März 2021 – Auguste (Gussie) Adenauer

Auguste (Gussie) Adenauer (1895 – 1948)

aber ihr wurde eine fundierte Ausbildung verwehrt.  Als Anfang 20-Jährige entschied sie sich, die Stiefmutter  der drei Kinder des verwitweten Politikers Konrad Adenauer zu werden. Sie hat mit dem häufig abwesenden, weil politisch so erfolgreichen Mann die Familie noch  vergrößert. Die elegante Frau hielt sich meist im Hintergund, nur einmal äußerte sie sich öffentlich zur Politik.

Bedingt durch psychische Folter in der NS-Zeit  verlief ihr restliches Leben tragisch.

Gussie Adenauer, geb. Zinnser (1895-1948) © KAS

 Auguste (Gussie) Adenauer

Augustes Vater war der Dermatologe Prof. Dr. Ferdinand Zinsser, der einen Teil seiner Kindheit in den USA verbracht hatte. Über die Mutter Wilhelmine (Minna) Tourelle ist wie so häufig nicht viel bekannt, das Paar war ggf. Cousin und Cousine. Die Familie war protestantisch und lebte in der Lindenthaler Haydnstraße 7-9. Während Bruder Ernst, der ca. acht Jahre jünger war, studieren und Architekt werden konnte, wurde dies der Tochter nicht zugestanden, obwohl seit 1908 in Preußen das Frauenstudium erlaubt war. Immerhin erhielt die begabte Tochter eine fundierte kulturelle Bildung, sie spielte hervorragend Geige.

1911 zogen die Familie Zinsser in die Max-Bruch-Straße Nr. 6, benachbart zum Stadtverordneten Konrad Adenauer, seiner Frau Emma und deren drei Kindern. Die Familien pflegten bald ein freundschaftliches und zwangloses Verhältnis. 

Die neue Frau Adenauer

 Nachdem Emma Adenauer 1916 verstorben war verspürte Konrad Adenauer das Bedürfnis, seinen Kindern bald eine neue Mutter andienen zu können. Gussie Zinsser und Konrad Adenauer verband die Liebe zur Natur, zum Gärtnern und zur Musik, sie schrieben sich zunächst ganz züchtig zahllose Briefe. Der 40-jährige Adenauer verjüngte sich in diesen Monaten äußerlich, was sicher nicht nur politisch motiviert war (Beginn des demokratischen Staates 1918). Vier Jahre nach Emmas Ableben heiratete die 24-jährige Gussie den hochrangigen Kölner Repräsentanten der Stadt und kümmerte sich um die drei Kinder Konrad, Max und Maria, die zwischen sieben und 13 Jahre alt waren. Zuvor war sie zum katholischen Glauben konvertiert, was ihr nach Erinnerung ihrer jüngsten Tochter Libet nicht leicht fiel: „Sie hatte Mühe, sich mit dem starren Geboten zurechtzufinden. Ihre Religiosität war unmittelbarer. Ihre Liebe zu Gott ermöglichte ihr jedoch ein tiefes Verständnis vieler Heiliger.“ (Werhahn, Libet s.u., S. 80) Die Konversion hielt sie nicht davon ab, weiterhin Ideen einer Ökumene anzuhängen.

Unentbehrliche Ratgeberin und Mutter

Ab 1921 folgten fünf Geburten; das erste Kind starb, was sicher nicht leicht zu bewältigen war. Die folgenden vier Kinder überlebten (Paul, Charlotte, Elisabeth/Libet und Georg). Der Ehemann war viel unterwegs und hatte oft Kopfschmerzen, so prägte die Mutter „die häusliche Atmosphäre…, dem heiteren Lebensstil ihres Elternhaus folgend, förderte warmherzig und lebensbejahend ein fröhliches, abwechslungsreiches Familienleben.“ (ebenda) Das Paar tauschte sich über Politik aus und Gussie wurde ihrem Mann eine unentbehrliche Zuhörerin und Ratgeberin; sie teilte seine Erfolge und seine Zweifel, z.B. angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen. Die elegante Frau Adenauer begleitete ihren Mann auch gerne nach Berlin, wo dieser als Mitglied des Staatsrates agierte. Sie nahm Termine wahr egal ob in Bergmannsmontur bei der Fahrt in einen Kohlenschacht oder im feinen Seidenkleid bei der kulturelle Veranstaltung. Die Mutter von sieben Kindern wusste sich zuhause von einer ausgebildeten Kindergärtnerin unterstützt, beide Frauen waren Anhängerin der Pädagogik von Maria Montessori.

Grabstätte von Konrad Adenauer und seinen zwei Ehefrauen nebst dem als Säugling verstorbenen Kind Ferdinand auf dem Waldfriedhof in Rhöndorf, © Die Turmkoop/Irene Franken

 Die Neu-Katholikin wurde zur Bezirksvorsitzenden im Ortsverein Köln des einflussreichen Katholischen Deutschen Frauenbundes gewählt. Die Mitwirkung im Deutschen Roten Kreuz war ein Zeichen nationaler Verbundenheit. 1929 ließ sie sich in den geschäftsführenden Arbeitsausschuss des Frauenbeirates der Kölner Zentrumspartei wählen. Ebenso engagierte sie sich für Künstlerinnen, wurde 1929 Mitgründerin des Frauen-Kunstverbandes Gedok und förderte jüngere Frauen als sog. Kunstfreundin. Diese luden z.B. Musikerinnen oder Rezitatorinnen in ihre repräsentativen Behausungen ein und ermöglichten ihnen Aufführungspraxis oder stellten Kunstobjekte aus. Diese Mitgliedschaft brachte sie in Kontakt mit vielen nichtkonfessionell engagierten Frauen des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine, u.a. mit Else Falk, der bedeutendsten Kölner Frauenrechtlerin der Weimarer Spätzeit, mit der Zionistin Rosa Bodenheimer oder der Sozialdemokratin Dr. Hertha Kraus.

Als die Verhältnisse auf eine Nazi-Diktatur zuliefen, ergriff sie Partei. Am 25.2.1933 unterschrieb sie mit anderen prominenten katholischen Frauen einen Wahlaufruf und legte den Kölner Frauen die Wahl der Liste 4 (Deutsche Zentrumspartei) bei der Reichstags-Wahl am 5.3. und der Kommunalwahl am 12.3. nahe. Der Aufruf sprach sich nicht explizit gegen die Nazis aus, wohl aber „gegen Straßenterror und hemmungslosen Hass.“ Laut der Konrad Adenauer Stiftung erlitt sie dafür „Diffamierungen und Drohungen der Nationalsozialisten.“ Das war vermutlich Gussie Adenauers erste und letzte explizit politische Äußerung.

Leben in Gefahr

Ihr Ehemann wurde von der NSDAP noch im März 1933 seines Amtes enthoben, obwohl er Anfang der 1930er Jahre durchaus offen war für eine Koalition mit der NSDAP. Trotz der erkennbaren Beliebtheit bei vielen Kölner:innen gab es nach seiner unehrenhaften Entlassung kaum öffentliche Solidarisierungen. Konrad und Gussie Adenauer und die Kinder vermieden 1934 durch Wegzug nach Potsdam offene Anfeindungen, Konrad Adenauer hoffte jedoch vergeblich, dort eine neue Anstellung zu finden. 

Im weiteren Verlauf der NS-Diktatur wurde Auguste Adenauer für ihren Mann eine große Stütze. Laut der Freundin des Hauses Dora Pferdmenges gab sie ihm die Kraft, das Leben ohne Amt und im Versteck zu ertragen. Der tatenlose 60-Jährige erwies er sich in dieser Zeit als strenger Patriarch; der Alltag von Gussie und den vier im Haushalt verbliebenen Kindern muss bisweilen hart gewesen sein, da sich Konrad intensiv in das Leben seiner Kinder einmischte, sofern er nicht wegen Verhaftungsdrohungen oder Ausweisungen abwesend war. Als sich keine neue Arbeitsmöglichkeit ergab, beschloss die Familie 1935, nach Rhöndorf im Siebengebirge zu ziehen. Das bald bezogene Wohnhaus, heute ein Museum, hatte Gussies Bruder Ernst entworfen. Mit Gussies Hilfe konnte Konrad Adenauer nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 und der kurzfristigen Inhaftierung auf dem Deutzer Messegelände in den Westerwald fliehen. Dadurch brachte er jedoch seine Familie und vor allem seine Frau in große Bedrängnis. Um auf die Ehefrau des prominenten katholischen Regimegegners Druck auszuüben wurde sie in der Gestapo-Zentrale am Appellhofplatz (EL-DE-Haus) in´haftiert, wo ihr Gewalt angedroht wurde, wenn sie nicht den Aufenthaltsort ihres Mannes preisgebe. Auch wurde in Aussicht gestellt, bei Weigerung die Töchter im Gestapokeller zu inhaftieren. Nach wenigen Tagen verlegten die NS-Schergen sie nach Brauweiler. Die sechszehnjährige Tochter Libet besuchte sie dort und fand eine gebrochene Frau vor: „Sie schaute mich apathisch an. Ihre Augen waren tiefdunkel umschattet. Sie können sie bald wieder haben, sagte man mir. Wir sind ihrem (sic) Vater auf der Spur.“ (Werhahn, S. 86).

Von den Nazis gebrochen

Gussie hatte unter der Drohung gegen die Töchter das Versteck ihres Mannes verraten – und dieser wurde aufgegriffen. Den Tag der Silbernen Hochzeit am 25. September 1944 verbrachte das Paar – unwissend – benachbart im Gestapo-Gefängnis Köln-Brauweiler, aber getrennt in der Frauenabteilung resp. Männerabteilung. Beide erlebten unvergessbare Gräueltaten und mussten dort laut einer Aussage Konrad Adenauers Folterungen anhören.

 Aufgrund ihres hohen moralischen Ethos konnte Auguste Adenauer sich die Preisgabe des Verstecks nicht verzeihen. Sie unternahm in Haft einen Suizidversuch. Diese Handlung, mit der sie die Gebote ihrer Religion vestieß, spiegelt ihre seelische Not wider. Daraufhin wurde sie freigelassen. Sie litt aber noch länger an den Folgen ihrer schweren Tablettenvergiftung.

Auch wenn der Ehemann ihr nie einen Vorwurf machte wurde sie ihres Lebens nicht mehr froh.

Die Entscheidung Konrads, wieder OB von Köln zu werden, trug die Familie mit, seine unehrenhafte Entlassung durch die Briten am 6. Oktober 1945 wegen angeblich unterlassener Pflichterfüllung traf Gussie Adenauer in ihrer psychisch instabilen Situation schwer. Sie erkrankte lebensbedrohlich. 1946 gründete Konrad Adenauer in der Britischen Zone die CDU, Gussie nahm anders als andere katholische Weggefährtinnen wie Christine Teusch keinen aktiven Anteil.

Am 3. März 1948 starb sie qualvoll im Beisein des 72-jährigen Ehemannes und einiger der Kinder mit nur 52 Jahren im Bonner Johanneshospital, – an den Folgen des misslungenen Suizids, wahrscheinlich kam eine Leukämie hinzu, aber sicher spielte auch Verzweiflung eine Rolle bei diesem frühen Tod. Auch die zweite Ehefrau ließ Konrad Adenauer als Witwer zurück. Tochter Libet erinnert sich: „Und unser Vater fiel (…) für mehrere Tage komplett aus. Er schloss sich ein und war für uns überhaupt nicht mehr erreichbar.“ (Werhahn). Diese Trauer erwähnte er später als einen von wenigen privaten Momenten in seinen Memoiren.

Ehrung

1963 wurde im Wenigerbachtal bei Bendorf ein Haus des Katholischen Deutschen Frauenbundes nach Gussie Adenauer benannt, es diente der Müttergenesung. Bundeskanzler Konrad Adenauer kam zur Einweihung am 25. Mai 1963, was wohl auch eine Intention der Namensgebung gewesen war, denn im Gefolge kamen viele geistliche Würdenträger und die Presse. Anneliese Debray begründete die Wahl der Namenspatin mit den Worten “Gussie Adenauer, Gefährtin und Helferin in Notzeiten und Verfolgung, als Bild der Ermutigung für viele Mütter, die täglich mit neuem Leide aus den Großstädten zu uns kommen”.

Irene Franken

Lit. und Links:

  • Werhahn, Libet (zus mit. Marlene Zinken): Im Wechselbad der Geschichte. Gussie Adenauer, in: Der unverstellte Blick. Unsere Mütter (aus)gezeichnet durch die Zeit 1938 bis 1958. Töchter erinnern sich, Opladen/Farmington Hills, Mich. 2008 , S. 80-89
  • Franken, Irene:
  • Gussie Adenauer – Die Frau an seiner Seite. In: Rita Wagner, Kölnisches Stadtmuseum (Hrsg.): Konrad der Große – Die Adenauerzeit in Köln 1917–1933. Nünnerich-Asmus, Mainz 2017, S. 25–27. (Begleitband zur Ausstellung Konrad der Goße im Kölnischen Stadtmuseum).
  • https://www.konrad-adenauer.de/wegbegleiter/a/adenauer-gussi
  • Sack, Birgit: Zwischen religioeser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/19 – 1933, Münster 1998
  • http://www.imsichtfeld.de/adenauerwelt/zuhause/
  • vgl. HAStK Best. 903 Billstein, Heinrich, A 364 Wahlaufruf

Februar 2021 – Maria Mies

Prof. Dr. Maria Mies im Januar 2018 © Kölner Frauengeschichtsverein, Fotografin: Irene Franken

 Immer wieder wird sie von jungen Frauengenerationen entdeckt – die Kölner Wissenschaftskritikerin und Aktivistin von Weltrang. Maria Mies schaffte den Aufstieg von der Eifler Bauerntochter zur Professorin, – eine Beispiel-lose Karriere.  Die Soziologin entwickelte Grundlagen-Diskurse zur Frauenforschung und beschäftigte sich besonders mit den Arbeitsbedingungen der Frauen des Südens. Sie ist bis heute eine der  bekanntesten und international meist vernetzten Kritikerinnen der Globalisierung. Am 9.2. 2021 wird Maria Mies 90 Jahre alt, – Anlass für eine  Würdigung!

Maria Mies wurde am 6.2. 1931 in der Vulkan Eifel geboren; sie war das siebte von zwölf Kindern.  Das Mädchen war sehr wissbegierig und schaffte es als erstes ihres Dorfes, den Besuch einer Höhere Schule durchzusetzen. Sie wurde zunächst – auf Umwegen – Lehrerin für Englisch und Deutsch, dann wurde ihr das Umfeld zu eng und sie zog in die Welt. Die Anregungen aus dieser agrarisch geprägten Kindheit nahm sie jedoch immer mit, u.a. später in ihrer Theorie der Subsistenzperspektive oder in den Titel ihrer Autobiografie: Das Dorf und die Welt.

Freiheitsliebe und Abenteuerlust führten die junge Lehrerin in den 1960er Jahren fünf Jahre lang an ein Goethe-Institut im indischen Pune (früher Poona). Dort unterrichtete sie junge Inder:innen in der deutschen Sprache – und machte erste soziologische Beobachtungen, wie sie in ihrer Autobiografie schildert: „Als ich nach Indien ging, war ich noch total unpolitisch. Im Goethe-Institut in Pune traf ich nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die Deutsch lernen wollen. Was bezweckten die Frauen damit, fragte ich mich. Eine indische Professorin für Anthropologie hat mir vorgeschlagen, eine Umfrage durchzuführen, was ich zuvor noch nie gemacht hatte. Das Ergebnis des Fragebogens ‚Why German?‘, also ‚Warum Deutsch?‘, war wie erwartet, was die Männer betraf: Sie gehen nach Deutschland, um

 Zurück in Deutschland ging sie folgerichtig an die Kölner Universität und forschte bei dem Soziologen Prof. René König zum Patriarchat in Indien und Deutschland. Ihre Dissertation von 1971 trug den Titel „Rollenkonflikte gebildeter indischer Frauen“ (veröffentlicht 1973 unter dem Titel “Indische Frauen zwischen Patriarchat und Chancengleichheit. Rollenkonflikte studierender und berufstätiger Frauen”.).  

Nicht zuletzt als Folge des Studiums in den bewegten Jahren 1968/69/70 wurde sie politische Aktivistin. Zunächst beteiligte sich die Studentin an mehreren Kölner Nachtgebeten in der Antoniterkirche, einer progressiven Form des politisch aufklärenden Gottesdienstes. So war sie am 5. Januar 1971  beim Nachtgebet zum Thema Frauenemanzipation beteiligt, was langfristige Folgen hatte:

„Eine Freundin hatte mich zu der Nachtgebetsgruppe mitgenommen und ich beschloss, dort mitzumachen. Ich war Studentin und trotz meiner Religionskritik noch in der Kirche“, heisst es in ihrer Autobiografie. „Ich wollte diese patriarchalischen Strukturen in einem Politischen Nachtgebet darstellen, kritisieren und zu Veränderungen aufrufen. […] Als Slogan für unser Flugblatt wählten wir einen von uns etwas abgeänderten Satz von Ernst Bloch: ‚Die Frau liegt (immer noch) unten.‘ “ Schon damals hatte sie die Abwertung der Frauenarbeit im Blick: „Der Kern unserer Kritik galt der üblichen familialen Arbeitsteilung: Der Mann ist der ‚Ernährer‘, der das Geld verdient. Die Arbeit der Hausfrau zählt nicht.“

Das Vorbereitungsgremium aus vier Frauen, darunter Dorothee Sölle, sprach sich für ‚männerfreie‘ Gruppen zur Selbstfindung aus. Nach Erlangung des nötigen Selbstbewusstseins könne es gemeinsam mit den Männern weitergehen; die angestrebten Veränderungen würden im Übrigen auch den Mann befreien. 

Diese Utopien wurden in der Tagespresse belächelt, aber von den anwesenden Frauen gut angenommen. Im Anschluss an den Abend, der wegen des Andrangs sofort wiederholt wurde, gründeten sich in Köln VHS-Kurse zu der Thematik, die über Jahrzehnte fortgeführt wurden, sie wurden für unzählige Frauen zum Auslöser von Emanzipationsprozessen. Und es bildete sich die erste lokale Frauengruppe der neuen Frauenbewegung, das Frauenforum Köln e.V.

1971 konnte der weite Begriff Emanzipation Frauen noch zusammenführen. Mit dem Erstarken des autonomen Feminismus und der Frauen in linken Vereinigungen erfolgten die ersten Abspaltungen. So haben sich1972/3 vom Frauenforum bald die Sozialistinnen abspalteten, sie gründeten die Sozialistisch-feministische Aktion (Sofa); Maria Mies war aber in keiner der beiden Gruppen aktiv. Sie bereitete ihre Uni-Karriere vor.

Maria Mies im Sommer 2013 © Kölner Frauengeschichtsverein, Fotografin: Gabriela Schaaf

Von 1974 bis 1977 führte sie im Rahmen eines Lehrauftrages an der Universität Frankfurt Seminare zur „Geschichte der Internationalen Frauenbewegung” durch. Diese Kurse waren von Frankfurter Studentinnen erstritten worden, um einen Lehrstuhl zur Frauenforschung  durchzukämpfen.  Maria Mies übernahm danach einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Köln für Sozialpädagogik an und wandte sich zunehmend feministischen Inhalten zu. Die 1. Internationale UN-Frauenkonferenz in Mexiko 1975 hatte Maria Mies weitere Erkenntnisse – und Fragen verschafft. Sie stellte fest, dass sie kaum etwas über die ‘alte’ Frauenbewegung in Europa, geschweige denn über die Bewegungen in anderen Teilen der Welt wusste, und dass sie dies auch ihren überwiegend weiblichen Studierenden nicht vermitteln konnte. Daraus folgte für sie: Es müssen neue Wissensfelder und neue Formen der Vermittlung her. Zwar sollten es keine Selbsterfahrungsgruppen sein, wie sie aus den USA herübergeschwappt waren, aber Frauenseminare, deren Inhalte praktisch-politisch umgesetzt werden konnten.

Erkannt – getan, sie richtete Frauenseiminare an der FH ein.

„Da war vor allem die Erfahrung der Gewalt: Um diese Zeit war von Erin Pizzey das erste Haus für geprügelte Frauen im Londoner Stadtteil Chiswick errichtet worden. Die Studentinnen beschlossen, auch in Köln ein Haus für geschlagene Frauen zu gründen.“  So war Maria Mies eine der ‘Hebammen’ des ersten Hauses für geschlagene Frauen, das aus der autonomen Frauenbewegung heraus entstand (vorher gab es erst eines des Berliner Senats).

1978 veröffentlichte die Soziologin ihren vielleicht meist rezipierten Text „Postulate der Frauenforschung“, der im deutschsprachigen Raum direkt großes Aufsehen erregte: Die Verfasserin verlangte nicht nur, den ‚subjektiven Faktor‘ der Forschenden offen zu legen, sondern sie forderte Parteilichkeit für Frauen, was gegen das Dogma der (vermeintlichen) wissenschaftlichen Objektivität verstieß. Nicht alle Wissenschaftlerinnen folgten ihr. 

Mies war schon lange Internationalistin, hatte früh begonnen, weltweit Kontakte zu knüpfen. 1979 begründete sie am Institute of Social Studies in Den Haag den Schwerpunkt “Women and Development“. Als Marx-Kritikerin beschrieb sie z.B. 2003, dass der Kapitalismus das Patriarchat nicht aufgehoben habe, was Marx vorausgesagt habe. Der Kapitalismus schaffe immer neue Ungleichheiten. Mies betrachtete Hausarbeit als Basis des Kapitalismus, im Gegensatz zu Marx, der die Lohnarbeit als Basis ansah. Daher folgte sie teilweise Rosa Luxemburg in ihren ökonomischen Abhandlungen, erweiterte diese jedoch um Thesen zur Unterbewertung der Haus- bzw. Reproduktionsarbeit. Die sichtbare Lohnarbeit sei weiß, männlich und in den Ländern des Nordens durch Arbeitsverträge geregelt. so Mies. Nur diese käme in den Berechnungen es Bruttosozialprodukts vor. Darunter läge wie bei einem Eisberg der Hauptteil unsichtbarer Arbeit von weißen und schwarzen Frauen (auch in der Prostitution) und auch bei Männern in sog. McJobs. Unsichtbar sei des weiteren die Arbeit in der sog Subsistenzwirtschaft durch Bäuerinnen/Bauern, die ihre Landwirtschaft zum eigenen Erhalte betrieben (Kleinbauern) oder durch kleine Handwerker:innen, die für den lokalen Markt arbeiten, sodann durch Kolonialisierte.

Eines ihrer bekanntesten Bücher ist der Sammelband Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit (1983) das sie mit den sog. Bielefelderinnen (V. Bennholdt-Thomsen und C. von Werlhof.) herausgab.

Mies entwickelte die These der Hausfrauisierung, die sie später in der Zeit der neoliberalen Globalisierung auf die Männer ausweitete, da auch sie immer weniger auf geschützte Beschäftigungsverhältnisse zählen könnten… 

Nochmals ging sie nach Indien, produzierte eine beeindruckende Studie über Spitzen-Arbeiterinnen, in der sie dargelegte, wie diesen durch Entzug der Kenntnisse und Aufträge von Häkel-Motiven eine erhöhte Ausbeutung der Frauen möglich war: Sie konnten nur noch einzelne kleine Rosetten häkeln und diese selbst nicht mehr verkaufen (Lace Makers of Narsapur. Indian Housewives Produce for the World Market, 1982). Übrigens heiratete sie nach langer Fernbeziehung den indischen Wissenschaftler Saral Sarkar, der seit 1982 mit ihr in Deutschland lebt.

Ihre Forschungsschwerpunkte waren nun Landfrauen in der (wies es damals hieß) Ersten und Dritten Welt, Kapitalismus und Subsistenz, Gentechnik und immer wieder Alternativen zur globalisierten Wirtschaft. Sie publizierte feministische, ökologische und entwicklungspolitische Bücher, die auch ins Englische übersetzt wurden und weltweit Beachtung fanden. Sie folgerte, gerade von den Frauen müsse die Frage kommen, welche Wirtschaft und welche Gesellschaft wir wollten – „was ist möglich auf einem begrenzten Planeten?“ Maria Mies nahm heutige Diskurse wie ‚Es gibt keinen Planet B’ vorweg, forderte ein Zurückfahren des Konsums – heute wird diese Bewegung degrowth genannt, Schrumpfen, – eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform einrichten, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. „Wir sind der Überzeugung, dass die gemeinsamen Werte einer Postwachstumsgesellschaft Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation sein sollten. Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen.“ Sie verstand Subsistenzwirtschaft nicht als Zurück ins Mittelalter, sondern als das Verfolgen eines anderen Ziels beim Wirtschaften: die Wiederherstellung des Lebens; die Grenzen der Natur, auch der eigenen Körperlichkeit, erkennen; Nahrungsproduktion vor Industrieproduktion; den Wachstums Wahn beenden; Fülle und Vielfalt statt Monokultur; lokales Wirtschaften; Gemeingut- und Allmenden-Denken hochschätzen; die Verhinderung der Privatisierung von Wasser usf. 1996 erlebte ihre Broschüre “Die Befreiung vom Konsum”  ihre 2. Auflage.

Ab den 1980ern und damit sehr früh hat sie zur internationalen Vernetzung der globalisierungskritischen Bewegung beigetragen. Mies’ Kritik richtet sich gegen die unzureichende demokratische Kontrolle internationaler Finanz- und Handelsinstitutionen wie die WTO, den IWF und die Weltbank,. Sie gründete in Deutschland das Komitee Widerstand gegen das MAI  (Multilateral Agreement on Investment) mit, das die bundesdeutsche Öffentlichkeit erstmals über länderübergreifende privatwirtschaftliche, Heuschrecken-freundliche Abkommen informierte, die die Herabsenkung aller Standards für ArbeitnehmerInnen und Umwelt beinhalteten und zu deren Verarmung bzw. Zerstörung führen werden. Deren Existenz wurde einer größeren Allgemeinheit jedoch erst durch den Kampf gegen das TTTP bekannt.

Maria Mies gebrauchte auch früh den Begriff des Guten Lebens, – heute gibt es in Kölner Stadtteilen den Tag des guten Lebens! Dabei wird dann gern auf internationale Bewegungen, auf indigene Völker in Bolivien rekurriert, die das Entwicklungsparadigma des Westens in Frage stellen. Diese Ideen des guten Leben zusammen mit Tieren, mit Pflanzen, mit anderen Menschen, mit einer anderen Ethik, wäre auch in Köln zu finden gewesen …

1993 kam die Emeritierung – aber Maria Mies blieb noch lange in der feministischen und globalisierungskritischen Bewegung, zum Beispiel bei Attac Köln, feminist attac etc., aktiv. Jedoch ging die den Weg des gender mainstreamings nicht mit: “Ich bin gegen diese Gleichstellungspolitik. Mit dem, was Männer heutzutage im kapitalistischen Patriarchat machen, will ich nicht gleichgestellt werden. Die Männer verkörpern nicht das ideale Menschenbild für mich. Die Menschen sollten nicht sein, wie die patriarchalen Männer heute sind. Egal in welchem Land. Wir haben in Deutschland eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin. Dadurch wirkt das Land vermeintlich fortschrittlich. Viele Feministinnen denken so. Aber die Politik, die diese beiden betreiben, ist doch dieselbe, sie ist patriarchalisch, sie ist kapitalistisch, sie ist kolonialistisch – wie eh und je. Was geändert werden müsste, ist dieses ganze Bild, die ganze Vorstellung und die ganze Weltanschauung, die den idealen Menschen im Mann sieht. Und das ist eine uralte Geschichte. Das hat nicht jetzt erst angefangen.”

Maria Mies lebt weiterhin mit ihrem Mann in Köln. Sie hat ihren gesamten Vorlass dem Kölner Frauengeschichtsverein übergeben. Das große Konvolut wird von der Archivkollegin Gabriela Schaaf kompetent und kontinuierlich in unserer Datenbank erfasst, um ihn zeitnah für Forschungen zur Verfügung zu stellen.  

Links:

 2020 las Maria Mies für den Kölner Frauengeschichtsverein aus ihrer Autobiografie

Irene Franken, Januar 2021.