Juni 2020 – Gisela Koschig-Gehm

Gisela Koschig-Gehm – Mitgründerin des Kölner Frauenbuchladens

Gisela Koschig-Gehm, © Cornelie Wollenhaupt

Gisela Koschig-Gehm war eine schillernde Persönlichkeit der Neuen Frauen- und Lesbenbewegung in Köln und Mitgründerin des Kölner Frauenbuchladens. 

Was viele nicht wussten: Gisela wurde am 10. Juni 43 im Krankenhaus in Köln-Kalk geboren und war daher ein original „Kölsches“ Mädchen. Allerdings wuchs sie bei Adoptiveltern in der Nähe von Lüdenscheid auf. Dass sie adoptiert wurde erfuhr sie erst mit 18 Jahren.

Das Mädchen machte zunächst eine Lehre als Arzthelferin, vermutlich weil es sich „in der Provinz“ für Mädchen so anbot. Ihre Fähigkeiten lagen jedoch vielmehr im Bereich Wirtschaft. Sie zog nach Frankfurt, arbeitete im Verkauf und wurde schließlich in München Pharmavertreterin. Sie empfahl Diagnostika und Blutkonserven – und verdiente gut dabei.

Schon als Kind hatte sich Gisela zum eigenen Geschlecht hingezogen gefühlt, zunächst zu einer Cousine. Ihr ganzes Leben hatte sie nur Begehren für Frauen empfunden. In der Münchener Zeit bekam sie wegen ihres Privatlebens Probleme mit ihrem Kollegium. Sie ging eine Scheinehe mit einem schwulen Mann ein – eine damals durchaus übliche Strategie, um sich vor Gerüchten und Gerede zu schützen. Nach einigen Monaten gingen die Ehepartner wieder getrennte Wege, ließen sich später auch scheiden. Den Doppelnamen Koschig-Gehm behielt Gisela zeitlebens bei.

Als sie bemerkte, dass in ihrer Firma Etiketten gefälscht wurden, – so erzählte sie später – stieg sie empört aus dem Job aus und kehrte ins Rheinland zurück. Hier besuchte Gisela Koschig-Gehm die 1958 gegründete Rheinische Akademie Köln, um sich in Betriebswirtschaft weiter zu bilden. 1976 wurde sie von Alice Schwarzer als Betriebswirtschaftlerin angefragt, sich an der Gründung der Zeitschrift Emma zu beteiligen. Relativ bald schon kam es zu Konflikten, und noch vor dem Druck der ersten Nummer war Gisela draußen – ebenso wie andere Frauen des Gründungsteams.

Als zeitgleich in Köln ein Frauenzentrum entstand, beteiligte sich die tatkräftige lesbische Feministin an der Renovierung des 200 qm großen Raumes im Souterrain eines Bürgerhauses nahe dem Volksgarten. Das Frauenzentrum Eifelstraße wurde zum Treffpunkt der Kölner Frauenbewegungsszene, wo auch Gisela gerne am Tresen politische Diskussionen führte. Auch wenn sie nicht unbedingt kontinuierlich in einer Gruppe mitarbeiten wollte, waren ihre politischen Interessen breit gefächert.

Als sie durch ihre Mitbewohnerin, die im Frauenzentrum den Büchertisch organisierte, erfuhr, wie schwierig es war, an Bücher von und über Frauen zu kommen, beschloss sie – zusammen mit Ulla Böll und Erika Stegmann vom Verlag Kiepenheuer & Witsch – in Köln einen Frauenbuchladen zu gründen. Dafür sammelte sie Erfahrungen in dem kurz zuvor in Frankfurt eröffneten Frauenbuchladen. Im Zeitalter des Computers kaum noch vorstellbar: sie und ihre Kolleginnen schrieben alle vorhandenen Buchtitel mit der Hand ab. Übersichten oder Empfehlungslisten, welche Publikationen für ein Spezialsortiment Frauen und Lesbenbücher in Frage kamen, gab es noch nicht.

Der Kölner Frauenbuchladen eröffnete am 22. Januar 1977 in der Beethovenstraße 33. Alle drei „Buchladenfrauen“ hatten sich Geld geliehen. Nun war Gisela in ihrem Element. Zwar gab es Bedenken bei Feministinnen, dass sich nun Frauen auf bezahlten Arbeitsplätzen an anderen Frauen bereichern würden, aber die ließen sich leicht ausräumen – reich wurde dort keine.   

Gisela hatte bei der Einrichtung des Frauenbuchladens viel Wert auf ein Café gelegt. Es lag geschützt hinter einem Vorhang im Hinterzimmer, darin gab es ein großes Sofa, über dem ein mehrere Meter breites Bild einer lesenden Frau hing. Hier trank sie mit ausgewählten Frauen gerne mal einen Sekt oder Sherry, immer mit Hund Pollux an ihrer Seite. Überhaupt war Gisela im Buchladen eher für Kontakte zuständig, bestach weniger durch profunde Bücher-Kenntnis als durch gekonntes Netzwerken. Geschickt befragte sie Kundinnen, welche Bücher sie gut fanden, merkte sich diese „Rezensionen“ und empfahl die Bücher weiter. Außerdem gab es eine unterstützende Buchladengruppe, die u.a. Tipps gab, welche Bücher anzuschaffen seien.  Gisela konnte auch gut mit Männern umgehen und so war der Kölner Frauenbuchladen – in Kölscher „Liberalität“ – der einzige Deutschlands, der von Beginn an Männer hereinließ.

Abends ging Gisela gern aus, sie war auch privat sehr kommunikativ und lernte schnell Frauen kennen. Durch ihre Zeit als Pharmavertreterin kannte sie vermutlich mehr Lesbenbars bundesweit als jede andere Frau. Die Adressen lockte sie gewöhnlich durch reichliches Trinkgeld aus den Taxifahrern heraus.

Vom Typ war sie ein Dandy, eine „Salonlesbe“ im besten Sinne. Sie trug gern weiße Blusen und Westen, wirkte elegant und charmant. Ihrer lesbischen Identität war sie sich immer bewusst, die damals bedeutsame Frage, welchem ‚Lager‘ frau angehört, ob sogenannte Ur-Lesbe oder Bewegungslesbe, interessierte sie allerdings wenig. Sie besuchte alle angesagten Lokale der „Subkultur“ in Köln vom Candida, wo es eher „proletarisch“ zuging und auch schon mal zu körperlichen Auseinandersetzungen unter den Gästinnen kam bis zum George Sand, nach ihrer Besitzerin kurz „Ma“ genannt. Ma Braungart empfing in ihrem Lokal auch Medienleute, Halbprominenz, Prostituierte und Akademikerinnen. Es wurden Chansons gespielt, es gab ein Kulturprogramm – und Etikette. Dass Frauen sich vor aller Augen küssten war aber dort nicht erwünscht.

Die Möglichkeiten der parteipolitischen Diskussion war Ende der siebziger Jahre begrenzt, die Grünen gab es noch nicht und die kleinbürgerliche DKP war für lesbische Feministinnen nicht unbedingt eine Alternative. Gisela hegte einige Sympathie mit der RAF und fuhr am 27. Oktober 1977 zur Beerdigung von Ensslin, Baader und Raspe nach Stuttgart. Damit bildete sie im Frauenzentrum eine Ausnahme. Sie unterstützte auch zeitweilig die politischen Gefangenen der RAF. Ob das tatsächlich Überzeugung oder lediglich eine antiautoritäre Pose war, lässt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. 

Ernst war es ihr allerdings mit dem Protest gegen die Stationierung von Atomraketen und dem Thema Ökologie. Sie unterstützte 1981 den Frauen-Kongress gegen Atom und Militär in Köln sowie später die überregionale „Aktion Gegenwind“, bei der Frauen – u.a. mit Rad-Rallyes – gegen die in Deutschland stationierten Atomraketen der amerikanischen Truppen protestierten. Da dies vor der zweiten Anti-Atom Bewegung stattfand, waren die Aktivistinnen Avantgarde. Nicht zuletzt durch Frauen wie Gisela Koschig-Gehm entwickelte sich die Anti-Atomkraft-Bewegung Mitte der 1980er Jahre zur stärksten Bürgerrechtsbewegung in der BRD.

Damals gab es bereits Hinweise auf verstrahlte Ernährung, von denen Gisela sich sehr betroffen fühlte. Anfang der 1980er Jahre verkaufte sie den Frauenbuchladen und plante nach einer Reise im Winter 1981 /82, nach Australien auszuwandern, wo es sogenanntes Frauen-Land gab. Doch Gisela verliebte sich neu und blieb im Rheinland. Sie zog in die Eifel nach Basberg, züchtete Schafe und begann, die noch jungen Bioläden in Bonn und Köln mit Käse zu beliefern. Erstaunlicherweise genoss sie die neue „Einsamkeit“, behielt aber trotz dorftypischer Strickkleidung ihre dandyhafte Eleganz. Sie schloss sich dem Frauenzentrum in Gerolstein an und nun auch erstmals einer Partei, den Grünen. Im sog. Ökofonds an, der von den Grünen 1980 in NRW ins Leben gerufen worden war, nahm sie einen Job an, bei dem sie alternative Projekte mit sozialer, ethischer und ökologischer Zielsetzung  unterstützen konnte.

Gisela Koschig-Gehm starb am 19. April 1997 mit nur 53 Jahren an Krebs. Zu ihrer Beerdigung auf dem Kölner Südfriedhof kamen mehr als 300 Trauergäste, darunter auch viele Nachbar*innen aus Basberg. Ihre letzte Partnerin ließ ihren Grabstein nach einer Skulptur aus einer alten Frauenkultur gestalten.  Mut und Zivilcourage, so erinnert sich eine Weggefährtin, seien die Begriffe, die auf Gisela am meisten zutrafen.

© Irene Franken, Red. Bearbeitung Gabriela Schaaf

Mai 2020 – Ursula Nienhaus

Feministische Aktivistin der Frauenarchive und Bibliotheken Ursula Nienhaus

Ursula Nienhaus an ihrem Lieblingsort: dem Frauenforschungs-, -Bildungs- und -Informationszentrum in Berlin (Ausschnitt, © FFBIZ)

In Köln hat sie lediglich eine kurze Zeit als Studentin verbracht. Vielen Feministinnen war sie als Mitbegründerin und langjährige Mitarbeiterin des FFBIZ (Frauenforschungs-, -Bildungs- und -Informationszentrum) in Berlin bekannt sowie als Mitinitiatorin des 1994 gegründeten Dachverbands der Frauenarchive i.d.a.: Prof. Dr. Ursula Nienhaus (1946 – 2020). Am 17.04.2020 ist die Historikerin im Alter von 74 Jahren gestorben.  Wir erinnern an diese Pionierin der Frauengeschichtsbewegung mit einem Nachruf.

Ursula Nienhaus stammte aus Hadern/Rees am Niederrhein. Die Mutter war Landarbeiterin und ‚natürlich‘ Hausfrau, der Vater Arbeiter – die Historikerin war eine der wenigen Arbeitertöchter, die den Weg an die Uni schafften.  „Die oberste Maxime meines Elternhauses war, dass das Kind nicht mehr werden darf als die Eltern. Auch wir hatten das verinnerlicht […]“.* Kein Wunder also, dass es Stress mit einer Tochter gab, die sich in den Augen der Familie zu liberal entwickelte. Das dörfliche Umfeld sowie die Familie wurden von ihr als konservativ bis reaktionär und antisemitisch beschrieben. „Mein Vater hat mir in einem Brief geschrieben: Alle Kommunisten müsste man an Laternen aufhängen und mich mitten unter ihnen. Das war, trotz aller Distanz meinerseits, ein ziemlich harter Schlag für mich.“ Ursula Nienhaus antwortete auf ihre Weise, indem sie osteuropäische Geschichte und damit die Geschichte der kommunistischen Länder studierte. Mehrere Frauen haben sie in ihrem beruflichen Werdegang gefördert. Schon die Volksschul-Lehrerin in Hadern entdeckte ihre Begabung und überwies sie, ebenso wie ihre Freundin, zum Gymnasium – gegen den Willen der Eltern. Es handelte sich um eine Klosterschule, wo die beiden Mädchen als Externe milieufremd waren und dies auch empfanden. Ursula musste in den Ferien in der Fabrik arbeiten, damit die Eltern „nicht ständig betonen, dass ich kein Geld nach Hause bringe.“ Dennoch empfand Nienhaus die Nonnen – „Töchter vom Hl. Kreuz“ , eine belgischen Kongregation des 19. Jahrhunderts – als „erste Frauenbewegung quasi, sie haben mit Prostituierten angefangen und sich dann auf Mädchenbildung verlegt.“ Das Kloster, in einem Wasserschloss untergebracht, hatte Wurzeln bist zu der heiliggesprochenen Irmgard von Aspel, die um 1000 geboren wurde und heute im Kölner Dom verehrt wird. Unter anderem diese lange Tradition erweckte in Ursula Nienhaus das Interesse für Geschichte.

Nach dem Abitur 1966 waren es die Lehrerinnen dort, die sie weiter förderten: “[…] meine Nonnen hatten mir ein Stipendium besorgt. Und zwar hatte der von [Heinrich] Böll in den ‚Ansichten eines Clowns‘ beschriebene Prälat Hanssler – im Roman heißt er Sommerwild – eine neue katholische Studienstiftung gegründet, das Cusanus-Werk, die vergaben Hochbegabtenstipendien, auch an Frauen.“ Als Studienfächer wählte Nienhaus an der Universität zu Köln neben Geschichte auch die Fächer Deutsch, Pädagogik und Philosophie. Wieder kamen Fremdheitsgefühle auf: „Nach eineinhalb Jahren an der Uni hatte ich aber noch kein Wort gesagt, und auf dem Flur sitzend hatte mich noch nie ein Mensch angesprochen.“

Es folgten als Studienjahre in Bonn und Tübingen. Dort wurde sie in den letzten Jahren seiner Existenz Mitglied des SDS. Noch war sie keine Feministin, sondern hat als Linke „die erste sich bildende Frauengruppe aktiv bekämpft“.

1972 wollte sich Nienhaus nach ihrer Examensarbeit über Bakunin weiter mit der SU beschäftigen und herausfinden, „warum die Revolution so schnell entarten konnte.“ Ein Stipendium erlaubte ihr ein Jahr an der Stanford University California, wo es das Archiv für das frühe Sowjetunion und damit große Bestände gibt. Dort kam sie in Kontakt mit der Black Panther Bewegung und unterstützte unter anderem einen verhafteten Aktivisten finanziell. „Mehr noch faszinierten mich die Black-Panther-Frauen, aber die redeten nicht mit mir, was mich, die ich grade Feministin geworden war, natürlich kränkte.”

Wieder in Tübingen vertiefte sie ihre Studien in Russisch und Soziologie und promovierte 1976 in sowjetischer Geschichte. Hier begannen ihre Kontakte zur deutschen Frauenbewegung. Sie wirkte an der Gründung des dortigen Frauenzentrums mit. 1976 zog sie nach Berlin. Die damals noch geteilte Stadt sollte ihre bedeutendste Wirkungsstätte werden.

Sie gab engagierten Unterricht an der 1973 gegründeten Schule für Erwachsenenbildung, eine alternative Schule des Zweiten Bildungsweges, und beeindruckte viele Schülerinnen.

Während ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin an der TU Berlin erfuhren sie und andere Frauen, dass „buchstäblich unter dem Bett und auf dem Dachboden bei einer älteren Frau“ Bestände aus der Historischen Frauenbewegung, von Helene Lange z.B., lagerten. „Nach der 1. Sommer-Universität der Frauen war ja klar, und das war dort auch öffentlich artikuliert worden, dass es notwendig ist, eine Frauenbibliothek und ein Frauenarchiv zu errichten.“ 1978 gründete ein Frauenkreis das FFBIZ als Einrichtung der autonomen Frauenbewegung mit Archivalien ab dem Beginn der 1970er Jahre. Auch die neuen Feministinnen hatten schon über Jahre „Quellen“ produziert und teilweise weggeworfen. “Wir waren damals wirklich die Avantgarde, wir sprachen nicht von Bibliothek oder Archiv, wir sprachen von Information, das war damals der modernste Begriff in einer Zeit, wo an Computer und Internet noch lange nicht zu denken war.“ Das FFBIZ und zu Beginn vor allem Ursula Nienhaus bauten eine der größten Sammlungen zur Neuen Frauenbewegung in Europa auf. „Es hat mit Müh und Not die Frauenbewegung überlebt und bewahrt als ihr erstes und bestandsgrößtes Archiv die Belege ihrer Existenz”, erinnert sie sich 2014. Daneben war sie als Dozentin tätig, sei es an der FU oder später, nachdem sie sich 1993 mit einem Frauenthema habilitiert hatte, als Privatdozentin für Neue Geschichte an der Universität Hannover (“Vater Staat und seine Gehilfinnen“…). “Ihr umfangreiches historisches Wissen an Studierende zu vermitteln, war ihr immer ein großes Anliegen.” (FFBIZ)

Die Historikerin bemühte sich zudem jahrelang um die Fortbildung von Praktikantinnen. Ursula Nienhaus war ein Arbeitstier und gleichermaßen ein Alphatier. So schlug sie im Archiv oder auf Tagungen immer mal wieder einen recht strengen Tonfall an, den viele Frauen nur schlecht verkrafteten. Im Nachruf des Dachverbandes i.d.a. heisst es: “Sie wird uns in Erinnerung bleiben als stets streitbare Verfechterin feministischer Bildungsarbeit und als konstruktive Diskussionspartnerin.”   

Die lesbisch lebende Feministin machte viele Kompromisse, lebte lange prekär, denn weder die kleine Stelle im Archiv noch die Lehraufträge waren auch nur ansatzweise angemessen bezahlt. „Die Frauen haben ihr eigenes Geld reingegeben, auch ich, es gab Jahre, wo ich bis auf Miete und Nahrung alles Geld, was ich verdient habe, hergab, um das FFBIZ zu retten. […] Frauen wie ich, die viel und ohne ökonomische Rücksichtnahme sozusagen gearbeitet haben, dürfen sich auf ein paar hundert Euro Rentenanspruch einstellen.“ Das sind Erfahrungen, die viele Frauen aus Frauenprojekten heute machen.

2014 wurde Ursula Nienhais mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für ihr jahrzehntelanges Engagement in der Frauenforschung und im FFBIZ geehrt.  Als Vorstandsfrau und später als ‚einfaches‘ Vereinsmitglied stand sie dem Frauenbildungsprojekt noch lange mit Rat und Tat zur Seite. Sie verbrachte ihre letzten Lebensmonate in einem Berliner Altenheim, wo bürgerliche Frauen des Frauenclubs Soroptimists sie unterstützten.

*Etliche biografische Informationen sowie die Zitate stammen, sofern nicht anders vermerkt, aus einem Text von Gabriele Göttle aus der taz von 2004).

April 2020 – Die Kölner Amazone

Die Skulptur der speerschwingenden, nackt reitenden Frau zierte zwischen 1922 und 1943 den Friesenplatz, wo damals der Kölnische Kunstverein – einem Kunsttempel gleich – seine heiligen Hallen öffnete. Gestaltet hatte die Amazone der berühmte Münchener Bildhauer Franz von Stuck (1863 – 1928).

Nacktheit im öffentlichen Raum war noch kurz zuvor heiß umkämpft: Im Reichstag war um 1900 im Zuge der Debatte um das sogenannte ‚Lex Heinze‘ diskutiert worden, ob alle Skulpturen mit nackten Menschendarstellungen abgebaut oder bedeckt werden sollten.

Im Juni 1943 wurde das Gebäude des Kunstvereins zerstört. Auch ‚unsere‘ Kölner Amazone erlag den Bomben des 2. Weltkriegs.

Amazonen lassen sich dem Topos der Femme fatale zuordnen, die gerade im 19. Jahrhundert und zur Jahrhundertwende häufig dargestellt wurde – übrigens vor allem von Männern. Kämpfende, bewaffnete Frauen wirkten damals umso monströser, weil Frauen in dieser Zeit – trotz historischer Frauenbewegung – mehr denn je auf Sanftheit, Gehorsam und Gebärfähigkeit reduziert wurden.

Bei aller Beliebtheit der Amazone in dieser Epoche ist das Motiv in frauenemanzipatorischer Hinsicht ambivalent. Selbst wenn die Frau als mächtig, stark und kämpferisch symbolisiert wird, bleibt das Motiv eine patriarchale Konstruktion: Es folgt einem Distanzierungsschema, durch das das Bild der kämpferischen Frau sexualisiert und diffamiert wird. In einer anderen Lesart erscheint die Amazone jedoch – damals wie heute – als Ruhestörerin im Kampf um starre Konstruktionen von Geschlechteridentität.

Im 20. Jahrhundert eignen sich Künstlerinnen das Motiv der mit Waffen kämpfenden Frau an. Dies geschieht seltener mit Angst-Lust besetzt (wie bei den Künstlern des Fin de siècle), sondern vielmehr mit Lust an der ironischen Subversion: Ein Beispiel für solche Formen der ironischen Aneignung des Motivs ist die Videoperformance »Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin« der früher in Köln lebenden Künstlerin Ulrike Rosenbach von 1978, in der sie mit Pfeil und Bogen auf ein Madonnenbild von Stefan Lochner schießt, in dem als Video-Montage zugleich ihr eigenes Konterfei erscheint. Rosenbach selbst schreibt dazu: “Das Madonnenbild repräsentativ, unnahbar, schön, sanft und scheu und als Klischee traditionell ein Image der Frau, ziemlich abgeschmackt, findet sich in mir wieder. Indem die Pfeile das Bild treffen, treffen sie auch mich” (vgl. Ulrike Rosenbach, In: Medien Kunst Netz, http://www.medienkunstnetz.de/werke/glauben-sie-nicht/, zuletzt gesehen am 20.12.2019).

Die Dichotomie von Amazone einerseits und Madonna andererseits wird so als anhaltend wirkungsmächtige normative Formation weiblicher Subjektivität kenntlich gemacht und gleichzeitig ironisch unterlaufen.

März 2020 – Frauke Mahr

Erste Preisträgerin des Else-Falk-Preises Frauke Mahr

Frauke Mahr bei der Preisverleihung im Rathaus am 6.3.2020 © Marlies Hesse

Frauke Mahr wurde am 03. Juni 1953 in Köln im Klösterchen in der Jakobstraße geboren, ‚kölscher‘ geht es kaum! Und sie wurde am 6. März 2020 – kurz vor der Corona-bedingten Schließung öffentlicher Räume – als erste Preisträgerin mit dem Kölner Else-Falk-Preis ausgezeichnet. Wer ist diese Frau?

Frauke Mahr wuchs als Tochter von Irmgard Mahr (geb. Basse) und Peter Mahr mit fünf Geschwistern auf, zunächst auf einem Dorf. Schon in der Kindheit gab es mehrere bedeutende Einflüsse auf ihre zukünftige Persönlichkeit: Da war einerseits die Situation der Mutter als geschiedene Frau – in einem katholischen Dorf im Selfkantkreis eine prekäre Position. Sodann gab es Nachwirkungen der NS-Ideologie in der Erziehung, aber auch erste „politische“ Interessenbildung „durch gemeinsames Fernsehen mit dem Großvater mütterlicherseits.“ (alle Zitate Email vom 31.03.2020 an die Verfasserin).

Frauke Mahr besuchte die Grundschule Heinsberg VI Randerath/Porselen-Horst, anschließend noch ein halbes Jahr die Grundschule in Brühl, es folgte das dortige Ursula-Lyzeum bis zur mittleren Reife und abschließend die Fachoberschule.

 Beruflich schwankte sie zunächst zwischen den Zielen Werbetexterin oder Journalistin. Sozialpädagogik stand nicht auf der Liste! Aber es kam ganz anders. Einerseits begleitete sie schon früh das Thema Nationalsozialismus: „Ich denke einerseits durch die in dieser Ideologie eingefärbte Erziehung, die ich erlebt habe und vielleicht auch durch Gespräche von Erwachsenen, die ich als Kind mitgehört haben könnte, vor allem aber durch das gemeinsame Fernsehen mit meinem Großvater in den Ferien. Er pflegte den Internationalen Frühschoppen mit Werner Höfer zu schauen und ich schaute mit.“ Sie lernte dort den „Verband der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) mit Ferdi Hülser und Heinz Humbach kennen, zudem war sie tief von der indisch stämmigen Journalistin Roshan Dhunjibhoy beeindruckt, die oft in der Sendung mit diskutierte. „Irgendwann stieß ich natürlich auch auf ‚amnesty international‘.“

Eines Tages nahm die Auszubildende in einer Werbeabteilung eines Kölner Unternehmens eher zufällig – in Vertretung eines erkrankten Amnesty-Gruppenmitgliedes – an einem Treffen von Friedensforschern in Römlinghoven bei Bonn teil. Dort lernte sie politisch aktive Männer wie Ansgar Skriver (u.a. Aktion Sühnezeichen) und aufgeklärte ‚Kirchenmänner‘ kennen. „Ich war sehr beeindruckt von den Gesprächen und Diskussionen um ‚Wiedergutmachung‘ und die klaren Aussagen zu den Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus. Ich habe dann leise jemand gefragt, was denn ein Mann, der gerade gesprochen hatte, von Beruf sei und mir wurde gesagt, er sei Sozialarbeiter.“ Sie schloss daraus, Sozialarbeit zu studieren impliziere, sich an der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen zu beteiligen. „… und da wusste ich, da will ich dabei sein, das ist mein zutiefst empfundenes Anliegen, Werbung und Journalismus waren erledigt.“

Sofort setzte sie ihren Wunsch in die Praxis um und begann mit einer Sondererlaubnis der Bezirksregierung Köln verspätet das Studium an einer Fachoberschule für Sozialpädagogik/Sozialarbeit. „Von 1973 bis 1976 studierte ich an der Staatlichen Fachhochschule Köln, Fachbereich Sozialpädagogik und schloss 1977 mit der staatlichen Anerkennung ab. Meine Abschlussarbeit hatte ich zur „Psychologie des Vorurteils“ geschrieben, unter besonderer Berücksichtigung der Misogynie.“ In der Arbeit führte sie alte und neue Themen zusammen, Nationalsozialismus und Frauenfeindlichkeit.

Spätestens seit ihrem Studium war Frauke Mahr frauen- und mädchenpolitisch bewegt. Bei Prof. Maria Mies war sie in Kontakt mit Problemlagen von Frauen gekommen, u.a. Gewalt in der Ehe. Sie wurde eine der Gründerinnen des ersten kommunalen Frauenhauses der Bundesrepublik in Köln. In dem von der Professorin, den Studentinnen und der über 80-jährigen ehemaligen Sozialarbeiterin Christa Thomas gemeinsam angeregten und gegründeten Frauenhaus leistete sie das obligatorische Anerkennungsjahr. Dort verlegte sie sich u.a. auf Öffentlichkeitsarbeit. „Ich zählte mich auch zur Kölner Frauenbefreiungsaktio (FBA), die ein Frauenzentrum in der Eifelstraße 33 unterhielt. Und als sogenannte ‚Bewegungslesbe‘ war ich zudem sehr sendungsbewusst und aktiv.“

Danach benötigte sie eine bezahlte Stelle und gelangte eher zufällig zur Altenarbeit. „Das war aber auch viel Frauenarbeit.“ Ab 1977 war Frauke Mahr für 13 Jahre bei der Clarenbachwerk Köln gGmbH angestellt, leitete zunächst die „Abteilung Aktivierung und Betreuung“ zur Entwicklung und Umsetzung neuer Konzepte und Betreuungsformen für die über 700 Bewohner*innen in den acht Alten- und Pflegeheimen mit gerontopsychiatrischen Stationen. Ab 1985 leitete sie eines der Alten- und Pflegeheime des Trägers mit 108 Bewohner*Innen.

Bereits in den 1970ern während der Arbeit im Frauenhaus hatte sie ein Schlüsselerlebnis mit einem traurigen oder wütend machenden Mädchenschicksal, als ein dreizehnjähriges Mädchen immer stiller und immer dicker wurde, aber keine den wahren Grund mitbekam. Noch gab es kaum Berichte über Missbrauch. „Sie war von ihrem Stiefvater über lange Zeit vergewaltigt wurden und war inzwischen schwanger. Die Mutter des Mädchens hat dann sehr viel Druck ausgeübt und so wurde das Baby sofort nach der Geburt zur Adoption frei gegeben. Das war für die Tochter schlimm. Dieses Erlebnis ist jetzt weiter über vierzig Jahre her und doch bleibt sowas hängen.“

Im November 1987 veranstaltete der „Kölner Verein zur Weiterbildung für Frauen“ (später Verein FrauenSicht) die erste bundesweite Fachtagung für Frauen zum Thema ‚Sexueller Missbrauch von Mädchen und Frauen‘. Er brach ein Tabu! Aus dieser Tagung gingen in Köln und bundesweit Initiativen für Mädchenhäuser hervor. Sie sollten breitgefächerte Hilfeangebot für Mädchen und junge Frauen in Krisen und Konfliktsituationen entwickeln. In Köln wurde sehr bald nach der Tagung Beratung für Mädchen und junge Frauen nachgefragt und entwickelte sich damit zum ersten Baustein des geplanten Hilfeangebots. Das nächste Ziel war der Aufbau eines Mädchencafés als offener Treffpunkt mit Freizeit- und Bildungsangeboten für Mädchen und junge Frauen, also die Idee parteilicher Mädchenarbeit im Rahmen der offenen Jugendarbeit. In dieser Phase stieß Frauke Mahr zu der Initiative für das Mädchenhaus (damaliger Name der Initiative). Zu ihren Aufgaben gehörte Konzeptarbeit und sehr bald auch Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Die Sichtbarmachung der Lebenslagen von Mädchen, ihrer Diskriminierung auf verschiedenen gesellschaftlichen Feldern und das Aufzeigen ihrer Gefährdungen durch sexualisierte Gewalt wurde zum Mittelpunkt des folgenden Berufslebens. Parallel begann sie eine Ausbildung als Supervisorin und arbeitete fast 30 Jahre auf diesem Feld.

Aus dem Verein Mädchenhaus wurde der Verein „LOBBY FÜR MÄDCHEN“ – Mädchenhaus Köln. Er ist heute ein anerkannter Träger der Jugendhilfe und wirkt frei, gemeinnützig und mildtätig. Er unterhält eine anerkannte Erziehungsberatungsstelle mit der Spezialform Mädchenberatung in Köln-Ehrenfeld und zwei Mädchenzentren. Zum Mädchenzentrum in Köln-Mülheim gehört ebenfalls ein Beratungsangebot. Das Mädchenzentrum öffnete 1998 als “interkultureller offener Mädchentreff“ seine Tore für Mädchen ab 10 Jahren aus 16 verschiedenen Nationen. Später installierten die geschäftsführung zusätzlich eine Online-Beratung für Mädchen und junge Frauen aus Köln und Umgebung. Die Arbeit der LOBBY FÜR MÄDCHEN setzt an den Stärken und Kompetenzen der Mädchen und jungen Frauen an, will sie empowern, individuelle Lösungsschritte zu entwickeln und ihr Selbstwertgefühl zu stärken.

Frauke Mahr wurde im April 1991 Gesamtkoordinatorin und im Juli 2019 Geschäftsführender Vorstand des Vereins LOBBY FÜR MÄDCHEN. Sie gewann sehr früh die Erkenntnis, dass zu einer erfolgreichen Frauenpolitik auch eine eigenständige Mädchenpolitik gehört. An dieser mangelte es jedoch in Köln. Ihr war wichtig, eine solche Arbeit zu verstetigen. Um für die Projekte zur Verbesserung der Lebenslage von Mädchen und jungen Frauen zu sensibilisieren, erwies sich Frauke Mahr als Genie der Öffentlichkeitsarbeit, u.a. als Herausgeberin des Magazins LOBBY FÜR MÄDCHEN. Ihr Ziel, dass die Politik mehr Geld für die Mädchenarbeit geben und den Fachverstand der Träger nutzen solle, verfolgt sie seit Jahren an allen wichtigen Schauplätzen. „Wenn man sieht, wieviel Geld zum Teil für Beratungsgesellschaften rausgeschmissen wird, die ein hohes materielles Eigeninteresse haben, geht es mir darum nicht. Mein Interesse ist es, dass das Fachwissen, was über lange Jahre durch die konkrete Arbeit und theoretische Auseinandersetzung erworben wurde, mehr abgefragt wird.“ Sodann schaffte sie es, viele Firmen und Gruppen als dauerhafte Unterstützer zu gewinnen. Die von ihr geplanten Aktionen und Benefizveranstaltungen fanden dazu ungewöhnliche Veranstaltungsorte, so einen Hörsaal der Rechtsmedizin für eine Benefizlesung mit Regina Schleheck und der Combo Viato.

2016 gründete sie mit den Teilnehmerinnen des bestehenden Arbeitskreises “Gegen gewalt an Frauen” die „Kölner Initiative gegen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum“. Die Initiative entwickelte ein Konzept dezentraler Schutzorte für Mädchen und Frauen, setzte die Idee einer mobilen Beratungsstelle für Großveranstaltungen um und stellte zuletzt eine unterstützende Smartphone-Anwendung vor. Unter dem einprägsamen Namen und Bild EDELGARD wird die Forderung nach einem gewaltfreien Leben für Mädchen und Frauen vertreten. Mädchen sollen genauso feiern und rumlaufen können, wie sie es möchten. Die Stadtgesellschaft, insbesondere aber Kölner Unternehmerinnen und Unternehmer – von Apotheken über Buchhandlungen und Restaurants bis hin zur Zoohandlung sollen und wollen dazu beitragen und machen dies mit einem Aufkleber an der Tür sichtbar. Auch hier ist Frauke Mahr eine effektive Pressesprecherin. Ob gegen Sexismus im Karneval, sexualisierte Werbung im öffentlichen Raum, unverständliche Gerichtsurteile oder misogyne Artikel und Leser*inbriefe in der Lokalpresse: Frauke Mahr ist stets eine aufmerksame Kritikerin und Anwältin der Mädchen und Frauen.

Neben dem Werben „für“ hat Frauke Mahr nie das das klare und eindeutige „gegen“ gescheut, wie es in ihrem erfolgreichen Engagement gegen einen Sponsoring-Vertrag der Pascha-Tabledance GmbH mit dem Fan-Projekt des 1.FC Köln im Jahr 2005 deutlich wurde oder ihrer Beteiligung an der Podiumsdiskussion „Kulturort Bordell?“ (2007).

Eine andere Zielrichtung verfolgte das Projekt Sternschnuppe. Gemeinsam mit Astrid Peter, Sonia Bach und später weiteren Frauen konzipierte Frauke Mahr Ende der 1990er Jahre die Idee eines wertschätzenden Preises von Frauen für Frauen. Nachdem die erste geehrte Inge von Bönninghausen ausgezeichnet war, wurde dem Preis der Beiname “Inge-von-Bönninghausen-Preis“ zugefügt. Er wurde für Zivilcourage, Unbestechlichkeit und besonderes feministisches Engagement verliehen.

„Geadelt“ wurde ihr großer Einsatz für Frauen- und Mädchenrechte u.a. durch Kritik von rückwärtsgewandten Männerrechtlern auf der Internetseite Wikimannia. Ansonsten erfuhr sie Ehrungen durch ernstzunehmende Institutionen wie 2011/12 den NRW-Preis Mädchen & Frauen im Sport) als Teil des Aktionskreises “Rote Karte – Stadtsportbund Köln e.V.”. Der NRW-Preis galt als Anerkennung des Gremiums, das in seiner sozialen Arbeit auch im Sektor Sport Herausragendes leistete, um das Ziel, eine partnerschaftliche und geschlechtergerechte Entwicklung des organisierten Sports zu erreichen. – Zu Recht wurde sie 2020 die erste Preisträgerin des Kölner Else-Falk-Preises für außerordentliche Leistungen auf dem Gebiet der Gleichstellung der Geschlechter. Er wurde ihr am 6. März 2020 im Historischen Rathaus von der Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Gleichstellungsbeauftragten Bettina Mötting feierlich verliehen. Frauke Mahr hielt dabei eine sehr berührende Rede.

Februar 2020 – Ursula Linnhoff

Unsere Frau des Monats Februar: Ursula Linnhoff (geb. 1936, gest. am 10. Februar 2011)

Ursula Linnhoff wurde am 27. September 1936 in Wuppertal geboren. Sie starb am 10. Februar 2011. Sie war eine lesbische Sozialistische Feministin und arbeitete als Publizistin sowie freiberufliche entwicklungspolitische Gutachterin in Köln.

Ihren Todestag nehmen wir zum Anlass der Erinnerung an ihr feministisches Wirken in Köln und weit über Köln hinaus.   

1969 zog Ursula Linnhoff nach Köln und arbeitete im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit als entwicklungspolitische Gutachterin. Sie weilte zu längeren Aufenthalten in Südamerika und bezeichnete sich damals als Wissenschaftlerin im Staatsdienst. Nach wenigen Jahren der Berufstätigkeit begann sie, im Jahr 1971 an der Universität zu Köln Soziologie zu studieren und schied mit 35 Jahren – wie sie selbst in der e-f-a schrieb – “aus dem etablierten Berufsleben aus”. Sie wurde freie Expertin für Entwicklungshilfe, war in der Erwachsenenbildung und als Journalistin tätig.

Ab 1971 engagierte sie sich auch in der Neuen Frauenbewegung und stellte diesen politischen Zusammenhang als ihre wichtigste Identifikationsbasis dar. Zunächst war sie in einer eher bürgerlichen Gruppe, dem Frauenforum Köln e.V., aktiv. 1971 nahm sie jedoch dann an der Tagung der Radikalfeministinnen in Frankfurt am Main, dem Bundesfrauenkongress, teil, auf dem entschieden wurde, dass die Gruppen der Aktion 218-Gruppen Aktion 218 Köln zukünftig separat, d.h. ohne Männer, vorgehen sollten. Dieser Kongress am 11.-12. März 1972 markiert für einige ForscherInnen den Beginn der Neuen Frauenbewegung. 

1972 gründete Ursula Linnhoff dann in Köln gemeinsam mit anderen Frauen die Gruppe Sozialistisch-Feministische Aktion / SOFA Köln. Schwerpunkt dieser Organisation war die Auseinandersetzung mit dem herrschenden kapitalistischen und patriarchalen System und der Versuch, den Kampf gegen den Kapitalismus und gegen das Patriarchat zu vereinen. 

Im Redaktionskomitee der Zeitschrift e-f-a verantwortete Ursula Linnhoff mehrere Ausgaben und verfasste Artikel und Gedichte.

Mit ihrem 1974 in Köln bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Sammelband “Die neue Frauenbewegung. USA – Europa seit 1968” machte sie sowohl die wichtigsten Texte der Women’s Liberation zugänglich, die seit Mitte der 1960er Jahre erschienen waren, als auch Grundlagentexte bundesdeutscher, ideologisch unterschiedlich ausgerichteter Frauengruppen, u.a. der Kölner Frauengruppen S.O.F.A. und der radikalfeministischen Frauenbefreiungsaktion (FBA), in der circa 200 Frauen organisiert waren. Ziel der Publikation war es, die Neue Frauenbewegung als weltweites (westliches) Phänomen zu vermitteln und die unterschiedlichen theoretischen politischen Ansprüche, die verschiedenen Strategien und Praxen zu dokumentieren. 

Eine weitere politische Heimat war für sie die Homosexuellenemanzipationsbewegung. Als Sozialistin forderte sie ein allgemeinpolitisches Engagement von Lesben: “In dem Moment aber, wo die weiblichen Homosexuellen es fertigbringen, ihre Sozialisierungszwänge zu verlassen, in dem Moment werden auch sie für alle, die auf eine progressive Veränderung der Gesellschaft hinzielen, zu wertvollen Verbündeten. Damit ist dann die Sache der weiblichen Homosexuellen zu einem Faktor in einem übergreifenden, nicht mehr individuellen, sondern gesellschaftlichen Anliegen geworden” (e-f-a-, Jg. 1, 1973, H. 1, S. 17).

Ursula Linnhoff starb mit 75 Jahren. Sie ist auf dem Poppelsdorfer Friedhof in Bonn beerdigt.

In einem Nachruf auf sie aus dem Frauenarchiv FFBIZ in Berlin schrieb vermutlich dessen damalige Leiterin, Ursula Nienhaus, mit Bezug auf Linnhoffs Buch über Schriftstellerinnen und Kämpferinnen des 19. Jahrhunderts:

“Als wir 1978 das FFBIZ gründeten, konnten wir an solche, uns lebhaft vorgestellte weibliche Traditionen anknüpfen und dabei lernen, das (sic!) ‘Frauengeschichte’ und gender studies für nachfolgende Generationen besser bewahrt werden müssen.” 

Sie finden den Nachruf des FFBIZ auf Ursula Linnhoff im Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Artikels über Ursula Linnhof, den Irene Franken für das Frauen-Wiki des Kölner Frauengeschichtsvereins verfasst hat.   

Januar 2020 – Annette Kuhn

Die Historikerin Annette Kuhn, eine bedeutende Pionierin der Frauengeschichtsforschung in Deutschland, verstarb am 29. November 2019 in Bonn.

Am 22. Mai 1934 als Tochter jüdischer Eltern in Berlin geboren, evangelisch getauft, bleibt sie zeitlebens ohne Geburtsurkunde. Die jüdische Herkunft der Familie, Grund für die Flucht ins amerikanische Exil, verschweigen Annette Kuhns Eltern systematisch. Sie wächst in bürgerlich-privilegiertem Milieu mit dieser Lebenslüge auf und erfährt die Wahrheit erst im Nachlass der Mutter und schreibt über das Problem in ihrer im Berliner Aufbau-Verlag erschienenen Autobiografie „Ich trage einen goldenen Stern – Ein Frauenleben in Deutschland“ (2003).

Die Familie kehrt 1949 nach Deutschland zurück. Acht Jahre später konvertieren sie zum Katholizismus. Die Sprechtabus bleiben. Nach Studium in München und Promotion über Hegel wird Annette Kuhn mit knapp 30 Dozentin und dann Professorin für Didaktik der Geschichte an der Universität Bonn. Zur Zeit der Studentenbewegung steht sie qua Amt ‘auf der anderen Seite’, agiert aber als moderate Verhandlungspartnerin. Ende der siebziger Jahre nimmt Kuhn politische Ziele und Forderungen der Neuen Frauenbewegung auf. Als Historiker wie Joachim Fest zu Unrecht behaupteten, Frauen hätten Hitler an die Macht gebracht, fokussierte Kuhn zunächst auf die Opferrolle von Frauen im NS. Sie forderte damit heraus, dass sich Historikerinnen auch mit Täterinnenschaft befassen.

An der Uni entwickelt Kuhn die Disziplin der Frauengeschichte, baut eine wissenschaftliche Bibliothek auf und setzt durch, dass ihr Lehrstuhl um das Gebiet Frauengeschichte erweitert wird. Die männlichen Kollegen führen einen zermürbenden, formal-juristischen Kampf gegen Kuhn, betreiben ihren Ausschluss aus dem Prüfungsausschuss, da die Herren ihre patriarchale Sicht auf die Geschichte als einzige und objektive bedroht sehen.

Mit Valentine Rothe und anderen Herausgeberinnen gibt Annette Kuhn neben ihrer Lehrtätigkeit u.a. eine umfassende didaktische Reihe, Quellenbände zu NS – und Nachkriegszeit sowie das Nachschlagewerk „Chronik der Frauen“ heraus. Es folgen eine Ausstellung im Bonner Frauenmuseum und die Gründung von „metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis.“

Nach Kuhns Emeritierung wird der frauengeschichtliche Lehrstuhl aufgelöst, wogegen sich – vergeblicher – Frauenprotest erhebt.

Mit anderen Frauen zusammen gründet sie 2001 einen Verein, die  Annette-Kuhn-Stiftung zur Förderung frauenhistorischer Forschung und Bildung und eröffnet dann 2012 das „Haus der Frauengeschichte“ in der Bonner Altstadt, das von jungen Historikerinnen betrieben wird. Im Garten liegen Gedenksteine für die im KZ Ravensbrück ermordeten Frauen.

Mit 80 Jahren zieht sich Annette Kuhn langsam aus der aktiven Arbeit zurück. In die Diskurse nach der Jahrtausendwende über neue Feminismen, Intersektionalität, postkoloniale Studien und Critical Whiteness ist sie im Haus der Frauengeschichte eingebunden, aber schreibt sich nicht mehr selbst in sie ein. Anlässlich ihres 85. Geburtstags wird sie vom Team des Hauses der Frauengeschichte in kleiner Öffentlichkeit gefeiert.

Am 29.11.2019 stirbt Annette Kuhn nach schwerer Krankheit in Bonn. 

Aufgefallen ist mir, dass Annette Kuhn, wie viele Frauen vor ihr, strikt zwischen ihrem privaten und ihrem öffentlichen Leben getrennt hat. Sie stellte sich, wie sie schreibt, nie durch Heirat „unter die Obhut eines Mannes“. In ihren Beziehungen mit Frauen entsprach sie „dem Bild des unpraktischen Professors“ und nahm in klassischer Arbeitsteilung die Versorgungsleistungen ihrer Partnerin dankbar in Anspruch. Über ihre sexuelle Orientierung als Lesbe sprach und schrieb sie nicht direkt: Sie hielt dies für eine reine Privatangelegenheit, die Andere nichts angeht und daher keiner „Bekenntnisse“ bedarf. Kuhns Biografin Barbara Degen schreibt, dieses Schweigen erinnere sie an das Schweigen der Eltern zum Jüdischsein. 

Der Kölner Frauengeschichtsverein wird Annette Kuhn und ihr Werk in Erinnerung halten.

© Ina Hoerner