. folgten das Staatsexamen und 1922 die Promotion über ein Thema der Physiologie. 1923 erwarb sie ihre Approbation. Welchem Fachgebiet sollte sie sich zuwenden?
Sie wählte eine außeruniversitäre Stelle, wurde für einige Monate Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin beim Deutschen Komitee der amerikanischen Auslandshilfe der Quäker, einer pazifistischen Einrichtung. (Der Bruder hatte eine Gruppe sozialistischer Studenten gründete, sie teilte vermutlich seine Ideen.)
Im Januar 1925 wandte sie sich dem Berufsfeld zu, das sie berühmt machte: der Kuratierung und Verwaltung medizinischer Ausstellungen. Sie wurde als Wissenschaftliche Geschäftsführerin der GE-SO-LEI in Düsseldorf berufen – einer großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen. In der Weimarer Republik lösten Hygienethemen eine Massenbewegung bei Linken und Rechten aus. Die GE-SO-LEI zog die Massen an. Hier trafen sich die führenden NaturforscherInnen und ÄrztInnen der Zeit, aber auch Frauengruppen und diskutierten u.a. über gesundheitliche Aufklärung, bessere Wohnbedingungen, Säuglingsfürsorge, Arbeits- und Gewerbehygiene, Leibesübungen, den Rückgang der Geburtenzahlen, Sterilisierung und andere Themen. Martha Fraenkel verfasste Beiträge über die Stellung der Ehefrau im Laufe der Jahrhunderte.
Direkt im Anschluss konnte sie als Geschäftsführerin am Düsseldorfer Reichsmuseum für Gesellschafts- und Wirtschaftskunde arbeiten und brachte den Amtlichen Katalog heraus.
Dann erklomm sie eine noch höhere Stufe wissenschaftlichen Ruhmes: Sie wurde Wissenschaftliche Geschäftsführerin der (zweiten) Internationalen Hygiene-Ausstellung am Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. Marta Fraenkel prägte in einem fortschrittlichen Sinn die dort ausgestellten frauenspezifischen Themen. Sie kreierte die Abteilung Die Frau in Familie und Beruf, zeigte Objekte und Grafiken zu modernen Berufsmöglichkeiten für Frauen, die Öffnung von neuen Ausbildungswegen und die Frage beruflicher Belastungen. Sie verwehrte sich gegen Parolen, die Berufstätigkeit der Frau trage Mitschuld an der Weltwirtschaftskrise. Sie plädierte auch dafür, „die „Tätigkeit der Hausfrau als Beruf [zu] fixieren“ um der als „längst überholt“ bezeichneten Trennung von der Frau im Haushalt versus Frau im Beruf zu widersprechen.“ (Wikipedia) Zudem forderte sie eine fortschrittliche Siedlungspolitik mit Freiflächen, um die gesunkene Gesundheit der Bevölkerung wieder zu heben. Mode-Gestaltung oder auch die Sozialgesetzgebung waren weitere Themen. Die Sozialmedizinerin prognostizierte aus demografischer Perspektive bereits ein zu erwartendes „Volk der Alten“ (1930) und veröffentlichte einen Hygienischen Wegweiser.
1930 wurde sie Sachbearbeiterin bei der Hygiene-Abteilung des Völkerbundes in Genf, der Vorstufe der UNO, hatte also bereits internationales Renommee errungen. Als weitere Arbeitsorte werden das wissenschaftliche Büro der Arbeitsgemeinschaft für hygienischen Lehrbedarf und das Frauenreferat des Internationalen Gesundheitsdienstes genannt.
Sie heiratete 1931 den Chefredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten, Dr. Schulze, nannte sich kurzfristig Fraenkel-Schulze und zog nach Dresden zurück. Sie konnte auch an das Deutsche Hygiene-Museum zurückkehren, wurde Direktorin des Frauenreferates und des Nachrichtendienstes.
1932 konzipierte sie für das DHM eine Wanderausstellung Gesunde Frau, Gesundes Volk, die in vielen Städtzen gezeigt wurde, 1933 auch in der Kölner Messe – schon unter der Überschrift nationalsozialistischer Hygienepolitik.
Da war Martha Fraenkel aufgrund der rassisierenden NS-Gesetze (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 4. 1933) bereits entlassen. 1935 folgten die Scheidung, die Ablegung des Doppelnamens und die Flucht nach Brüssel, wo sie bis 1938 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Brüssel arbeiten konnte. U.a. war sie Mitarbeiterin der Ligue Nationale Belge Contre le Cancer und Beraterin bei dem Internationalen Krebskongress im September 1936, für den sie den französischsprachigen Tagungsband herausgab.
Ihr Bruder Ernst Fraenkel betätigte sich derweil im Widerstand innerhalb des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK). Nachdem er sich als letzter Verwandter 1938 nach dem Hinweis auf eine drohende Verhaftung mit seiner Frau nach London retten konnte, dann im November 1938 die Vereinigten Staaten als langfristigen Überlebensort wählte, zog es Martha Fraenkel ebenfalls in die USA. Sie hatte ausgezeichnete berufliche Grundlagen für einen Neustart, verdiente über Jahre beim Welfare Council der Stadt New York ihren Lebensunterhalt. Hierbei hat ggf. – ebenso wie bei Hertha Kraus – ihre Zugehörigkeit zu den Quäkern geholfen. Sie publizierte Texte zur Sterblichkeit in Krankenhäusern, Entlassungen aus Hospitälern, häusliche Versorgung für chronisch Kranke und zu anderen Themen. Ihr Privatleben musste vermutlich zurückstehen.
1944 wurde die 48-jährige medizinische Beraterin der US-amerikanischen Regierung in Washington. 1947 zurück in New York arbeitete sie mal als Wissenschaftlerin, mal als Public Health Officer in der Gesundheitsverwaltung oder als beratende Fachfrau für Statistik. Nun wurde Gerontologie ihr neuer Schwerpunkt.
1965 erreichte Martha Fraenkel den Ruhestand, veröffentlichte jedoch weiterhin als Freiberuflerin in wissenschaftlichen Zeitschriften. Im August 1976 starb sie – ein Jahr nach ihrem (remigrierten) Bruder – in ihrer Wahlheimat New York.
Nur wenige Emigrantinnen schafften eine solche Karriere im fremdsprachigen Aufnahmeland. In einer Zeit, in der es für Ärztinnen schwer war, am Krankenhaus mehr zu werden als Assistenzärztin, wählte sie den Weg in die Vermittlung medizinischer Themen. Das Dresdener Hygiene-Museum war auch international eines der anerkanntesten Ausstellungshäuser Europas, das durchaus nicht allen Frauen mit Medizinstudium offen gestanden hätte, wohl aber einer Dr.med. Marta Fraenkel, „Organisatorin und Schriftstellerin in der Gesundheitsaufklärung“ (so Susanne Aschenbrenner). Bedingt durch die Beschäftigung mit der ‚modernen‘ statistik-basierten Bevölkerungswissenschaft (die aber auch jederzeit in Auslese- und Ausmerze-Strategien münden konnte) im Kontext der GE-SO-LEI hat sie sich Grundlagen geschaffen, um auch international wissenschaftlich bestehen zu können. Nach ihr ist ein Veranstaltungsraum des Deutschen Hygiene-Museums benannt. Es sollten dringend eine Kölner Straße und eine weiterführende Schule nach der „Aufklärerin im Dienst der Frau“ (so ein Aufsatztitel) benannt werden!