Oktober 2021 – Dr. Grete Wehmeyer

Eine Quer-Denkerin im besten Sinne

Grete Wehmeyer kam am 5. Oktober 1924 in Köln zur Welt. Über ihr Elternhaus ist nicht viel bekannt, der Vater soll Werbetexter und Wagnerfan gewesen sein, die Mutter soll im Textilgewerbe gearbeitet haben. Grete Wehmeyer lebte fast zeitlebens im Elternhaus in Lindenthal.

Die junge Frau absolvierte ein Klavierstudium an der Musikhochschule Köln, ergänzend studierte sie an der Universität zu Köln Musikwissenschaft, Deutsche Literatur und Philosophie. Ihre Doktorarbeit – vorgelegt 1950 – hatte das Thema Max Reger als Liederkomponist. Ein Beitrag zum Problem der Wort-Ton-Beziehung. Anschließend unterrichtete sie Kölner Kinder, darunter auch Flüchtlinge (Fembio). Zu ihren bürgerlichen Schüler:innen hatte sie ein durchaus gespaltenes Verhältnis: „Ich habe in den sogenannten besten Kreisen Unterricht gegeben: in den Familien von Ärzten, Studienräten, Richtern, Professoren. 96% meiner Schüler litten an ihren Familien. Das Klavierspielen hat manchem von ihnen eine eigene, genüßliche Ecke geschaffen, für andere war es eine zusätzliche Plage. Manchmal gelang es, Familien umzukrempeln, öfter wurden mir Schüler von ihren Eltern entzogen, weil ich zu wenig zum Üben ermahnte.“ (aus: Czerny 1983) Die taz-Autorin Sabine Seifert erinnert sich gerne an die Lehrerin: „Es war eine vertrauensvolle Versicherung: Wir reden erst mal, dann kannst du Klavier spielen. Sie war mütterlich, ohne bemutternd zu sein. Missionierend war sie nie. Ich nahm als Jugendliche Witterung auf. … Sie gab Unterricht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Bei den Schülerkonzerten in ihrer großen Wohnung mit den zwei Flügeln und den geöffneten Flügeltüren saßen hinterher die Herren und Damen Eltern auf dem Sofa, tranken Wein und qualmten, was das Zeug hielt. Das war der Wehmeyer-Salon, das konnte sie auch. Gutbürgerlich. Sie war locker, pragmatisch. Keine Triezerei mit Etüden, keine Triller – statt Tonleitern rauf- und runterzujagen, ließ sie mich Locke­rungsübungen für die Körperhaltung machen (die heute zu jeder Stimmbildung gehören) und die Handgelenke auf dem zugeklappten Klavierdeckel kreisen. Sie war überzeugt davon, dass man die natürliche Stellung der Hände berücksichtigen solle. Gegenläufigkeit statt Schnellläufigkeit.” 

Die Musikerin hielt Vorträge in der Volkshochschule Köln, bei der GEDOK Köln und auch im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität, wo durchaus noch Nazis lehrten und Sie spielte Konzerte der „Klassischen Moderne“ (Strauss, Strawinsky, Hindemith, Bartók, Satie u.a.).

In den 1950ern rückte ein neues Verständnis von Musik in den Fokus, 1951 entstand das später weltbekannte Studio für elektronische Musik beim (N)WDR in Köln. Nahm die Musikerin das wahr? Mit Sicherheit.  Klar ist jedoch, dass sie eher Werke der klassischen „Neuen Musik“ spielte: Schönberg, Hauer, Varèse, Cowell usw. 1983 trat sie (vermutlich) jedoch auch mit John Cage bei einer denkwürdigen Performance in Bonn auf.

Konzertpianistin zu werden war nicht ihr beruflicher Weg, sie war bei Auftritten stets nervös. Zudem wurde ihr der klassische Musikbetrieb zunehmend unerträglich, mit seinen pathetischen Ritualen der Hochkultur und Virtuositätszwängen. So entwickelte sie – angeleitet von Hans Anwander, dem Vater von Ursula Erler – ein eigenes Format, die sog. Gesprächskonzerte, bei denen sie ihre Nervosität transformieren konnte. Mit ihren „kommentierten Konzerten“ ging sie zwischen 1964 und bis weit in die 1970er Jahre auf eine weltweite Tournee an Goethe-Instituten, durch afrikanische und asiatische Länder. “Grete Wehmeyer wurde offenbar als Musik-Botschafterin eines „Deutschland nach dem Kriege“ akzeptiert.“ (fembio) Dazu trug bei, dass sie für die musikalischen Traditionen der bereisten Länder sehr offen war.

Seit 1968 war sie freie Mitarbeiterin beim WDR und anderen Sendern. „Wenn sie im Radio eines ihrer vielen ‚Zeitzeichen‘ sprach, klang ihr kölsches Idiom angenehm durch.“ (Taz) Sie verfasste Bücher über Eric Satie und Edgar Varèse, wobei die Biografie von Satie als Standardwerk gilt.

Auch “demontierte” sie das Standardwerk aller Klavierschüler:innen von Carl Czerny, einem Schüler von Beethoven und Lehrer von Liszt.  1983  publizierte sie „Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier (oder Die Kunst der Fingerfertigkeit und die industrielle Arbeitsideologie)“. Sie hinterfragte das Vorbild der Schnelligkeit beim Spielen und der kunstfertigen Fingerfertigkeit und verband es mit Kapitalismuskritik. In „ARS MUSICA—MUSICA SCIENTIA“ schrieb sie: „Die heutigen Höchstleistungen auf allen Musikinstrumenten und im Gesang sind ebenso das Produkt kapitalistischen Geistes wie der gegenwärtige Höchststand von Industrialisierung und Technisierung. Die Basis ist hier wie dort die Ideologie der Arbeit, die als Preis Askese fordert. Der »Prozess der Zivilisation« hat hier wie dort zu erheblichen Restriktionen der ungezwungenen menschlichen Äußerungen im Täglichen wie auch in der Kunst geführt.“  [Festschrift Heinrich Hüschen zum fünfundsechzigsten Geburtstag, Köln 1980]. Das rief die gesammelte Riege der Musikproduzent:innen gegen sie auf. Von Seiten der Schüler:innen gab es dagegen Zustimmung.

Nach einer Gastprofessur an der Kaiserlichen Musashino Akademie in Tokio setzte sie sich weiter mit Musiktheorie auseinander, der These des „tempo giusto“, nach der der (verhasste) Cerny die Taktgeschwindigkeit von Beethoven objektiv dokumentiert habe und so langsam seien die Stücke zu spielen und nicht anders.

 Wehmeyer lehnte sich an das 1988 verfasste Buch des Niederländers Willem Retze Talsma an, „Wiedergeburt der Klassiker: Anleitung zur Entmechanisierung der Musik“; sie folgte ihm mit der Feststellung, klassische Musik werde zu schnell gespielt und müsse entschleunigt werden.

Musik sei ein der Rede ähnlicher Gesang. 1989 veröffentlichte sie ihr Werk zur „Wiederentdeckung der Langsamkeit in der Musik“, „Prestißißimo“. Musikwissenschaftler waren abermals entsetzt.  Begründung war die Pendeltheorie, über die selbst Der Spiegel 1989 berichtete: „Die Sicherheit, daß der Einbruch der schnellen Technik die Musik vergewaltigt habe, gewinnt sie aus den Forschungen des holländischen Musikwissenschaftlers Willem Retze Talsma. Der ist davon überzeugt, daß die Metronomzahlen der Klassik seit Generationen falsch gelesen werden und die Musik deshalb um das Doppelte zu schnell erklingt: Die Klassiker zählten tack, wenn das Metronom hin- und zurückgependelt war, spätere Zeitgenossen sagten bereits tack beim einfachen Pendelschlag. Tack oder tacktack – Wehmeyers Klage über die virtuose Raserei paßt genau in den Trend. Seit Michael Ende im alternativen Märchen »Momo« unheimliche graue Herren beim Zeitdiebstahl ertappte und Sten Nadolny den Bestseller »Die Entdeckung der Langsamkeit« schrieb, fühlen sich sogenannte Zeitpioniere zum Widerstand gegen den allgemeinen Schweinsgalopp ermutigt.“ (SPIEGEL 20/1989).

 Sie schlug vor, die Metronomzahlen im Tempo zu halbieren und spielte selbst Klavierwerke im halben Tempo ein. .

Sie war zeitlebens eine markante Erscheinung: eine große Frau, eine Wissenschaftlerin mit hennagefärbten Haaren, einem hellem Lachen und kölschem Zungenschlag, eine humorvolle gute Zuhörerin. Sie liebte Jacques Offenbach und den rheinischen Humor, plädierte für die Wiedereinführung der Lachkultur in die Musik auf der Grundlage von Michail Michailowitsch Bachtins Werk „Literatur und Karneval.“

 “Unangepasst, immer unverschämt gut gelaunt. …Männer (oder Frauen) an ihrer Seite blieben, wenn es sie gab, unsichtbar.” (taz) . In Ihrem Haus in der Geibelstraße bot sie gesellige Abende an. „Konzerte, Vernissagen, Gesprächskonzerte, Vorträge … all das wurde gepflegt und es kam vor, dass zwei Tage später in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Besprechung des Events zu finden war. Immer gab es anregende, belebende und oft auch kontroverse Gespräche über das Dargebotene … und über Gott und die Welt.“ (Nachruf von Peter Paeffgen).

Grete Wehmeyer starb am 18. Oktober 2011 und damit wenige Tage nach ihrem Geburtstag.  Sie liegt im Familiengrab auf Melaten wie sie vorher im Familienhaus lebte.  Es passt zu ihr, dass ihr Name auf einem schlichten Grabkreuz steht, jedoch ein deutlich sichtbarer QR-Code die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Literatur:

* Fembio 

* https://www.spiegel.de/panorama/tack-oder-tacktack-a-7ce33524-0002-0001-0000-000013692783

* https://gedok-koeln.de/nachruf-dr-grete-wehmeyer/

* Sabine Seifert:  Die Musikpädagogin: Mein Rolemodel (Taz 2021)

Buchveröffentlichungen von Grete Wehmeyer:

• Kriminalgeschichte der Europäischen Klassischen Musik E-Book 2007

• Langsam leben Freiburg 2000

• Erik Satie Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 1974, 2. Auflage 1998

• Erik Satie. Eine Biographie Bosse Verlag: Regensburg 1998

• Höllengalopp und Götterdämmerung Lachkultur bei Jacques Offenbach und Richard Wagner Dittrich Verlag: Köln 1997 und 2000

• Erik Satie, Bilder und Dokumente München 1992

• Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sonst bin ich verloren. Mozart und die Geschwindigkeit Kellner Verlag: Hamburg 1990

 • Prestißißimo! Die Wiederentdeckung der Langsamkeit in der Musik Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 1989

 • Gioacchino Rossini Biographie, Übersetzungen aus dem Englischen 1986

 • Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier oder Die Kunst der Fingerfertigkeit Bärenreiter Verlag: Kassel 1983

 • Edgar Varèse Bosse Verlag: Regensburg 1979

Weitere Links:

 Irene Franken, 20.10.2021

August 2021 – Henriette Ackermann

Ein frühes Mobbingopfer

Henriette Ackermann, eine linke Politikerin, erlebte in den Jahren der Weimarer Republik ein Mobbing, wie es heute über “soziale” Medien schnell gestreut wird, damals aber nur wenigen kenntlich wurde.

Henriette Ackermann wurde am 8. September 1887 in einfache Verhältnisse geboren: Ihre Mutter Adelheid war eine geborene Schumacher und Nichte des Solinger SPD-Reichstags-Abgeordeten Georg Schumacher, ihr Vater der Friseur Joseph Ackermann. Ihre Kindheit erlebte sie gemeinsam mit ihrer Schwester in dem Arbeiterviertel Ehrenfeld. Mehr wissen wir über ihre ersten Lebensjahre und Familienverhältnisse nicht.Ihre Ausbildung dauerte nur kurz, brachte sie aner in ein neues berufliches Milieu: 1903 verließ sie vorzeitig die Handelsschule, um eine Stelle als Buchhalterin anzunehmen.

Als junge Frau war sie schon politisch bewusst, sie trat 1905, im Alter von 18 Jahren, in die SPD und die Gewerkschaft ein. Die Partei besaß damals in der Rheinprovinz noch keine sehr große Bedeutung, die Bevölkerung  war zu stark an die katholische Religion gebunden. Die Jugendarbeit jedoch lockte viele Aufmüpfige an. Sie trat dem Verein Arbeiter-Jugend Köln bei, der 1907 u. a. von dem SPD-Mitglied Wilhelm Sollmann gegründet worden war und zeitweilig geleitet wurde. Zu dieser Zeit arbeitete sie bereits als Kontoristin; u.a. nahm sie nun eine Arbeit im sozialdemokratischen Milieu an und arbeitete zwischen 1908 und 1921 in der sozialdemokratischen Konsumgenossenschaft „Hoffnung“ in Kalk.

Erster Weltkrieg 

1916 tobte in der Partei wieder einmal eine Auseinandersetzung um die Kriegskredite. Die vorherigen Bewilligungen waren gerade bei der Jugend auf Ablehnung gestoßen, Henriette Ackermann hatet sich dagegen ausgesprochen, nun waren inzwischen Millionen Tote zu beklagen und sie empfand ihre Enttäuschung immer stärker. Sie wendete sich von dem Mehrheits-Kurs der SPD ab und stellte sich als junge Frau an die Spitze einer Gegenbewegung, die weitere oppositionelle weibliche Jugendliche umschloss. Gemeinsam mit dem Proletarier Johann Zander, einem Heizer und Lagerarbeiter, und anderen Mitgliedern der Arbeiter-Jugend gründete sie eine sog. Spartakus-Gruppe, die bald um die 25-30 Mitglieder um sich scharte.

Vorbild war der deutsche Spartakusbund mit den Führer:innen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zu der Zeit noch eine radikale Gruppierung innerhalb der Partei. Deren stark antikapitalistische und antibürgerliche Ausrichtung ließ nur einen Weg zu: 1917 erfolgte die Abspaltung der linken USPD=Unabhängige Sozialisten, woraufhon sich die SPD zur MSPD, den Mehrheitssozialisten definierte.

Henriette Ackermann war keine Jugendliche mehr, sie wurde mit einem Vertrauensvorschuss auf den Gründungsparteitag der USPD in Gotha delegiert. Es folgte im Mai 1917 die Gründung einer USPD-Ortsgruppe, zu deren vierköpfigen Vorstand Henriette Ackermann gehörte, sodann Johann Zander, Ernst Wachendorf und die Weggefährten Marie Runowski. Es war ungewöhnlich, dass ein Parteivorstand paritätisch besetzt wurde!

Polizei- und Militärbehörden veranlassten die Verhaftung des Vorstands. Obwohl die übrigen Vorsitzenden wieder freigelassen wurden, wurde Henriette Ackermann Anfang Januar 1918 nach Berlin gebracht und im Untersuchungsgefängnis Moabit eingekerkert. Erst kurz vor dem Kriegsende wurde sie entlassen. Verhaftungsgrund war der Vorwurf antimilitärischer Propaganda – Pazifismus war eine der meistgefürchteten Ideologien dieser Zeit.  Das war die erste ihrer insgesamt vier Festnahmen.

Weimarer Republik 

Inwieweit sie an den revolutionären Ereignissen in Köln, die von der SPD schnell dominiert wurden, beteiligt war, ist nicht bekannt, doch ist es wahrscheinlich, da gerade junge Frauen aus dem Milieu der Arbeiterjugend später ihre Teilnahme dokumentierten.  Ende 1918 nahm sie als Delegierte für Köln-Ehrenfeld am Gründungsparteitag der KPD  in Berlin teil.

Stadtverordnete

Mit der Verabschiedung der ersten demokratischen Verfassung galt auch für Frauen das Recht, an den politischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Sie kandidierte direkt erfolgreich für ein Mandat bei der ersten Kommunalwahl in Köln am 5. Oktober 1919 auf der Liste der USPD und wurde eine von 12 ‚weiblichen’ Abgeordneten, die in die Stadtverordnetenversammlung einzogen. 

Wie Birgit Kummer bemerkte, war dies Oberbürgermeister Adenauer keinen Satz wert: „Obwohl die Tatsache, daß nun erstmals Frauen in den Stadtrat einzogen – ein Jahrtausendereignis für die Stadt Köln -, nicht zuletzt für die Männer des Kollegiums eine außergewöhnliche Begebenheit dargestellt haben muß, wurden die weiblichen Stadtverordneten mit keinem Wort explizit erwähnt.“

Henriette Ackermann wollte nicht die weichen, ‚weiblichen‘ Themen bedienen – Bildung, Soziales und Kultur – sondern strebte an, in die Machtzonen vorzudringen. 1922 – mittlerweile agierte sie auf dem Ticket der neu gegründeten KPD und konnte als deren Fraktionsvorsitzende Forderungen stellen – erlangte sie den Zutritt zu dem vollständig Männer-dominierten Ältesten-Ausschuss.

Sie wurde bekannt als eine verbalradikale Fechterin für die  Forderungen, die sie im Namen der Arbeiter:innen und anderer marginalisiert Gruppen stellte. Viele Verarmte oder Entlassene wandten sich an sie, wie sie häufig betonte.  Sie jedoch wollte keine Caritas anbieten, sondern gesellschaftliche Veränderungen.

Mobbing

In ihrer 10-jährigen Tätigkeit als linke Stadtverordnete wurde sie anhaltend mit Beleidigungen, persönlichen Attacken und Sexismus konfrontiert, was die Damen der bürgerlichen Parteien und die Frauen der SPD nicht durchmachten.  Ihr unnachgiebiges Auftreten war eine permanente Provokation für die Mehrheit der Ratsmitglieder, u.a. da sie „ständig gegen die Geschäftsordnung Adenauers, gegen die Politik der SPD und gegen das Verhalten der bürgerlichen Frauenbewegung unter Einschluß der bürgerlichen Frauen des Parlaments opponierte und polemisierte.“ (Kummer). Sie entsprach als Kind, das in Ehrenfeld aufgewachsen war, in ihrer dreisten Rhetorik nicht dem weiblichen Rollenklischee; zudem war sie nicht so gebildet wie die studierten Herren, es fehlte des Öfteren an Sachkenntnis. Ein Grund zu wüsten Attacken!? Männliche Ratsmitglieder und besonders gern auch die Redakteure der Rheinischen Zeitung, dem Sprachrohr der SPD, titulierten sie als gemeines Frauenzimmer, Megäre oder Hexe. Ein Mitglied er katholischen Zentrums-Partei trieb es am 14. Juni 1921 auf die Spitze: „Ebenso wie man liebenswürdige Frauen und krabitzige Weiber hat. (Lebhafte Heiterkeit.) Wenn ich von einem Ehestandskandidaten gefragt werden würde, ob Frl. Ackermann zu letzterer oder ersterer Kategorie gehörte, wenn sie wirklich einmal Ehefrau würde, dann würde ich in große Verlegenheit kommen, zu sagen, was das richtige wäre. (Zuruf Ackermann: Da müssen Sie mal die notleidende Bevölkerung fragen, die sich an mich wendet.) Ich würde aber sagen, es steht zu hoffen, daß, wenn Frl. Ackermann einmal bemannt sein wird, sie vielleicht auch zu den liebenswürdigen Frauen gehört.“ 

Politische Schwerpunkte

In der Tat blieb Henriette Ackermann ihr Leben lang unverheiratet, die gründe sind nicht überliefert. All ihre Energie widmete sie dem politischen Kampf für notleidende Kölner:innen mit einem Schwerpunkt im Sozialen. Heute aktuelle Themen wie Wohnmieten, Straßenbahntarife, Gesundheitsversorgung oder auch Lebensmittelversorgung fanden auch ihre Aufmerksamkeit. sie forderte vehement die „Erhöhung der Armenunterstützung“ und sprach den anderen Mitgefühl mit den Bedürftigen ab. Frauenthemen wie Gewalt gegen Frauen, Abtreibungsnöte usf. brachte sie dagegen nie auf. 1929 schied sie aus der Stadtverordneten-Versammlung aus, 1932 kandidierte sie ohne Erfolg für die Sozialistische-Arbeiter-Partei für ein Mandat zum Preußischen Landtag.

Sie wechselte noch mehrfach die politischen – immer linken – Parteien, hatte beruflich immer wieder mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen, seit sie das Nest des SPD-Betriebs verlassen hatte. Sie war bis 1932 Angestellte des Kölner Büros des Freidenkerverbandes.

Nationalsozialismus

Schon direkt nach der Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 geriet die Linksoppositionelle ins Fadenkreuz der neuen ‚Führer‘. Die nach dem Reichstagsbrand, der der KPD zugeschrieben wurde, eingeleiteten Verhaftungsaktionen betrafen auch Henriette Ackermann, die am 8. März 1933 in Schutzhaft genommen und im Kölner Klingelpütz inhaftiert wurde. Nach zwei Monaten entlassen, stiegen ihre materiellen Nöte noch an, sie lebte prekär. Am 1. September 1939 wurde sie abermals verhaftet und erstmals in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo sie mehr als ein Jahr einsaß. Nach dem Attentatsversuch auf Hitler vom Juli 1944 traf auch die 57-jährige Henriette Ackermann der Generalverdacht und sie wurde zum zweiten Mal in Ravensbrück inhaftiert; sie entkam jedoch den ab Dezember 1944 einsetzenden Vernichtungen in dem überbelegten Stammlager Lager.  So erlebte sie die Befreiung durch die Rote Armee Ende August 1945 mit.

Nachkriegszeit und Lebensende

Nach 1945 lebte sie kurz in Berlin, kehrte dann nach Köln zurück und konnte als Unbelastete bis 1952 in der Kölner Stadtverwaltung arbeiten. Sie wurde Mitglied in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“. Dann wissen wir nichts mehr über ihren ‚Ruhestand‘. Sie lebte die letzten Jahre zurückgezogen in einem Seniorenwohnheim in Brühl, wo sie am 31. August 1977 starb. Manfred Faust war der erste Historiker, die das Schicksal der spannenden Frau ausgrub, Birgit Kummer machte sie auf einer Ausstellung des Kölner Frauengeschichtsvereins breiteren Kreisen bekannt.

Literatur:

  • Manfred Faust: Henriette Ackermann. Eine unabhängige Sozialistin, in: Die Kölner Sozialdemokratie 1914 bis 1920, in: Sozialdemokratie in Köln. Ein Beitrag zur Stadt- und Parteiengeschichte, hrsg. v. Gerhard Brunn, Köln 1986, S. 220/21.
  • Birgit Kummer: „Stadtmütter“ und „Megären“. Weibliche Stadtverordnete in Köln während der Weimarer Republik, in: 10 Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln. Zur Geschichte der Organisationen und Vereine, hrsg. vom Kölner Frauengeschichtsverein, Münster 1995, S. 148.
  • Birgit Kummer: Politikerinnen in der Kölner Stadtverordnetenversammlung während der Weimarer Republik, in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte 40 (1996), S. 92.
  • Widerstand und Verfolgung in Köln 1933-1945. Ausstellung des Historisch Archivs der Stadt Köln, Köln 1974, S. 82.
  • https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/henriette-ackermann

Juli 2021 – Edith Leffmann

Eine widerständige Ausnahmefrau

Kaum eine deutsche Frau, geschweige eine Kölnerin, hat auf ihrem Stolperstein stehen: “in der Résistance überlebt”. Bei Edith Leffmann 1894 – 1984 ist dies der Fall. Wer war diese Frau? Warum kennt sie kaum jemand in Köln? Warum wird sie in den Büchern über Frauen im Widerstand nicht erwähnt?

Jugend, Ausbildung, Ehe

Edith Bella Leffmann, geboren am 22. Juli 1894 in Köln, war die Tochter des jüdischen Paares Martha Heidenheim und Bernd Löwenstein, eines Kölner Korsett-Fabrikanten. Martha Löwenstein heiratete – vermutlich als Witwe – in zweiter Ehe dessen Kompagnion Arthur Leffmann, der Ediths Stiefvater wurde und dessen Namen sie vermutlich annahm; er war (oder wurde nun) Direktor der Korsettfabrik Löwenstern & Leffmann. Sie hatte einen Halbbruder Fritz Leffmann und einen 1899 geborenen Cousin Dr. Ernst Leffmann, einen sozialdemokratischen Juristen, der im Belgischen Viertel lebte.

Wie vielen jüdischen Familien des beginnenden 20. Jahrhunderts war die Bildung auch von Töchtern wichtig. Edith Löwenstein legte ihr Abitur ab, absolvierte in Bonn und München ein Medizinstudium. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie als Lazaretthelferin beim Deutschen Roten Kreuz. Nach dem Studium nebst anschließender Promotion nahm sie eine erste Stelle am Berliner Kinderkrankenhaus an, eröffnete dort schon bald eine eigene Kinderarzt-Praxis. Sie wird selbst als nur knapp über 1,50 Meter groß, aber mit großen Händen und einer auffälligen Frisur in Erinnerung gerufen. Anfang der 1920er Jahre heiratete sie Robert (woanders fälschlich Rudolf ) Leffmann, vermutlich einen Verwandten ihres Stiefvaters. 1924 brachte sie den Sohn Bernd Julius („Bill“) zur Welt. Schon in dieser Zeit kam die soziale engagierte Mutter mit Mitgliedern der Roten Hilfe und der KPD in Berührung.

Verfolgung

Wie viele andere Kommunist*innen erlebte Edith Leffmann 1933 eine Sabotage ihrer Berufstätigkeit, die von Behörden wie dem Wohlfahrtsamt abhängig war, und musste ihre Praxis schließen. Sie kehrte – vermutlich mit dem Ehemann Robert Leffmann – zu ihren Eltern nach Köln zurück, lebte in der Gleueler Straße 192. Hier im Rheinland gab es beim Machtantritt der Nazis besonders viele jüdische Ärztinnen und Ärzte. Edith Leffmann (der Doktortitel war nicht mehr zulässig) arbeitete wieder in eigener Praxis als Kinderärztin; auch diese musste sie als Jüdin nach einigen Jahren aufgeben. Ab dem 30. September 1938 verloren jüdische Ärzt*innen per Gesetz ihre Approbation, erhielten Berufsverbot und mussten ihre Praxen schließen, Gemeinschaftspraxen mit ‘Arier*innen’ verlassen. Damit war ihre berufliche und bürgerliche Existenz vernichtet.

1938 verschärften sich die Lebensbedingungen für alle Juden und Jüdinnen. Edith Leffmann sorgte dafür, dass ihr Sohn 1939 gemeinsam mit den Großeltern in die Niederlande nach Amstelveen emigrieren konnte; er besuchte dort eine Exil-Schule für in Deutschland bedrohte Kinder.  Dennoch konnte sie sie letztlich nicht vor der Ermordung bewahren.

Sie selbst ging mit ihrem Mann am 17. April 1939 in das noch nicht besetzte Brüssel, wo es eine große sozialistische und kommunistische Emigrant*innenszene gab. Sie hofften auf eine Wende durch politische Aktivitäten. Im April 1940 starb ihr Mann, Edith Leffmann entschloss sich, nach Frankreich weiter zu ziehen. Ihrer Vorstellungen von politischer Arbeit in der Résistance erfüllten sich zunächst nicht, sie wurde verhaftet und für zwei Jahre im das südfranzöschen Lager Camp de Gurs interniert. Hier konnte sie zumindest den Lagerhäftlingen beistehen.

Widerstand

Ihr gelang die Flucht aus dem Lager Gurs, endlich konnte sie sich der Résistance, Sektion Travail Allemand, anschließen. Sie blieb zunächst in Südfrankreich, trat dem Comité „Allemagne libre“ pour l’Ouest bei, das dem KPD-nahen Nationalkomitee Freies Deutschland assoziiert war. Ziel war, Angehörigen der deutschen Wehrmacht gegen den Krieg umzustimmen; dazu gehörte die Verteilung von Propagandamaterial. Auf Anregung der Résistance kehrte sie noch während des Krieges – getarnt als die französische Krankenschwester Marie-Louise Lefèbre nach Deutschland zurück, um Untergrundarbeit zu leisten. In einer Papierwarenfabrik in Eger (heute Tschechien) konnte sie unter den anderen (Zwangs-)Arbeiterinnen agitieren und sich für Sabotage stark machen. Derweil wurde Dr. Edith Leffmanns Mutter aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert und ihr Sohn Julius / Bill aus der niederländischen Quäkerschule heraus in das KZ Herzogenbusch verbracht; der Jugendliche wurde über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo er im September 1942 getötet wurde (Stolperstein). Der Vater war bereits in Amsterdam verstorben.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg lebte Dr. Edith Leffmann in Ludwigshafen und Mannheim und wurde gleich wieder politisch aktiv: Sie reiste im Frühsommer gemeinsam mit dem Widerstandskämpfer Alphonse Kahn über Paris in die französische Besatzungszone ein und ließ sich im August 1945 in Ludwigshafen nieder. Zunächst ging Dr. Leffmann als jüdische Vertreterin in den Betreuungsausschuss für die Opfer des Faschismus, der 1950 in das Amt für Wiedergutmachung und Kontrolliertes Vermögen überführt wurde. Sodann trat sie der KPD bei, arbeitete später im Ludwigshafener Friedenskomitee mit und kandidierte 1951 auf der Liste der KPD für ein Mandat im rheinland-pfälzischen Landtag. Sie war Mitbegründerin der VVN, die erste rheinland-pfälzische Vorsitzende der VVN, Mitglied im VVN-Zonensekretariat und hielt auch bei Anfeindungen und Kriminalisierung der Orgabnisation (Strafbefehl im August 1952) zu ihr.

Edith Leffmann leistete trotz ihrer persönlichen Verluste, der anstrengenden Arbeit in deutschen Fabriken und der psychischen Grenzsituation einer mit falscher Identität in Deutschland agitierenden Frau, schließlich trotz gesundheitlicher Probleme Großes für die medizinische Versorgung der Nachkriegspatient*innen, viele davon Kinder von Täter*innen. Auch diese behandelte sie laut Zeitzeug*innen gleich zugewandt.  Sie sagte: “Ich kenne keinen Hass ausser den gegen den Krieg.” (Zeitzeuge Bernd Köhler)

Ihre eigene Praxis eröffnete sie 1950 in der Carl-Friedrich-Gauß-Straße im Hemshof (früher Kruppstraße 6), in einem der wenigen Häuser, nicht beschädigt waren.  In Ludwigshafen erhielt sie dafür schon zu Lebzeiten den Ehrentitel ‘Engel von Hemshof’.   Zeitzeug*innen brachten Beispiele für ihr Engagement:

“Ihr Wartezimmer war ständig überfüllt von unterernährten Kindern und weinenden Müttern. Die Kinderärztin Dr. Edith Leffmann arbeitete in der Nachkriegszeit bis zur totalen Erschöpfung. Kein Kind verließ ihre Praxis ohne ein Stück Schokolade oder ein Bonbon.” (Bericht von Bernhard Wadle-Rohe). oder: “Dr. Edith Leffmann hat mir das Leben gerettet. Ich hatte damals Lungenentzündung, Gelbsucht und Wasser in der Lunge.” (Monika Trautmann, Zeitzeugin). „Unsere Tochter Monika hatte mit vier Jahren plötzlich, nachts um ein Uhr, heftige Schmerzen. Ich rief die Frau Doktor an und sie kam sofort, drückte ihr auf den Bauch und rief: Sofort in die Kinderklinik nach Mannheim! Der Engel vom Hemshof hat ihr das Leben gerettet” (Mutter von Monika T.) . „Sie kam um die Babies zu besuchen direkt mit dem Taxi in die Häuser gefahren, ist dann von Patient zu Patient gefahren, um den kleinen Leuten zu ersparen im kalten Winter zu ihr in die Praxis zu kommen.” (Emma Schüssler)  Bernd Köhler führte 1978 ein Interview mit ihr für ein geplantes Buch über Antifaschist*innen. “Die Ärztin war da bereits im Ruhestand, lebte in Mannheim. ‘Ich erinnere mich noch, wie wir da hoch sind in den 5. Stock, da machte jemand die Tür auf, den man nicht gesehen hat, weil sie so klein war. Unglaublich geschminkt, mit so einer sonorigen Stimme, eine tolle Frau. Sie hat uns dann auch später erzählt, dass sie sich damals, als sie nach Deutschland geschickt wurde von der Résistance, als Französin zurechtgemacht hatte. Das hat sie später beibehalten.'”

Seit 1960 wohnte sie in Mannheim, wo sie am 3. Februar 1984 im Alter von 90 Jahren starb. Ihr Grab auf demMannheimer Hauptfriedhof existiert leider nicht mehr. 

Ehrungen

Nur wenige Frauen aus Köln haben sich so eindeutig und kraftvoll gegen die Nazidiktatur, und nach 1945 gegen das Vergessen, die Wiederaufrüstung und die Rehabilitation von politisch und ethnisch (‘rassisch’)  Verfolgten des Nationalsozialismus eingesetzt. es wird berichtet, sie habe vor Energie gestrotzt und sei trotz (oder wegen?) ihrer dunklen Stimme für die Kinder eine Vertrauensperson gewesen.

Nach ihrem Tod setzten sich verschiedene Initiativen für eine Würdigung von Edith Leffmann ein. In Köln setzte Gunter Demnig im März 2012 einen Stolperstein, auf dem steht: “Hier wohnte Dr. Edith Leffmann, geb. Leffmann [eigentlich Löwenstein, die Verf.] Jg. 1894, Flucht 1939, Belgien/ Frankreich, interniert Gurs. Tätig als Ärztin in der Résistance. Überlebt”. Ebenso wird an ihren Sohn und den Ehemann Robert erinnert. In Ludwigshafen konnte 2013 erst gegen den Widerstand der CDU-Mehrheit im Stadtrat eine Gedenktafel vor den ehemaligen Praxisräumen angebracht werden, Antifaschist*innen um Bernhard Wadle-Rohe hatten 14 Jahre lang dafür gekämpft. Es wurde u.a. ‘geprüft’, ob sie als Angehörige der 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands eine Stalinistin gewesen sei…

2007 wurde im Rahmen des Mannheimer Kultursommers die Lebensgeschichte der Widerstandskämpferin und sozial engagierten Ärztin Edith Leffmann in der Reihe Revolutionärinnen des Alltags künstlerisch in Szene gesetzt.

Literatur und Quellen:

* Bernd Köhler führte als Student 1978 in Mannheim ein Interview mit Edith Leffmann nach ihrer Pensionierung.

* Broschüre »Widerstehen: damals – heute – morgen« zum 70. Jahrestag der VVN , Frühjahr 2017

* Aus dem kämpferischen Leben des fast vergessenen Engels vom Hemshof. Altriper Schülerin Esther Tabea Kuntz schreibt Facharbeit über die 1984 verstorbene jüdische Ärztin Edith Leffmann, in: Ludwigshafener Rundschau,  56  (2000), Nr. 249 vom 26.10.2000.

Weblinks:

 * https://www.geni.com/people/Dr-Edith-Leffmann/6000000088898031877

* https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Leffmann

* https://antifa.vvn-bda.de/2017/01/20/zwei-mitbegruenderinnen-der-vvn/

* https://www.ewo2.de/01_home/Leffmann.htm

* https://www.joodsmonument.nl/en/page/29290/bernd-julius-leffmann

* https://www.rheinpfalz.de/lokal/ludwigshafen_artikel,-der-engel-vom-hemshof-_arid,662848.html

* https://kommunalinfo-mannheim.de/2016/09/22/ich-kenne-keinen-hass-ausser-gegen-den-krieg/ 

*https://de.wikipedia.org/wiki/QuC3%A4kerschule_Eerde#Bernd_Leffmann_(geb._20._September_1924_Berlin,_gest._24._September_1943_Auschwitz)

* https://www.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fimages%2FImages%2520349%2FLudwigshafen%2520Gedenktafel%2520Leffmann%2520010.jpg&imgrefurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fludwigshafen_synagoge.htm&tbnid=vvPjhhvIcXI2zM&vet=12ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd..i&docid=6nQrBgP1a6ioLM&w=1200&h=804&q=%22edith%20leffmann%22&ved=2ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd  

IF , Juli 2021 

Juni 2021 – Marianne Ahlfeld–Heymann

Ein Multitalent muss ins Exil

Marianne Heymann wurde am 07.02.1905 in Köln geboren.

Schon als Mädchen liebte Marianne Heymann das Spiel mit Holzgegenständen und die Malerei. Gerne ging sie ins Kölner “Hänneschen- Theater“ mit seinen ausdrucksstarken Holzpuppen. Ihr Judentum war ihr bewusst, hatte aber zunächst keine große Bedeutung. 

Nach dem Abitur auf dem Kaiserin-Augusta-Gymnasium 1922 strebte sie eine Ausbildung als Holzschnitzerin an. Nach einem Jahr auf der Kölner Kunstgewerbeschule wechselte sie nach Weimar. Weniger ihr eigentlicher Dozent für Bildhauerei und Bühnenkunst Oscar Schlemmer als der Farbkünstler Paul Klee begeisterten sie.  Mit ihm blieb sie lange befreundet.

1925 kehrte Marianne Heymann nach Köln zurück und ergatterte bald ein Volontariat an der Kölner Oper, fertigte Kostüme und Bühnenbilder u.a. für Aufführungen des ehemaligen Kölner jüdischen Komponisten Jaques Offenbach an.

Als sie als Provokation gegen die erstarkenden Nationalsozialist*innen aus einem Hitler-Bild einen Hampelmann baute, geriet sie in Gefahr. Nun bekam die Zugehörigkeit zum Judentum eine hohe Relevanz, sie schreibt: „Da wurde ich von ganzem Herzen Jüdin“.

Kostümentwurf von Marianne Heymann
Kostümentwurf von Marianne Heymann

Die Kunsthandwerkerin ging noch im Frühjahr 1933 ins Exil nach Frankreich und lernte dort ihren Mann, den ebenfalls exilierten sozialdemokratischen Kunsthandwerker Hermann Ahlfeld kennen. 

Nach einer gemeinsamen Zeit in einem Spielzeugkollektiv fertigte sie wieder Puppen und Masken an, u.a. für berühmte Kompanien. 1939/40 wurden beide getrennt voneinander für einige Monate in Lager der Deutschen Besatzer*innen interniert, Marianne Heymann wurde nach Gurs deportiert. Glücklicherweise kamen sie frei. Unter den Bedingungen des Untergrunds bekam Marianne Ahlfeld-Heymann – sie hatte inzwischen geheiratet – drei Kinder.

Anfang 1949 wanderte die Familie nach Israel aus, erbaute mit Freunden ein Haus in der Farmgenossenschaft Kfar Chaim im Norden von Tel Aviv (im Gegensatz zum Kibbutz gab es hier Privatbesitz und oft auch Privatwirtschaft) und richtete eine Werkstätte für Tischlerei und Schnitzerei ein. Darin produzierten sie z.B. aus Olivenholz Haushaltsgegenstände für neue Einwander*innen. Hermann Ahlfeld arbeitete später als Werklehrer und wurde Ergotherapeut in Akko.

Nach der Familienphase begann sie wieder mit der Marionettenproduktion. Nach dem Tod von Mariannes Mutter 1954 und einer damit verbundenen kleinen Erbschaft zog die Familie nach Haifa um. Die Künstlerin schrieb ihre autobiografischen Erinnerungen auf.

Marianne Ahlfeld-Heymann lebte als ältere Frau in einem sog. Elternheim in Haifa. Sie starb dort am 26.06.2003. Bereits 1988 machte die von Horst Matzerath u.a. kuratierte Ausstellung “Jüdisches Schicksal in Köln. 1918 – 1945” erstmals wieder auf Marianne Ahlfeld-Heymann aufmerksam, sie konnten noch mit ihr Kontakt aufnehmen. Marianne Ahlfeld-Heymann veröffentlichte 1994 ihre Erinnerungen: “Und trotzdem überlebt” im Hartung-Gorre Verlag. Auf dieser Basis  und mit eigenen Recherchen angereichert verfasste der Kölner Frauengeschichtsverein 2015  einen längeren Wikibeitrag über sie und machte  sie in Köln bekannter.

2019 organisierte Dr. Romana Rebbelmund, Kuratorin am MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln, zum Jubiläum des Bauhauses eine Ausstellung zu Marianne Ahlfeld-Heymann und ihrer Cousine, Margarete Heymann-Loebenstein (1899-1990), die ebenfalls am Bauhaus studiert hatte und eine anerkannte avantgardistische Keramikerin wurde (Titel: 2 von 14. Zwei Kölnerinnen am Bauhaus).

Im gleichen Jahr erhielten die beiden Cousinen Stolpersteine, die in Anwesenheit von Nachfahr*innen aus den Niederlanden angebracht wurden. An Marianne Ahlfeld-Heymann wird vor ihrem Geburtshaus in der Voigtelstraße 9 erinnert. Der Kölner Frauengeschichtsverein hielt die Gedenkrede.

Mai 2021 – Laura von Oelbermann

Mit beiden Händen Geld ausgeben – die Multimillionärin Laura von Oelbermann und ihr tragisches Familienleben

Ihr späteres Luxusleben war ihr nicht in die Wiege gelegt: das Mädchen Laura wurde 1846 als Tochter eines protestantischen Bürstenwarenhändlers oder Tuchhändlers Rein­hold Nickel und seiner Frau Emi­lie  geboren. Es wurde  am belebten Alter Markt in eher schlichten Verhältnissen groß. Immerhin konnte das ‚Kölsch Mädchen‘ das evangelische Lyzeum besuchen und damit mehr als die übliche Volksschulbildung erlangen. 

Palazzo Prozzo am Hohenstaufenring – das Wohnhaus der Oelbermanns © RBA

1891 bezogen sie einen dreistöckigen Palast im Stil der italienischen Renaissance, umgeben von einem kleinen Park, erbaut vom berühmten Architekten Hermann Pflaume, am Hohenstaufenring 57. Es soll der Glanzpunkt dieser Straße und das großartigste Privathaus der Neustadt gewesen sein. Im Unterschied zu der üblichen geschlossenen Bebauung der Ringstraßen stand die dreistöckige Villa Oelbermann frei.

Laura Oelbermann legte durchaus Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild und war Luxus keineswegs abgeneigt. Ein Reiseführer der 1920er Jahre weiß zu berichten: »Sie hatte unbestreitbar den schönsten und reichsten Schmuck Kölns und bei jedem ihrer Ausgänge, die immer um die Mittagszeit erfolgten, trug sie sehr viel davon, was stets kritiklos anerkannt wurde.« (Was nicht im Baedecker steht)

Ausschnitt aus dem Portrait von W. Herz.

„Da stauten sich zu früheren Zeiten so um die Mittagstunde vor ihrem großen Hause am Hohenstaufenring die Menschen, und wenn man einen Schutzmann erwischen konnte und ihn oder auf der Elektrischen den Schaffner fragte, was denn eigentlich los wäre, ob es einen Krawall gäbe oder einen Zusammenstoß, so wurde einem ziemlich von oben herab geantwortet, als ob man das wissen müsste: ‘de reiche Frau Oelbermann jeht aus’.“

Die Millionärsgattin, die als liebenswürdig und herzlich charakterisiert wurde, engagierte sich in der evangelischen Gemeinde, – ihre Großzügigkeit war willkommen. Laura Oelbermann kam als Protestantin in näheren Kontakt mit dem Kaiserhaus, als sie 1900 einen Zweigverein der auf Anregung der Kaisersgattin gegründeten „Frauenhilfe des evangelisch-kirchlichen Hilfevereins“ ins Leben rief. In der „Frauenhilfe (auch Frauenhülfe)nahm sie von 1908 bis 1919 den Vorsitz übernahm (Männer nahmen die rechtlich wichtigen Ämter ein). 1913 betreute er 250 Familien. 

Vermutlich der Tanzraum der Oelbermanns © RBA

Die Millionärsgattin, die als liebenswürdig und herzlich charakterisiert wurde, engagierte sich in der evangelischen Gemeinde, – ihre Großzügigkeit war willkommen. Doch ihr privates Glück währte nicht lange. 1897 starb ihr Mann,  im gleichen Jahr verunglückte der jüngste Sohn Harry auf Korsika. 1901verstarb der älteste Sohn Emil bei Genua und 1904 in Konstanz der mittlere und letzte Sohn Alfred, alle eines unnatürlichen Todes oder auch durch Syphilis, – keiner der Söhne hatte das dreißigste Lebensjahr erreicht.

Laura Oelbermann besaß 1913 schätzungsweise 16 bis 17 Millionen Reichsmark, zudem weitere Häuser in der Neustadt. Ein lustiges Leben mit Weltreisen und Festen kam für die nun erbenlose Millionärswitwe nicht in Frage.

Die trauernde Mutter konzentrierte sich auf die Wohltätigkeit und dabei auf die Unterstützung von (evangelischen) Kindern und Frauen.  Sie gründete  das Auguste- Viktoria-Heim , für arbeitende Mütter richtete sie Kinderkrippen und einen Hort ein (Emilienhort) in der Nähe von Fabriken ein. Ein Charlottenhaus in der Severinstraße war ein Haus für Kinder notleidender Eltern; die Diakonissenstation diente der ‚männlichen‘ Krankenpflege. Sie leistete auch direkte Einzelfallhilfe, indem sie zu Familien in die Armenvierteln fuhr und in den Wohnungen den materiellen Bedürfnisse abfragte: Lebensmittel, Matratzen, Schulgeld, Schuhe wurden dann umgehend geliefert. An manchen Tagen machte sie bis zu 15 solcher Besuche, füllte mal nur „den Bestand an Küchenvorräten auf…“ (Nachruf des Kölner Stadt-Anzeigers vom 4. Juni 1929).  Gezielt unterstützte sie weiterhin evangelische Dienstmädchen und die prekär lebenden Witwen evangelischer Pfarrer. Laura Oelbermann richtete eine Emil-Oelbermann-Stiftung ein, wobei die fünf Mitglieder des Verwaltungsrats aus “bekannten evangelischen Kreisen” stammen sollten. Sodann rief sie eine Laura-Oelbermann-Stiftung ins Leben. 

Ihre Aktivitäten entsprachen dabei stets der Rolle, die bürgerlichen Frauen zugewiesenen war, soziales Engagement war gewünscht, politisches verpönt. Das Füllhorn leerte sich nie, denn solche Aktivitäten sollten auch verhindern, dass die ausgebeutete Bevölkerung von den Ideen der Sozialdemokratie angezogen würde. Zudem wünschte sie, der zunehmenden Zerrüttung von Familien entgegenzutreten.

Immerhin unterstützte sie auch einige Gruppen der bürgerlichen Frauenbewegung wie den Cölner Verein weiblicher Angestellter, der sich zum Ziel gesetzt hatte, Mädchen zu einer guten Ausbildung, Krankenkassen, Altersrenten etc. zu verhelfen. 

Als sie eine sehr große Summe (insgesamt 180 000 Gold-Mark, heute wohl ein 7-stelliger Betrag) für das erste linksrheinische evangelische Krankenhaus stiftete und 1902 zum schnellen Baubeginn des Krankenhauses am Weyertal antrieb, konnte sie Kaiserin Auguste-Viktoria als Protektorin gewinnen.  Die Kaiserin wiederum fragte bei ihr eine größere Summe für ein Krankenhaus für die deutschen Bewohner*innen Palästinas auf dem Ölberg an.Laura Oelbermann ließ eine Million Reichsmark, d.h. ca. 40 Prozent der Finanzmittel, für die „Kaiserin Auguste Victoria-Stiftung auf dem Oelberge bei Jerusalem“ springen. 1910 nahm sie an der großen Reise des Kaiserpaares nach Jerusalem teil. Sie erhielt für ihre Zuwendungen den Luisen-Orden, die höchste Auszeichnung für Frauen, den neu geschaffenen Ölberg-Orden, eine Bronzebüste des Kaisers sowie einen Adelstitel: Am 15.8.1918 wurde sie von Kaiser Wilhelm II. als vermutlich letzte Deutsche in den Adelsstand erhoben, dann kam die Revolution! 

Laura von Oelbermann hatte, als sie mit 83 Jahren verstarb, ihre testamentarischen Bestimmungen längst getroffen. Im Dokument hatte sie zunächst Summen für ihre Haus-Angestellten festgelegt, auch ihren Hund versorgt. Ansonsten bestimmte sie die Emil- und Laura Oelbermann-Stiftung, die der “evangelischen Wohltätigkeit dienen” sollte, als “Universalerbin”. Deren Grundstock bildet die Villa mitsamt den hochrangigen Kunstschätzen – darunter befand sich sogar ein Gemälde der Impressionistin Berthe Morisot. Das Gebäude sollte nach ihrem Willen “als Wohn- und Aufenthaltsort für evangelische erwerbstätige Mädchen und daneben als Versammlungsraum evangelischer Jungfrauenvereine dienen”.  1931 zogen die ersten ‚Jungfrauen‘ ein, meist Hausangestellte. Mitte der 1970er-Jahre die letzten aus.

Im Rheinauhafen wurde auf Initiative des Kölner Frauengeschichtsvereins die „Laura-von-Oelbermann-Promenade“  errichtet, um auf Mäzenatentum von Frauen aufmerksam zu machen.  Zurecht? Laura Oelbermann hatten ihren Reichtum nicht durch eigener Hände Arbeit erworben, ihr Mann hatte seine Profite durch Versicherung und Handel gemacht, – Gelder, die oftmals den Textilarbeiter*innen vorenthalten wurden.  Von Oelbermanns Angst vor der Sozialdemokratie zeigt, dass sie kein Weltbild hatte, nach der allen Menschen ein ungefähr gleicher Lebensstandard zustehe. Sie gab ihrer Glaubensfamilie und auch Andersgläubigen viel, um sozialen Frieden zu gewährleisten, sicher auch aus ‘Barmherzigkeit’. Die Konservative folgte einem Konzept der bürgerlichen Selbstverantwortung, das beinhaltete , private Mittel für eigentlich öffentlich zu finanzierende Aufgaben herzugeben. Keinesfalls handelte es sich dabei um reinen Altruismus, denn gleichzeitig konnte sie durch ihre bürgerlichen ‘weiblichen’ Tugenden innerhalb der evangelischen Gemeinde Deutungsmacht erlangen. Sie blieb dennoch stets einer Rolle als sorgende Mutter verhaftet, denn sie nahm kein höheres Gemeindeamt an. Die Kompensation für ihre ‘Mildtätigkeit’ war in ihrem Fall der Kontakt zum Kaiserhaus mit einer gemeinsamen Reise ins „Heilige Land“, was ihren neuen sozialen Status sichtbar machte. In der Kirche der Hohenzollern, der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, existiert ein Wandmosaik von 1906, auf dem Laura Oelbermann an Gott, Kaiser Wilhelm I. und ihre Verstorbenen erinnern lässt.

Das Stiftungsvermögen umfasst derzeit rund 2,5 Millionen Euro. Das Krankenhaus im Weyertal hat einen guten Ruf, und das Augusta-Victoria -Hospital in Ostjerusalem versorgt heute überwiegend palästinensische Kranke.

April 2021 – Alice Neven DuMont

Die ‘Frau an ihrer Seite’

 Die uns als Alice Neven Dumont bekannte Verbandspolitikerin wurde als Johanna Josefine Josephine Maria Alice Minderop geboren. Sie brachte Geld und eine illustre Verwandtschaft in die Ehe mit dem jüngeren Verlegersohn Alfred Neven Dumont ein. In der Weimarer Republik war sie im Stadtverband Kölner Frauenvereine die treue Begleiterin an der Seite von Else Falk. Nach 1945 gehörte sie zu den Frauenrechtlerinnen, die eine Brücke zur jüngeren Generation schlugen und zur Reorganisation einzelner Frauenvereine und -verbände beitrugen.

Alices Minderop war das zweite Kind von Emilie Roeder (1856-1941) und Heinrich Minderop (1842-1923). Sie und ihre Geschwister – Bruder Hugo Emil Victor Minderop (* 1878) und Schwester Doris (* 1887) – wuchsen in einem so repräsentativen Haus in der Severinstraße auf, dass dessen Abbild in einigen Stadtführern abgedruckt wurde. Die Familie war – wie zu erahnen – Teil des Kölner Besitzbürgertums. 

Die Familie Minderop führten lange in Rotterdam dieKaffee- und Thee-Fabrik, produzierte u.a. “Minderop’s keurvorst koffie en thee”. Auch betrieben sie eine Fabrik zur Tabaksverarbeitung. Eine Catherine Minderop heiratete in die angesehen Kölner Tabaksfirma Foveaux ein. Damit waren die Minderops direkt in kapitalkräftigen Kreisen etabliert.

Über Alices Kindheit und Ausbildung ist nichts bekannt, üblicherweise besuchte ein Mädchen wie sie ein Mädchenpensionat im Ausland, in dem Französisch gesprochen, etwas Musik, Handarbeit und Haushaltsführung gelehrt wurde. Mit 19 Jahren ( heiratete sie den neun Jahre älteren Verleger Dr. Alfred Eduard Maria Johann Neven DuMont. Die Dumonts – ursprünglich de Montes italienischer Herkunft –  waren im 18. Jh. nach Köln eingewandert. Um 1805 kamen sie ins Verlagsgewerbe … der Sprössling Marcus Dumont machte 1805 in der Druckerin Dorotheas Schauberg eine gute Partie und erheiratete die noch kleine Kölnische Zeitung nebst Druckerei. Auch die niederländischstämmigen Nevens heirateten 1856 ein.  Alfreds Vater wurde 1861 Teilhaber im Verlag ‚M. DuMont Schauberg‘. seine Söhne Josef und Alfred setzten die Tradition  fort. Die Kölnische Zeitung war im Kaiserreich eine der wichtigsten überregionalen Zeitungen Deutschlands mit nationalliberaler Ausrichtung. Seit 1876 erschien auch der „Stadt-Anzeiger“ als Anzeigenblatt und Ableger der „Kölnischen Zeitung“, der zum späteren Kölner Stadtanzeiger aufstieg. 

Alices Verlobter hatte Rechtswissenschaften in Genf und Straßburg studiert und war, wie auf einem Foto zu sehen, Mitglied einer schlagenden Verbindung.

Der gemeinsame Wohnsitz des Paares lag in der Overstolzenstraße 5-13 in der Nähe des Volksgartens. Sie bekamen vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter.

Noch während die Kinder klein waren engagierte sich Alice Neven Du Mont in verschiedenen Kölner Frauenvereinen und zwar in Gründungen der damals liberal genannten Frauenbewegung, die weder konfessionell noch parteipolitisch geprägt war. 1909 war sie bei der Gründung des Verbandes Kölner Frauenvereine beteiligt.

 Als sie während des Ersten Weltkrieges in der Nationalen Frauengemeinschaft (NFG) aktiv war, wie es sich für eine Honoratiorengattin gehörte, lernte sie die jüdische Rechtsanwaltsgattin Else Falk, ebenfalls Mutter von vier Kindern, kennen, mit der sie fortan für viele Jahre kooperierte. Beide Frauen hatten einen Sohn in diesem Krieg verloren.

Ab 1919 und bis 1933 war Alice Neven DuMont hinter Else Falk 2. Vorsitzende des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine.  Ein wichtiges Anliegen war ihr das Wohlergehen von Müttern und kleinen Kindern – sie wurde 1924 Vorsitzende des Kölner Hilfsvereins für Wöchnerinnen, Säuglinge und Kranke. Auch in der Deutschen Gesellschaft für Mutter- und Kindesrecht, die ein Heim für Mütter unterhielt, nahm sie ein Amt als Vorsitzende an. Es war nur konsequent, dass das Duo Falk/Neven DuMont sich 1925 darum bemühte, die Mehrzahl der sozialen Aufgaben aus dem Stadtverband auszulagern und einen Wohlfahrtsverband zu gründen. Sie riefen eine Ortsgruppe des ‚liberalen‘ (nicht sozialdemokratischen und nicht konfessionellen) „5. Wohlfahrts-Verbandes“ ins Leben, der später umbenannt wurde in ‚Der Paritätische Wohlfahrtsverband, heute „Der Paritätische“. Der Verband war, wie Zeitzeugin Rosemarie Ellscheid schrieb, organisatorisch und räumlich engstens mit dem Stadverband verbunden, so „daß es sich praktisch um eine Organisation handelte“. Ihm standen konsequenterweise Else Falk und Alice Neven DuMont vor. 

Ab 1925-nutzte Alice Neven DuMont die Möglichkeiten, die der Beruf des Mannes bot: Der Stadtverband konnte bis 1933 eine “Frauenbeilage” innerhalb des Stadtanzeigers nutzen, um die Kommunikation innerhalb des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine zu gewähjrleisten, – das sog. Nachrichtenblatt. Diese halb Seite wöchentlich diente als Terminkalender, druckte Reden von Berlinerinnen aus dem Vorstand des Bundes deutscher Frauenvereine, berichtete von Tagungen usw. Herausgeberinnen waren wiederum Alice Neven DuMont und Else Falk, allerdings erledigte die Geschäftsführerin des Stadtverbandes die Auswahl und Redaktion der Artikel. Wie Else Falk gehörte sie zur Generation der Frauen, die das Schreiben und öffentliche Sprechen nicht gewohnt waren. 

Als Else Falk sich 1929 dafür einsetzte, eine Ortsgruppe der Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen (GEDOK) zu gründeten, war Alice Neven DuMont Mitglied des vorbereitenden Arbeitsausschusses.

Ein wenig mischte Alice Neven DuMont auch in der Parteipolitik mit, aber erst in den späteren Jahren der Republik. 1930/31 ließ sich die ‚Gattin‘ auf ein höheres Wahlamt ein: Sie zog als Abgeordnete der DVP in den Preußischen Provinziallandtag, der in Düsseldorf im Ständehaus des preußischen Provinziallandtags (heute Museum K21) tagte. Über ihre Tätigkeit ist, wie über die der meisten dortigen Mitglieder, bis jetzt wenig bis nichts bekannt, eine Forschungslücke.

Als die Nazis im März 1933 in der Kommunalwahl siegten, war das Ende des Stadtverbandes in der alten Form nahe, da in ihm zahlreiche Jüdinnen mitwirkten, nicht zuletzt ihre Tandem-Partnerin Else Falk. Zwei Tage nach der letzten Kommunalwahl betrat die lokale Frauenschaftsführerin nebst einem SA-Mann das Büro des Stadtverbandes in der Hohe Straße 38 und erklärte den Vorstand für abgesetzt.  Da Else Falk von allen Vorstandsämtern zurücktrat, um Schaden vom Verband abzuwenden, erbte Alice als zweite Vorsitzende die Funktionen, übernahm am 22. März 1933 den Vorsitz des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine, in der Folgezeit auch den der GOA (Gaststätten ohne Alkohol), des Vereins für Müttererholung und Mütterschulung, des 5. Wohlfahrtsverbandes, des Berufsfrauenhauses, des Vereins Frauenheim etc.  Alice Neven DuMont blieb in diesen Ämtern bis zur Selbstauflösung des Dachverbandes, des BDF, im Mai 1933. Zwiespältig erscheint heute ihr Agieren bzgl. der Gedok: Am 27. April 1933 trat sie auch in der GEDOK anstelle der Jüdin Else Falk das Amt der ersten Vorsitzenden an. Möglicherwiese erfolgte dies mit Billigung von Else Falk, jedoch war die Bedingung, dass alle Jüdinnen ausgeschlossen wurden, – und das war ein sehr großer Teil, vor allem bei den Musikerinnen. Else Falk sah sich genötigt, einen neuen Künstlerinnenverband zu gründen, die Jüdische Kunstgemeinschaft. –  1938 musste sie ins Exil gehen, völlig verarmt und alt. Nachdem ihr Mann in Brüssel verstorben war wanderte sie weiter nach Brasilien, wo ihr Mann lebte.

Über ´Neven Dumonts weiteres Agieren während der NS-Zeit ist wenig bekannt. Am 26. Juli 1947 versuchte sie, die überlebenden Frauen der Gedok zur Neugründung zusammenzutrommeln. Dieser Anlauf scheiterte. (Konnte sie auch Jüdinnen wiederfinden?) Einige Jahre später, 1953, folgte die Wiedergründung gemeinsam mit Paula Haubrich, Lotte Scheibler, Margarete Zanders, Edith Mendelssohn Bartholdy und Else Lang. Am 2. März 1955 wurde sie nebst Frau Moritz zum Ehrenmitglied der GEDOK Köln bestimmt. 

In hohem Alter erhielt Alice Neven DuMont weitere Ehrungen. 1957 wurde vor Zuhörerinnen aus 56 Frauenorganisationen ihr 80. Geburtstag begangen. Die langjährige Weggefährtin und CDU-Abgeordnete des Stadtrates Sibille Hartmann lobte ihre umfassende Mitarbeit in der Kölner Frauenbewegung, “die Förderung sozialer Frauenarbeit und das staatsbürgerliche Streben und Wirken”. Einige Tage später erhielt sie für ihr sozialpolitisches und kulturelles Engagement das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Zu ihrem 85. Geburtstag am 2. März 1962 feierte die Gedok sie mit einer Schmuckurkunde mit ehrendem Text: “alice neven hat der gedok – und nicht nur ihrer ortsgruppe koeln ! – das leben gerettet! sie uebernahm die leitung der ortsgruppe in den denkbar schweren jahren des 3. reiches,  das alle alten (auch die besten werte) umwarf, und ohne alice nevens’s weise einsicht in das gute schoene, schoene und wertvolle, ihre grosse diplomatische geschicklichkeit, ihr ehrliches bemuehen, der zeit und allen ihr anvertrauten gerecht zu werden, und vor allem ohne die beteiligung eines grossen wethen herzens waere es nicht moeglich gewesen, das gedokschifflein durch die stuerme jener tage ohne havarie hindurchzusteuern.” (Archiv Gedok)

1952 kam Else Falk noch einmal nach Köln, sie hatte Kontakte zu einigen Kölner Wegbeleiterinnen wie auch zu Konrad Adenauer gehalten. Ein Bild zeigt zwei alte Frauen, eventuell sind es wiederum Alice Neven DuMont und Else Falk. 

Am 23. August 1964 starb die Verlegersgattin mit 87 Jahren in Köln und liegt im Familiengrab auf dem Melaten-Friedhof nahe der sog.- Millionenallee begraben (Flur 63 A). das Grab von Else Falk (+  8. Januar 1956) in São Paulo ist unbekannt.

Irene Franken

Zum Weiterlesen:

  • Ellscheid, Rosemarie: Der Stadtverband Kölner Frauenvereine, Köln [1988]
  • Franken, Irene: Frauen in Köln. Der historische Stadtführer, Köln 2008
  • Regenbrecht, Katharina: Alice Neven DuMont 1877-1964, in: „10 Uhr pünktlich Gürzenich”, Münster 1995, S. 264-265
  • Tyrakowski, Marlene: „Die machten aus uns keine Nazi’ssen”. Kölner Frauenbewegung und Nationalsozialismus, in: „10 Uhr pünktlich Gürzenich”, Münster 1995
  • http://www.deutsche-biographie.de/pnd116990015.html.

März 2021 – Auguste (Gussie) Adenauer

Auguste (Gussie) Adenauer (1895 – 1948)

aber ihr wurde eine fundierte Ausbildung verwehrt.  Als Anfang 20-Jährige entschied sie sich, die Stiefmutter  der drei Kinder des verwitweten Politikers Konrad Adenauer zu werden. Sie hat mit dem häufig abwesenden, weil politisch so erfolgreichen Mann die Familie noch  vergrößert. Die elegante Frau hielt sich meist im Hintergund, nur einmal äußerte sie sich öffentlich zur Politik.

Bedingt durch psychische Folter in der NS-Zeit  verlief ihr restliches Leben tragisch.

Gussie Adenauer, geb. Zinnser (1895-1948) © KAS

 Auguste (Gussie) Adenauer

Augustes Vater war der Dermatologe Prof. Dr. Ferdinand Zinsser, der einen Teil seiner Kindheit in den USA verbracht hatte. Über die Mutter Wilhelmine (Minna) Tourelle ist wie so häufig nicht viel bekannt, das Paar war ggf. Cousin und Cousine. Die Familie war protestantisch und lebte in der Lindenthaler Haydnstraße 7-9. Während Bruder Ernst, der ca. acht Jahre jünger war, studieren und Architekt werden konnte, wurde dies der Tochter nicht zugestanden, obwohl seit 1908 in Preußen das Frauenstudium erlaubt war. Immerhin erhielt die begabte Tochter eine fundierte kulturelle Bildung, sie spielte hervorragend Geige.

1911 zogen die Familie Zinsser in die Max-Bruch-Straße Nr. 6, benachbart zum Stadtverordneten Konrad Adenauer, seiner Frau Emma und deren drei Kindern. Die Familien pflegten bald ein freundschaftliches und zwangloses Verhältnis. 

Die neue Frau Adenauer

 Nachdem Emma Adenauer 1916 verstorben war verspürte Konrad Adenauer das Bedürfnis, seinen Kindern bald eine neue Mutter andienen zu können. Gussie Zinsser und Konrad Adenauer verband die Liebe zur Natur, zum Gärtnern und zur Musik, sie schrieben sich zunächst ganz züchtig zahllose Briefe. Der 40-jährige Adenauer verjüngte sich in diesen Monaten äußerlich, was sicher nicht nur politisch motiviert war (Beginn des demokratischen Staates 1918). Vier Jahre nach Emmas Ableben heiratete die 24-jährige Gussie den hochrangigen Kölner Repräsentanten der Stadt und kümmerte sich um die drei Kinder Konrad, Max und Maria, die zwischen sieben und 13 Jahre alt waren. Zuvor war sie zum katholischen Glauben konvertiert, was ihr nach Erinnerung ihrer jüngsten Tochter Libet nicht leicht fiel: „Sie hatte Mühe, sich mit dem starren Geboten zurechtzufinden. Ihre Religiosität war unmittelbarer. Ihre Liebe zu Gott ermöglichte ihr jedoch ein tiefes Verständnis vieler Heiliger.“ (Werhahn, Libet s.u., S. 80) Die Konversion hielt sie nicht davon ab, weiterhin Ideen einer Ökumene anzuhängen.

Unentbehrliche Ratgeberin und Mutter

Ab 1921 folgten fünf Geburten; das erste Kind starb, was sicher nicht leicht zu bewältigen war. Die folgenden vier Kinder überlebten (Paul, Charlotte, Elisabeth/Libet und Georg). Der Ehemann war viel unterwegs und hatte oft Kopfschmerzen, so prägte die Mutter „die häusliche Atmosphäre…, dem heiteren Lebensstil ihres Elternhaus folgend, förderte warmherzig und lebensbejahend ein fröhliches, abwechslungsreiches Familienleben.“ (ebenda) Das Paar tauschte sich über Politik aus und Gussie wurde ihrem Mann eine unentbehrliche Zuhörerin und Ratgeberin; sie teilte seine Erfolge und seine Zweifel, z.B. angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen. Die elegante Frau Adenauer begleitete ihren Mann auch gerne nach Berlin, wo dieser als Mitglied des Staatsrates agierte. Sie nahm Termine wahr egal ob in Bergmannsmontur bei der Fahrt in einen Kohlenschacht oder im feinen Seidenkleid bei der kulturelle Veranstaltung. Die Mutter von sieben Kindern wusste sich zuhause von einer ausgebildeten Kindergärtnerin unterstützt, beide Frauen waren Anhängerin der Pädagogik von Maria Montessori.

Grabstätte von Konrad Adenauer und seinen zwei Ehefrauen nebst dem als Säugling verstorbenen Kind Ferdinand auf dem Waldfriedhof in Rhöndorf, © Die Turmkoop/Irene Franken

 Die Neu-Katholikin wurde zur Bezirksvorsitzenden im Ortsverein Köln des einflussreichen Katholischen Deutschen Frauenbundes gewählt. Die Mitwirkung im Deutschen Roten Kreuz war ein Zeichen nationaler Verbundenheit. 1929 ließ sie sich in den geschäftsführenden Arbeitsausschuss des Frauenbeirates der Kölner Zentrumspartei wählen. Ebenso engagierte sie sich für Künstlerinnen, wurde 1929 Mitgründerin des Frauen-Kunstverbandes Gedok und förderte jüngere Frauen als sog. Kunstfreundin. Diese luden z.B. Musikerinnen oder Rezitatorinnen in ihre repräsentativen Behausungen ein und ermöglichten ihnen Aufführungspraxis oder stellten Kunstobjekte aus. Diese Mitgliedschaft brachte sie in Kontakt mit vielen nichtkonfessionell engagierten Frauen des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine, u.a. mit Else Falk, der bedeutendsten Kölner Frauenrechtlerin der Weimarer Spätzeit, mit der Zionistin Rosa Bodenheimer oder der Sozialdemokratin Dr. Hertha Kraus.

Als die Verhältnisse auf eine Nazi-Diktatur zuliefen, ergriff sie Partei. Am 25.2.1933 unterschrieb sie mit anderen prominenten katholischen Frauen einen Wahlaufruf und legte den Kölner Frauen die Wahl der Liste 4 (Deutsche Zentrumspartei) bei der Reichstags-Wahl am 5.3. und der Kommunalwahl am 12.3. nahe. Der Aufruf sprach sich nicht explizit gegen die Nazis aus, wohl aber „gegen Straßenterror und hemmungslosen Hass.“ Laut der Konrad Adenauer Stiftung erlitt sie dafür „Diffamierungen und Drohungen der Nationalsozialisten.“ Das war vermutlich Gussie Adenauers erste und letzte explizit politische Äußerung.

Leben in Gefahr

Ihr Ehemann wurde von der NSDAP noch im März 1933 seines Amtes enthoben, obwohl er Anfang der 1930er Jahre durchaus offen war für eine Koalition mit der NSDAP. Trotz der erkennbaren Beliebtheit bei vielen Kölner:innen gab es nach seiner unehrenhaften Entlassung kaum öffentliche Solidarisierungen. Konrad und Gussie Adenauer und die Kinder vermieden 1934 durch Wegzug nach Potsdam offene Anfeindungen, Konrad Adenauer hoffte jedoch vergeblich, dort eine neue Anstellung zu finden. 

Im weiteren Verlauf der NS-Diktatur wurde Auguste Adenauer für ihren Mann eine große Stütze. Laut der Freundin des Hauses Dora Pferdmenges gab sie ihm die Kraft, das Leben ohne Amt und im Versteck zu ertragen. Der tatenlose 60-Jährige erwies er sich in dieser Zeit als strenger Patriarch; der Alltag von Gussie und den vier im Haushalt verbliebenen Kindern muss bisweilen hart gewesen sein, da sich Konrad intensiv in das Leben seiner Kinder einmischte, sofern er nicht wegen Verhaftungsdrohungen oder Ausweisungen abwesend war. Als sich keine neue Arbeitsmöglichkeit ergab, beschloss die Familie 1935, nach Rhöndorf im Siebengebirge zu ziehen. Das bald bezogene Wohnhaus, heute ein Museum, hatte Gussies Bruder Ernst entworfen. Mit Gussies Hilfe konnte Konrad Adenauer nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 und der kurzfristigen Inhaftierung auf dem Deutzer Messegelände in den Westerwald fliehen. Dadurch brachte er jedoch seine Familie und vor allem seine Frau in große Bedrängnis. Um auf die Ehefrau des prominenten katholischen Regimegegners Druck auszuüben wurde sie in der Gestapo-Zentrale am Appellhofplatz (EL-DE-Haus) in´haftiert, wo ihr Gewalt angedroht wurde, wenn sie nicht den Aufenthaltsort ihres Mannes preisgebe. Auch wurde in Aussicht gestellt, bei Weigerung die Töchter im Gestapokeller zu inhaftieren. Nach wenigen Tagen verlegten die NS-Schergen sie nach Brauweiler. Die sechszehnjährige Tochter Libet besuchte sie dort und fand eine gebrochene Frau vor: „Sie schaute mich apathisch an. Ihre Augen waren tiefdunkel umschattet. Sie können sie bald wieder haben, sagte man mir. Wir sind ihrem (sic) Vater auf der Spur.“ (Werhahn, S. 86).

Von den Nazis gebrochen

Gussie hatte unter der Drohung gegen die Töchter das Versteck ihres Mannes verraten – und dieser wurde aufgegriffen. Den Tag der Silbernen Hochzeit am 25. September 1944 verbrachte das Paar – unwissend – benachbart im Gestapo-Gefängnis Köln-Brauweiler, aber getrennt in der Frauenabteilung resp. Männerabteilung. Beide erlebten unvergessbare Gräueltaten und mussten dort laut einer Aussage Konrad Adenauers Folterungen anhören.

 Aufgrund ihres hohen moralischen Ethos konnte Auguste Adenauer sich die Preisgabe des Verstecks nicht verzeihen. Sie unternahm in Haft einen Suizidversuch. Diese Handlung, mit der sie die Gebote ihrer Religion vestieß, spiegelt ihre seelische Not wider. Daraufhin wurde sie freigelassen. Sie litt aber noch länger an den Folgen ihrer schweren Tablettenvergiftung.

Auch wenn der Ehemann ihr nie einen Vorwurf machte wurde sie ihres Lebens nicht mehr froh.

Die Entscheidung Konrads, wieder OB von Köln zu werden, trug die Familie mit, seine unehrenhafte Entlassung durch die Briten am 6. Oktober 1945 wegen angeblich unterlassener Pflichterfüllung traf Gussie Adenauer in ihrer psychisch instabilen Situation schwer. Sie erkrankte lebensbedrohlich. 1946 gründete Konrad Adenauer in der Britischen Zone die CDU, Gussie nahm anders als andere katholische Weggefährtinnen wie Christine Teusch keinen aktiven Anteil.

Am 3. März 1948 starb sie qualvoll im Beisein des 72-jährigen Ehemannes und einiger der Kinder mit nur 52 Jahren im Bonner Johanneshospital, – an den Folgen des misslungenen Suizids, wahrscheinlich kam eine Leukämie hinzu, aber sicher spielte auch Verzweiflung eine Rolle bei diesem frühen Tod. Auch die zweite Ehefrau ließ Konrad Adenauer als Witwer zurück. Tochter Libet erinnert sich: „Und unser Vater fiel (…) für mehrere Tage komplett aus. Er schloss sich ein und war für uns überhaupt nicht mehr erreichbar.“ (Werhahn). Diese Trauer erwähnte er später als einen von wenigen privaten Momenten in seinen Memoiren.

Ehrung

1963 wurde im Wenigerbachtal bei Bendorf ein Haus des Katholischen Deutschen Frauenbundes nach Gussie Adenauer benannt, es diente der Müttergenesung. Bundeskanzler Konrad Adenauer kam zur Einweihung am 25. Mai 1963, was wohl auch eine Intention der Namensgebung gewesen war, denn im Gefolge kamen viele geistliche Würdenträger und die Presse. Anneliese Debray begründete die Wahl der Namenspatin mit den Worten “Gussie Adenauer, Gefährtin und Helferin in Notzeiten und Verfolgung, als Bild der Ermutigung für viele Mütter, die täglich mit neuem Leide aus den Großstädten zu uns kommen”.

Irene Franken

Lit. und Links:

  • Werhahn, Libet (zus mit. Marlene Zinken): Im Wechselbad der Geschichte. Gussie Adenauer, in: Der unverstellte Blick. Unsere Mütter (aus)gezeichnet durch die Zeit 1938 bis 1958. Töchter erinnern sich, Opladen/Farmington Hills, Mich. 2008 , S. 80-89
  • Franken, Irene:
  • Gussie Adenauer – Die Frau an seiner Seite. In: Rita Wagner, Kölnisches Stadtmuseum (Hrsg.): Konrad der Große – Die Adenauerzeit in Köln 1917–1933. Nünnerich-Asmus, Mainz 2017, S. 25–27. (Begleitband zur Ausstellung Konrad der Goße im Kölnischen Stadtmuseum).
  • https://www.konrad-adenauer.de/wegbegleiter/a/adenauer-gussi
  • Sack, Birgit: Zwischen religioeser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/19 – 1933, Münster 1998
  • http://www.imsichtfeld.de/adenauerwelt/zuhause/
  • vgl. HAStK Best. 903 Billstein, Heinrich, A 364 Wahlaufruf

Februar 2021 – Maria Mies

Prof. Dr. Maria Mies im Januar 2018 © Kölner Frauengeschichtsverein, Fotografin: Irene Franken

 Immer wieder wird sie von jungen Frauengenerationen entdeckt – die Kölner Wissenschaftskritikerin und Aktivistin von Weltrang. Maria Mies schaffte den Aufstieg von der Eifler Bauerntochter zur Professorin, – eine Beispiel-lose Karriere.  Die Soziologin entwickelte Grundlagen-Diskurse zur Frauenforschung und beschäftigte sich besonders mit den Arbeitsbedingungen der Frauen des Südens. Sie ist bis heute eine der  bekanntesten und international meist vernetzten Kritikerinnen der Globalisierung. Am 9.2. 2021 wird Maria Mies 90 Jahre alt, – Anlass für eine  Würdigung!

Maria Mies wurde am 6.2. 1931 in der Vulkan Eifel geboren; sie war das siebte von zwölf Kindern.  Das Mädchen war sehr wissbegierig und schaffte es als erstes ihres Dorfes, den Besuch einer Höhere Schule durchzusetzen. Sie wurde zunächst – auf Umwegen – Lehrerin für Englisch und Deutsch, dann wurde ihr das Umfeld zu eng und sie zog in die Welt. Die Anregungen aus dieser agrarisch geprägten Kindheit nahm sie jedoch immer mit, u.a. später in ihrer Theorie der Subsistenzperspektive oder in den Titel ihrer Autobiografie: Das Dorf und die Welt.

Freiheitsliebe und Abenteuerlust führten die junge Lehrerin in den 1960er Jahren fünf Jahre lang an ein Goethe-Institut im indischen Pune (früher Poona). Dort unterrichtete sie junge Inder:innen in der deutschen Sprache – und machte erste soziologische Beobachtungen, wie sie in ihrer Autobiografie schildert: „Als ich nach Indien ging, war ich noch total unpolitisch. Im Goethe-Institut in Pune traf ich nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die Deutsch lernen wollen. Was bezweckten die Frauen damit, fragte ich mich. Eine indische Professorin für Anthropologie hat mir vorgeschlagen, eine Umfrage durchzuführen, was ich zuvor noch nie gemacht hatte. Das Ergebnis des Fragebogens ‚Why German?‘, also ‚Warum Deutsch?‘, war wie erwartet, was die Männer betraf: Sie gehen nach Deutschland, um

 Zurück in Deutschland ging sie folgerichtig an die Kölner Universität und forschte bei dem Soziologen Prof. René König zum Patriarchat in Indien und Deutschland. Ihre Dissertation von 1971 trug den Titel „Rollenkonflikte gebildeter indischer Frauen“ (veröffentlicht 1973 unter dem Titel “Indische Frauen zwischen Patriarchat und Chancengleichheit. Rollenkonflikte studierender und berufstätiger Frauen”.).  

Nicht zuletzt als Folge des Studiums in den bewegten Jahren 1968/69/70 wurde sie politische Aktivistin. Zunächst beteiligte sich die Studentin an mehreren Kölner Nachtgebeten in der Antoniterkirche, einer progressiven Form des politisch aufklärenden Gottesdienstes. So war sie am 5. Januar 1971  beim Nachtgebet zum Thema Frauenemanzipation beteiligt, was langfristige Folgen hatte:

„Eine Freundin hatte mich zu der Nachtgebetsgruppe mitgenommen und ich beschloss, dort mitzumachen. Ich war Studentin und trotz meiner Religionskritik noch in der Kirche“, heisst es in ihrer Autobiografie. „Ich wollte diese patriarchalischen Strukturen in einem Politischen Nachtgebet darstellen, kritisieren und zu Veränderungen aufrufen. […] Als Slogan für unser Flugblatt wählten wir einen von uns etwas abgeänderten Satz von Ernst Bloch: ‚Die Frau liegt (immer noch) unten.‘ “ Schon damals hatte sie die Abwertung der Frauenarbeit im Blick: „Der Kern unserer Kritik galt der üblichen familialen Arbeitsteilung: Der Mann ist der ‚Ernährer‘, der das Geld verdient. Die Arbeit der Hausfrau zählt nicht.“

Das Vorbereitungsgremium aus vier Frauen, darunter Dorothee Sölle, sprach sich für ‚männerfreie‘ Gruppen zur Selbstfindung aus. Nach Erlangung des nötigen Selbstbewusstseins könne es gemeinsam mit den Männern weitergehen; die angestrebten Veränderungen würden im Übrigen auch den Mann befreien. 

Diese Utopien wurden in der Tagespresse belächelt, aber von den anwesenden Frauen gut angenommen. Im Anschluss an den Abend, der wegen des Andrangs sofort wiederholt wurde, gründeten sich in Köln VHS-Kurse zu der Thematik, die über Jahrzehnte fortgeführt wurden, sie wurden für unzählige Frauen zum Auslöser von Emanzipationsprozessen. Und es bildete sich die erste lokale Frauengruppe der neuen Frauenbewegung, das Frauenforum Köln e.V.

1971 konnte der weite Begriff Emanzipation Frauen noch zusammenführen. Mit dem Erstarken des autonomen Feminismus und der Frauen in linken Vereinigungen erfolgten die ersten Abspaltungen. So haben sich1972/3 vom Frauenforum bald die Sozialistinnen abspalteten, sie gründeten die Sozialistisch-feministische Aktion (Sofa); Maria Mies war aber in keiner der beiden Gruppen aktiv. Sie bereitete ihre Uni-Karriere vor.

Maria Mies im Sommer 2013 © Kölner Frauengeschichtsverein, Fotografin: Gabriela Schaaf

Von 1974 bis 1977 führte sie im Rahmen eines Lehrauftrages an der Universität Frankfurt Seminare zur „Geschichte der Internationalen Frauenbewegung” durch. Diese Kurse waren von Frankfurter Studentinnen erstritten worden, um einen Lehrstuhl zur Frauenforschung  durchzukämpfen.  Maria Mies übernahm danach einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Köln für Sozialpädagogik an und wandte sich zunehmend feministischen Inhalten zu. Die 1. Internationale UN-Frauenkonferenz in Mexiko 1975 hatte Maria Mies weitere Erkenntnisse – und Fragen verschafft. Sie stellte fest, dass sie kaum etwas über die ‘alte’ Frauenbewegung in Europa, geschweige denn über die Bewegungen in anderen Teilen der Welt wusste, und dass sie dies auch ihren überwiegend weiblichen Studierenden nicht vermitteln konnte. Daraus folgte für sie: Es müssen neue Wissensfelder und neue Formen der Vermittlung her. Zwar sollten es keine Selbsterfahrungsgruppen sein, wie sie aus den USA herübergeschwappt waren, aber Frauenseminare, deren Inhalte praktisch-politisch umgesetzt werden konnten.

Erkannt – getan, sie richtete Frauenseiminare an der FH ein.

„Da war vor allem die Erfahrung der Gewalt: Um diese Zeit war von Erin Pizzey das erste Haus für geprügelte Frauen im Londoner Stadtteil Chiswick errichtet worden. Die Studentinnen beschlossen, auch in Köln ein Haus für geschlagene Frauen zu gründen.“  So war Maria Mies eine der ‘Hebammen’ des ersten Hauses für geschlagene Frauen, das aus der autonomen Frauenbewegung heraus entstand (vorher gab es erst eines des Berliner Senats).

1978 veröffentlichte die Soziologin ihren vielleicht meist rezipierten Text „Postulate der Frauenforschung“, der im deutschsprachigen Raum direkt großes Aufsehen erregte: Die Verfasserin verlangte nicht nur, den ‚subjektiven Faktor‘ der Forschenden offen zu legen, sondern sie forderte Parteilichkeit für Frauen, was gegen das Dogma der (vermeintlichen) wissenschaftlichen Objektivität verstieß. Nicht alle Wissenschaftlerinnen folgten ihr. 

Mies war schon lange Internationalistin, hatte früh begonnen, weltweit Kontakte zu knüpfen. 1979 begründete sie am Institute of Social Studies in Den Haag den Schwerpunkt “Women and Development“. Als Marx-Kritikerin beschrieb sie z.B. 2003, dass der Kapitalismus das Patriarchat nicht aufgehoben habe, was Marx vorausgesagt habe. Der Kapitalismus schaffe immer neue Ungleichheiten. Mies betrachtete Hausarbeit als Basis des Kapitalismus, im Gegensatz zu Marx, der die Lohnarbeit als Basis ansah. Daher folgte sie teilweise Rosa Luxemburg in ihren ökonomischen Abhandlungen, erweiterte diese jedoch um Thesen zur Unterbewertung der Haus- bzw. Reproduktionsarbeit. Die sichtbare Lohnarbeit sei weiß, männlich und in den Ländern des Nordens durch Arbeitsverträge geregelt. so Mies. Nur diese käme in den Berechnungen es Bruttosozialprodukts vor. Darunter läge wie bei einem Eisberg der Hauptteil unsichtbarer Arbeit von weißen und schwarzen Frauen (auch in der Prostitution) und auch bei Männern in sog. McJobs. Unsichtbar sei des weiteren die Arbeit in der sog Subsistenzwirtschaft durch Bäuerinnen/Bauern, die ihre Landwirtschaft zum eigenen Erhalte betrieben (Kleinbauern) oder durch kleine Handwerker:innen, die für den lokalen Markt arbeiten, sodann durch Kolonialisierte.

Eines ihrer bekanntesten Bücher ist der Sammelband Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit (1983) das sie mit den sog. Bielefelderinnen (V. Bennholdt-Thomsen und C. von Werlhof.) herausgab.

Mies entwickelte die These der Hausfrauisierung, die sie später in der Zeit der neoliberalen Globalisierung auf die Männer ausweitete, da auch sie immer weniger auf geschützte Beschäftigungsverhältnisse zählen könnten… 

Nochmals ging sie nach Indien, produzierte eine beeindruckende Studie über Spitzen-Arbeiterinnen, in der sie dargelegte, wie diesen durch Entzug der Kenntnisse und Aufträge von Häkel-Motiven eine erhöhte Ausbeutung der Frauen möglich war: Sie konnten nur noch einzelne kleine Rosetten häkeln und diese selbst nicht mehr verkaufen (Lace Makers of Narsapur. Indian Housewives Produce for the World Market, 1982). Übrigens heiratete sie nach langer Fernbeziehung den indischen Wissenschaftler Saral Sarkar, der seit 1982 mit ihr in Deutschland lebt.

Ihre Forschungsschwerpunkte waren nun Landfrauen in der (wies es damals hieß) Ersten und Dritten Welt, Kapitalismus und Subsistenz, Gentechnik und immer wieder Alternativen zur globalisierten Wirtschaft. Sie publizierte feministische, ökologische und entwicklungspolitische Bücher, die auch ins Englische übersetzt wurden und weltweit Beachtung fanden. Sie folgerte, gerade von den Frauen müsse die Frage kommen, welche Wirtschaft und welche Gesellschaft wir wollten – „was ist möglich auf einem begrenzten Planeten?“ Maria Mies nahm heutige Diskurse wie ‚Es gibt keinen Planet B’ vorweg, forderte ein Zurückfahren des Konsums – heute wird diese Bewegung degrowth genannt, Schrumpfen, – eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform einrichten, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. „Wir sind der Überzeugung, dass die gemeinsamen Werte einer Postwachstumsgesellschaft Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation sein sollten. Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen.“ Sie verstand Subsistenzwirtschaft nicht als Zurück ins Mittelalter, sondern als das Verfolgen eines anderen Ziels beim Wirtschaften: die Wiederherstellung des Lebens; die Grenzen der Natur, auch der eigenen Körperlichkeit, erkennen; Nahrungsproduktion vor Industrieproduktion; den Wachstums Wahn beenden; Fülle und Vielfalt statt Monokultur; lokales Wirtschaften; Gemeingut- und Allmenden-Denken hochschätzen; die Verhinderung der Privatisierung von Wasser usf. 1996 erlebte ihre Broschüre “Die Befreiung vom Konsum”  ihre 2. Auflage.

Ab den 1980ern und damit sehr früh hat sie zur internationalen Vernetzung der globalisierungskritischen Bewegung beigetragen. Mies’ Kritik richtet sich gegen die unzureichende demokratische Kontrolle internationaler Finanz- und Handelsinstitutionen wie die WTO, den IWF und die Weltbank,. Sie gründete in Deutschland das Komitee Widerstand gegen das MAI  (Multilateral Agreement on Investment) mit, das die bundesdeutsche Öffentlichkeit erstmals über länderübergreifende privatwirtschaftliche, Heuschrecken-freundliche Abkommen informierte, die die Herabsenkung aller Standards für ArbeitnehmerInnen und Umwelt beinhalteten und zu deren Verarmung bzw. Zerstörung führen werden. Deren Existenz wurde einer größeren Allgemeinheit jedoch erst durch den Kampf gegen das TTTP bekannt.

Maria Mies gebrauchte auch früh den Begriff des Guten Lebens, – heute gibt es in Kölner Stadtteilen den Tag des guten Lebens! Dabei wird dann gern auf internationale Bewegungen, auf indigene Völker in Bolivien rekurriert, die das Entwicklungsparadigma des Westens in Frage stellen. Diese Ideen des guten Leben zusammen mit Tieren, mit Pflanzen, mit anderen Menschen, mit einer anderen Ethik, wäre auch in Köln zu finden gewesen …

1993 kam die Emeritierung – aber Maria Mies blieb noch lange in der feministischen und globalisierungskritischen Bewegung, zum Beispiel bei Attac Köln, feminist attac etc., aktiv. Jedoch ging die den Weg des gender mainstreamings nicht mit: “Ich bin gegen diese Gleichstellungspolitik. Mit dem, was Männer heutzutage im kapitalistischen Patriarchat machen, will ich nicht gleichgestellt werden. Die Männer verkörpern nicht das ideale Menschenbild für mich. Die Menschen sollten nicht sein, wie die patriarchalen Männer heute sind. Egal in welchem Land. Wir haben in Deutschland eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin. Dadurch wirkt das Land vermeintlich fortschrittlich. Viele Feministinnen denken so. Aber die Politik, die diese beiden betreiben, ist doch dieselbe, sie ist patriarchalisch, sie ist kapitalistisch, sie ist kolonialistisch – wie eh und je. Was geändert werden müsste, ist dieses ganze Bild, die ganze Vorstellung und die ganze Weltanschauung, die den idealen Menschen im Mann sieht. Und das ist eine uralte Geschichte. Das hat nicht jetzt erst angefangen.”

Maria Mies lebt weiterhin mit ihrem Mann in Köln. Sie hat ihren gesamten Vorlass dem Kölner Frauengeschichtsverein übergeben. Das große Konvolut wird von der Archivkollegin Gabriela Schaaf kompetent und kontinuierlich in unserer Datenbank erfasst, um ihn zeitnah für Forschungen zur Verfügung zu stellen.  

Links:

 2020 las Maria Mies für den Kölner Frauengeschichtsverein aus ihrer Autobiografie

Irene Franken, Januar 2021.

Januar 2021 – Henriette Hertz

Eine Kunstmäzenin mit ungewöhnlichem Lebenslauf ( 8.1.1846 Köln –  9.4.1913 Rom)

Henriette Hertz, genannt Harry, war die Tochter des jüdischen Kaufmanns und Pferdehändlers Abraham Hertz aus Gangelt bei Geilenkirchen und der ledigen Rosa Hecht aus Neuendorf bei Koblenz. Die Familie hatte sich mit drei kleinen Kindern 1844 in Köln niedergelassen, Henriette war das erste in Köln geborene Kind und das erste Mädchen nach drei Söhnen. Sie hatte insgesamt 16 Geschwister, wovon jedoch nur sieben erwachsen wurden. Henriette lebte demnach in einer ca- 10-köpfigen kleinbürgerlichen, frommen, aber doch liberalen und vermutlich wohlhabenden Familie. Das Elternhaus wird als großes Haus in der St. Apernstraße beschrieben. Später, 1884, errichtete dort die orthodoxe Austrittsgemeinde Adass Jeschurun eine Synagoge mit Volksschule und Lehrerseminar, 1919 entstand hier die berühmte Jawne als Privates jüdisches Reform-Realgymnasium mit Realschule für Knaben und Mädchen. Zu Henriettes Zeit gab es diese Einrichtungen jedoch noch nicht. So erhielten Töchter wie Söhne zunächst eine gute Bildung zuhause, anschließend ging Henriette in eine privates Institut zur Formung von Mädchen zur Mutter und Ehefrau.

Henriette Hertz zeigte eine besondere Neigung zu Kunst, Literatur, Musik und Sprachen, hatte auch Interesse an Kunsttheorie. Sie rezipierte sicher Goethes Italienische Reise oder die Texte von Winckelmann Sie machte selbst erste literarische Versuche und malte. Gerne hätte sie ein Studium der Kunstgeschichte begonnen. Früh war ihr bewusst, dass ihrem Charakter ein Leben als Ehefrau und Mutter nicht lag, ebenso wenig das einer im Haushalt mitlebenden geduldeten Tante oder einer Lehrerin. Sie empfand einen inneren Drang, ihr Leben der Kunst und Wissenschaft zu widmen. (vgl. Soltau, s.u.)

 Das Mädchen fand eine ungewöhnliche Lösung. In der Schule hatte sie sich mit der Jüdin Frida / Friederike (später Frederike) Löwenthal angefreundet, Tochter eines Fabrikbesitzers Adolf Löwenthal. Als diese 1866, d.h. mit 19 Jahren, ihren Cousin Ludwig Mond (* 1839) heiratete, schloss sie sich dem Paar an. Die beiden wurden zu den wichtigsten Personen ihres Lebens als Erwachsene.  Das Trio verbrachte viel Zeit miteinander. Der begabte Ehemann Mond, ein Student u.a. von Bunsen, war ein aufstrebender Industriechemiker. Henriette wurde früh eine Förderin seines Berufsweges. Ihre Einlagen sollten sich auszahlen… Er, der schon mehrfach im Ausland gelebt hatte, sah bessere Chancen für seine Geschäfte in England. Frieda zog selbstverständlich mit ihm, lebte mal in Farnworth / Lancashire, mal in Winnington / Cheshire, und ab 1884 in London mit ihm.

Aber auch Henriette lebte bald wieder mit den beiden: Frida lud sie nach ihrem Umzug direkt nach England ein, damit sie keine einsamen Tage in England verbringen müsse. Henriette folgte dem Ruf – und blieb, bis sie Jahrzehnte später ein neues Land als festen Wohnsitz erkor!

Ludwig Mond, mit dem sie sich sehr gut verstand, arbeitete in der Ammoniak-Soda-Industrie, und meldete bald mehrere Patente an, z.B. 1879 ein Verfahren, um auftretenden Ammoniakverlust auszugleichen. Es gelang ihm, eine Fabrik auf der Basis einer eigenen Erfindung (Ammoniak Soda) zur Rückgewinnung von Schwefel zu gründen. Er entwickelte neue Wege im Bereich der Gas Nutzung, erfand Nickel u.a.m. Die Aktiengesellschaft Brunner, Mond & Company Ltd. gehörte bald zu den wichtigsten Sodaproduzenten der Welt, schuf eine der wichtigsten Companies der Imperial Chemical Industries (ICI). So wurde Mond einer der reichsten Industriellen Englands, und als Investorin profitierte auch Henriette Hertz. Dabei war er ungewöhnlich sozial, er gewährte bereits 1884 bezahlten Urlaub von einer Woche pro Jahr, er zahlte bei Erkrankung den Lohn weiter und er führte eine medizinische Versorgung ein. Ab 1895 galt in seinen betrieben die 49¼-Stunden-Woche – das war ungewöhnlich!

Frieda bekam zwei Söhne, die Karriere machten, – Henriette blieb kinderlos. Beide nahmen nun wieder Zeichen- und Malunterricht.

Ludwig Mond kaufte ein repräsentatives Landhaus. Von der Gattin wurde erwartet, aufgrund des zunehmendem Reichtums ihre repräsentative Rolle auszubauen, Doch vermutlich hatte sie nach den Geburten eine Depression, sie verbrachte viel Zeit im Bett. die Freundin Henriette Hertz, die ihr an Kenntnissen und Urteilsfähigkeit auf den Feldern der Kunst und vermutlich der Konversation überlegen und die zudem ein Genie der Vernetzung war, übernahm mehr und mehr die Rolle der Hausfrau. Sie empfingen Künstler und Künstlerinnen, organisierte Feste und besprach mit dem Paar mögliche Ankäufe von Kunstwerken, die wiederum vorgezeigt werden konnten. Sie brachte wichtige Leute zusammen, um die Karriere des Freundes zu festigen. Er wiederum hielt ihre Finanzen im Blick und mehrte ihren Besitz beständig.

1871 trat sie vom israelitischen zum evangelischen Glauben über. Ein Anlass ist nicht bekannt.

1878 veröffentlichte Henriette Hertz ein zweibändiges literarisches Werk mit Erzählungen, das u.a. das Leben von drei sich nahestehenden Personen zum Thema machte, vermutlich mit Anklängen an eigene Erfahrungen. Die geschilderten Freundinnen leben darin bis zu ihrem Tod zusammen.

Dies passierte auch in der Realität, wenn auch mit Unterbrechungen.

Henriette Hertz’ Italien-Begeisterung wuchs in England unermesslich an, das Licht und das Wetter machten ihr zu schaffen. Sie begann in den 1880er Jahren, wie viele wohlhabende Bürgerliche vor ihr, in das Land der Sehnsucht zu reisen, die Düfte und Farben und den Anblick des Mittelmeers zu genießen. Das Ehepaar Mond folgte monatelang ihrer Italien-Leidenschaft, gemeinsam besuchten sie Kunststätten und lernten KünstlerInnen kennen. Ab 1887 nahmen ihre Aufenthalte die Winterzeit von Oktober bis April ein. 

1890 wählte sie Rom als neuen dauerhaften Wohnort und mietete den zweiten Stock eines berühmten Palastes, des Palazzo Zuccari, an. Das Eckgrundstück in einer herausragenden Lage mit Blick über Rom an der Piazza Trinità dei Monti (heute Kreuzung Via Sistina und Via Gregoriana) und damit nahe der Spanischen Treppe war 1590 von dem Maler Federico Zuccari entworfen worden, der dort auch Fresken angebracht hatte. Berühmte Persönlichkeiten hatten bereits dort gelebt, etwa Maria Casimira, die Witwe des Türkensiegers Jan Sobieski, die hier von 1703 bis 1714 residierte und der Platzfront den geschwungenen, von Säulen getragenen Balkon vorblenden ließ; sodann die Maler Joshua Reynolds und Jacques Louis David, und der verehrte Gelehrte Johann Joachim Winckelmann. Das Haus war gerade das Richtige für eine angehende Kunstsammlerin!

Henriette hatte aus langfristigen Investitionen in die Mond‘schen Firmen ein großes Vermögen gewonnen. Als die Nachfahren Zuccaris 1904 den Palast verkaufen wollten erwarb sie das Gebäude. Sie machte das Haus zum Zentrum intelligenter und vornehmer Gastlichkeit, führte eine Art Salon mit internationalen Gästen, wie 50 Jahre vorher die Kölnerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen. Als Gäste empfing Hertz u.a. den Historiker Theodor Mommsen, den Musiker Siegfried Wagner, den Indologen Paul Deussen u.a. Im Sala Bach fanden Konzerte statt. 

1909 starb Ludwig Mond, aber die beiden Freundinnen luden weiterhin zu gepflegtet römische Geselligkeit ein. Henriette Hertz war manchmal selbst erstaunt, dass sie sich als ledige Frau hatte etablieren konnte. Sie hatte des öfteren Diskriminierung erfahren, wenn sie als unverheiratete Frau eine Bibliothek aufsuchte, denn wenn eine Frau nicht ihrem forschenden Ehemann zuarbeitete, hatte sie dort nichts zu suchen. Die von ihr verfassten Texte wurden nicht rezipiert, da von einer Dilettantin verfasst (u.a. “Auffindung d. Bücher d. Numa Pompilius”, 1900). Sie empfand die Herabwürdigung als Frau – und rächte sich ein wenig … :  Sie errichtete in den umgebauten Räumen eine bedeutende Bibliothek zur Kunstgeschichte Roms und Italiens, eine Forschungsstätte zur römischen Kunstgeschichte, mit selbst erworbenen alten Handschriften und selbst gesammelten archäologischen Fundstücken, ausgewäht mit Unterstützung z.B. von Ernst Steinmann. Ihre Sammlung von über 2.000 Bänden bildete den Grundstock zu ‚ihrer‘ Forschungsstätte. Und sie  verlangte explizit, dass die Bibliothek Frauen ebenso wie Männern offen stehen sollte.

Hinzu kamen Gemälde: Die ca. 50-jährige Hertz, die nicht hatte studieren können, hatte eine beachtenswerte Sammlung von Bildern italienischer, vor allem lombardischer Renaissance-Meister zusammengetragen, und sie hatte eine riesige Fotosammlung zu der Thematik geschaffen.

1910 bot die Sammlerin dem Deutschen Reich die Schenkung des Palastes an, allerdings mit dem Auftrag verbunden, die Renaissancekultur zu erforschen. Da der Staat kein Interesse hatte, kontaktierte sie 1913 die in Gründung befindliche Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft mit dem gleichen Angebot „… daß dieselben ihrer Tradition gemäß dauernd der Pflege von Kunst und Wissenschaft dienen sollen.“

Drei Monate vor ihrem Tod wurde das Palais unter diesem institutionellen Dach seiner Bestimmung als erstes Institut für Kunstgeschichte in Rom übergeben. Ihr in Wertpapieren angelegtes Stiftungskapital betrug zusätzlich 12.500 £ und 50.000 Lire, gedacht zur Finanzierung des Instituts und zur Erweiterung der Bibliothek.

Bis heute existiert diese Institution, mit der sie sich ein Denkmal errichtete, unter dem neuen Namen Bibliotheca Hertziana und ist Teil der Max-Planck-Gesellschaft. Sie ist bis heute eine Anlaufstelle für KunstwissenschaftlerInnen mit den Schwerpunkten der italienischen und römischen Kunst der Nachantike, insbesondere des Mittelalters, der Renaissance und des Barock. Heute verfügt sie über ca. 870 000 Fotos und 360 000 Bände.

Zwar hatte sie vorgesehen, die Bibliotheca Hertziana solle  Frauen ebenso wie Männern zugänglich sein, um die sonst üblichen Schranken auszuschließen, aber der von ihr eingesetzte Direktor Steinmann betrachtete diese Anweisung als unnötig und ignorierte sie. Immerhin gab es zwischenzeitlich einmal zwei Direktorinnen … 1900 fand in dem Gebäude ein Sondergipfel zur deutschen Vereinigung statt.

Die Bildersammlung (La donazione di Enrichetta Hertz) gelangte gemäß eines Kodizills von 1911 an den italienischen Staat (Galleria Nazionale d’Arte antica und Palazzo Venezia). Eine Stiftung an die British Academy erlaubte jährlich drei wissenschaftlichen Vorträgen allgemeiner Art (Henriette Hertz Trust of the British Academy). (“Miss Henriette Hertz provided for a lecture to be devoted to ‘some Master-Mind considered individually with reference to his life and work especially in order to appraise the essential elements of his Genius: the subject to be chosen from the great Philosophers, Artists, Poets, Musicians. “1916)

Jedes Jahr ehren die MitarbeiterInnen des Instituts Henriette Hertz, indem sie den Grabstein auf dem Protestantischen Friedhof, Zona Terza Nr. 8/115, bekränzen und ihre Gründungsgeschichte rekapitulieren. Frida und Ludwig Mond liegen weit entfernt im gewaltigen Familien Mausoleum des St. Pancras Cemetery in Finchley, London begraben.