Eine widerständige Ausnahmefrau
Kaum eine deutsche Frau, geschweige eine Kölnerin, hat auf ihrem Stolperstein stehen: “in der Résistance überlebt”. Bei Edith Leffmann 1894 – 1984 ist dies der Fall. Wer war diese Frau? Warum kennt sie kaum jemand in Köln? Warum wird sie in den Büchern über Frauen im Widerstand nicht erwähnt?
Jugend, Ausbildung, Ehe
Edith Bella Leffmann, geboren am 22. Juli 1894 in Köln, war die Tochter des jüdischen Paares Martha Heidenheim und Bernd Löwenstein, eines Kölner Korsett-Fabrikanten. Martha Löwenstein heiratete – vermutlich als Witwe – in zweiter Ehe dessen Kompagnion Arthur Leffmann, der Ediths Stiefvater wurde und dessen Namen sie vermutlich annahm; er war (oder wurde nun) Direktor der Korsettfabrik Löwenstern & Leffmann. Sie hatte einen Halbbruder Fritz Leffmann und einen 1899 geborenen Cousin Dr. Ernst Leffmann, einen sozialdemokratischen Juristen, der im Belgischen Viertel lebte.
Wie vielen jüdischen Familien des beginnenden 20. Jahrhunderts war die Bildung auch von Töchtern wichtig. Edith Löwenstein legte ihr Abitur ab, absolvierte in Bonn und München ein Medizinstudium. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie als Lazaretthelferin beim Deutschen Roten Kreuz. Nach dem Studium nebst anschließender Promotion nahm sie eine erste Stelle am Berliner Kinderkrankenhaus an, eröffnete dort schon bald eine eigene Kinderarzt-Praxis. Sie wird selbst als nur knapp über 1,50 Meter groß, aber mit großen Händen und einer auffälligen Frisur in Erinnerung gerufen. Anfang der 1920er Jahre heiratete sie Robert (woanders fälschlich Rudolf ) Leffmann, vermutlich einen Verwandten ihres Stiefvaters. 1924 brachte sie den Sohn Bernd Julius („Bill“) zur Welt. Schon in dieser Zeit kam die soziale engagierte Mutter mit Mitgliedern der Roten Hilfe und der KPD in Berührung.
Verfolgung
Wie viele andere Kommunist*innen erlebte Edith Leffmann 1933 eine Sabotage ihrer Berufstätigkeit, die von Behörden wie dem Wohlfahrtsamt abhängig war, und musste ihre Praxis schließen. Sie kehrte – vermutlich mit dem Ehemann Robert Leffmann – zu ihren Eltern nach Köln zurück, lebte in der Gleueler Straße 192. Hier im Rheinland gab es beim Machtantritt der Nazis besonders viele jüdische Ärztinnen und Ärzte. Edith Leffmann (der Doktortitel war nicht mehr zulässig) arbeitete wieder in eigener Praxis als Kinderärztin; auch diese musste sie als Jüdin nach einigen Jahren aufgeben. Ab dem 30. September 1938 verloren jüdische Ärzt*innen per Gesetz ihre Approbation, erhielten Berufsverbot und mussten ihre Praxen schließen, Gemeinschaftspraxen mit ‘Arier*innen’ verlassen. Damit war ihre berufliche und bürgerliche Existenz vernichtet.
1938 verschärften sich die Lebensbedingungen für alle Juden und Jüdinnen. Edith Leffmann sorgte dafür, dass ihr Sohn 1939 gemeinsam mit den Großeltern in die Niederlande nach Amstelveen emigrieren konnte; er besuchte dort eine Exil-Schule für in Deutschland bedrohte Kinder. Dennoch konnte sie sie letztlich nicht vor der Ermordung bewahren.
Sie selbst ging mit ihrem Mann am 17. April 1939 in das noch nicht besetzte Brüssel, wo es eine große sozialistische und kommunistische Emigrant*innenszene gab. Sie hofften auf eine Wende durch politische Aktivitäten. Im April 1940 starb ihr Mann, Edith Leffmann entschloss sich, nach Frankreich weiter zu ziehen. Ihrer Vorstellungen von politischer Arbeit in der Résistance erfüllten sich zunächst nicht, sie wurde verhaftet und für zwei Jahre im das südfranzöschen Lager Camp de Gurs interniert. Hier konnte sie zumindest den Lagerhäftlingen beistehen.
Widerstand
Ihr gelang die Flucht aus dem Lager Gurs, endlich konnte sie sich der Résistance, Sektion Travail Allemand, anschließen. Sie blieb zunächst in Südfrankreich, trat dem Comité „Allemagne libre“ pour l’Ouest bei, das dem KPD-nahen Nationalkomitee Freies Deutschland assoziiert war. Ziel war, Angehörigen der deutschen Wehrmacht gegen den Krieg umzustimmen; dazu gehörte die Verteilung von Propagandamaterial. Auf Anregung der Résistance kehrte sie noch während des Krieges – getarnt als die französische Krankenschwester Marie-Louise Lefèbre nach Deutschland zurück, um Untergrundarbeit zu leisten. In einer Papierwarenfabrik in Eger (heute Tschechien) konnte sie unter den anderen (Zwangs-)Arbeiterinnen agitieren und sich für Sabotage stark machen. Derweil wurde Dr. Edith Leffmanns Mutter aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert und ihr Sohn Julius / Bill aus der niederländischen Quäkerschule heraus in das KZ Herzogenbusch verbracht; der Jugendliche wurde über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo er im September 1942 getötet wurde (Stolperstein). Der Vater war bereits in Amsterdam verstorben.
Nachkriegszeit
Nach dem Krieg lebte Dr. Edith Leffmann in Ludwigshafen und Mannheim und wurde gleich wieder politisch aktiv: Sie reiste im Frühsommer gemeinsam mit dem Widerstandskämpfer Alphonse Kahn über Paris in die französische Besatzungszone ein und ließ sich im August 1945 in Ludwigshafen nieder. Zunächst ging Dr. Leffmann als jüdische Vertreterin in den Betreuungsausschuss für die Opfer des Faschismus, der 1950 in das Amt für Wiedergutmachung und Kontrolliertes Vermögen überführt wurde. Sodann trat sie der KPD bei, arbeitete später im Ludwigshafener Friedenskomitee mit und kandidierte 1951 auf der Liste der KPD für ein Mandat im rheinland-pfälzischen Landtag. Sie war Mitbegründerin der VVN, die erste rheinland-pfälzische Vorsitzende der VVN, Mitglied im VVN-Zonensekretariat und hielt auch bei Anfeindungen und Kriminalisierung der Orgabnisation (Strafbefehl im August 1952) zu ihr.
Edith Leffmann leistete trotz ihrer persönlichen Verluste, der anstrengenden Arbeit in deutschen Fabriken und der psychischen Grenzsituation einer mit falscher Identität in Deutschland agitierenden Frau, schließlich trotz gesundheitlicher Probleme Großes für die medizinische Versorgung der Nachkriegspatient*innen, viele davon Kinder von Täter*innen. Auch diese behandelte sie laut Zeitzeug*innen gleich zugewandt. Sie sagte: “Ich kenne keinen Hass ausser den gegen den Krieg.” (Zeitzeuge Bernd Köhler)
Ihre eigene Praxis eröffnete sie 1950 in der Carl-Friedrich-Gauß-Straße im Hemshof (früher Kruppstraße 6), in einem der wenigen Häuser, nicht beschädigt waren. In Ludwigshafen erhielt sie dafür schon zu Lebzeiten den Ehrentitel ‘Engel von Hemshof’. Zeitzeug*innen brachten Beispiele für ihr Engagement:
“Ihr Wartezimmer war ständig überfüllt von unterernährten Kindern und weinenden Müttern. Die Kinderärztin Dr. Edith Leffmann arbeitete in der Nachkriegszeit bis zur totalen Erschöpfung. Kein Kind verließ ihre Praxis ohne ein Stück Schokolade oder ein Bonbon.” (Bericht von Bernhard Wadle-Rohe). oder: “Dr. Edith Leffmann hat mir das Leben gerettet. Ich hatte damals Lungenentzündung, Gelbsucht und Wasser in der Lunge.” (Monika Trautmann, Zeitzeugin). „Unsere Tochter Monika hatte mit vier Jahren plötzlich, nachts um ein Uhr, heftige Schmerzen. Ich rief die Frau Doktor an und sie kam sofort, drückte ihr auf den Bauch und rief: Sofort in die Kinderklinik nach Mannheim! Der Engel vom Hemshof hat ihr das Leben gerettet” (Mutter von Monika T.) . „Sie kam um die Babies zu besuchen direkt mit dem Taxi in die Häuser gefahren, ist dann von Patient zu Patient gefahren, um den kleinen Leuten zu ersparen im kalten Winter zu ihr in die Praxis zu kommen.” (Emma Schüssler) Bernd Köhler führte 1978 ein Interview mit ihr für ein geplantes Buch über Antifaschist*innen. “Die Ärztin war da bereits im Ruhestand, lebte in Mannheim. ‘Ich erinnere mich noch, wie wir da hoch sind in den 5. Stock, da machte jemand die Tür auf, den man nicht gesehen hat, weil sie so klein war. Unglaublich geschminkt, mit so einer sonorigen Stimme, eine tolle Frau. Sie hat uns dann auch später erzählt, dass sie sich damals, als sie nach Deutschland geschickt wurde von der Résistance, als Französin zurechtgemacht hatte. Das hat sie später beibehalten.'”
Seit 1960 wohnte sie in Mannheim, wo sie am 3. Februar 1984 im Alter von 90 Jahren starb. Ihr Grab auf demMannheimer Hauptfriedhof existiert leider nicht mehr.
Ehrungen
Nur wenige Frauen aus Köln haben sich so eindeutig und kraftvoll gegen die Nazidiktatur, und nach 1945 gegen das Vergessen, die Wiederaufrüstung und die Rehabilitation von politisch und ethnisch (‘rassisch’) Verfolgten des Nationalsozialismus eingesetzt. es wird berichtet, sie habe vor Energie gestrotzt und sei trotz (oder wegen?) ihrer dunklen Stimme für die Kinder eine Vertrauensperson gewesen.
Nach ihrem Tod setzten sich verschiedene Initiativen für eine Würdigung von Edith Leffmann ein. In Köln setzte Gunter Demnig im März 2012 einen Stolperstein, auf dem steht: “Hier wohnte Dr. Edith Leffmann, geb. Leffmann [eigentlich Löwenstein, die Verf.] Jg. 1894, Flucht 1939, Belgien/ Frankreich, interniert Gurs. Tätig als Ärztin in der Résistance. Überlebt”. Ebenso wird an ihren Sohn und den Ehemann Robert erinnert. In Ludwigshafen konnte 2013 erst gegen den Widerstand der CDU-Mehrheit im Stadtrat eine Gedenktafel vor den ehemaligen Praxisräumen angebracht werden, Antifaschist*innen um Bernhard Wadle-Rohe hatten 14 Jahre lang dafür gekämpft. Es wurde u.a. ‘geprüft’, ob sie als Angehörige der 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands eine Stalinistin gewesen sei…
2007 wurde im Rahmen des Mannheimer Kultursommers die Lebensgeschichte der Widerstandskämpferin und sozial engagierten Ärztin Edith Leffmann in der Reihe Revolutionärinnen des Alltags künstlerisch in Szene gesetzt.
Literatur und Quellen:
* Bernd Köhler führte als Student 1978 in Mannheim ein Interview mit Edith Leffmann nach ihrer Pensionierung.
* Broschüre »Widerstehen: damals – heute – morgen« zum 70. Jahrestag der VVN , Frühjahr 2017
* Aus dem kämpferischen Leben des fast vergessenen Engels vom Hemshof. Altriper Schülerin Esther Tabea Kuntz schreibt Facharbeit über die 1984 verstorbene jüdische Ärztin Edith Leffmann, in: Ludwigshafener Rundschau, 56 (2000), Nr. 249 vom 26.10.2000.
Weblinks:
* https://www.geni.com/people/Dr-Edith-Leffmann/6000000088898031877
* https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Leffmann
* https://antifa.vvn-bda.de/2017/01/20/zwei-mitbegruenderinnen-der-vvn/
* https://www.ewo2.de/01_home/Leffmann.htm
* https://www.joodsmonument.nl/en/page/29290/bernd-julius-leffmann
* https://www.rheinpfalz.de/lokal/ludwigshafen_artikel,-der-engel-vom-hemshof-_arid,662848.html
* https://kommunalinfo-mannheim.de/2016/09/22/ich-kenne-keinen-hass-ausser-gegen-den-krieg/
*https://de.wikipedia.org/wiki/QuC3%A4kerschule_Eerde#Bernd_Leffmann_(geb._20._September_1924_Berlin,_gest._24._September_1943_Auschwitz)
* https://www.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fimages%2FImages%2520349%2FLudwigshafen%2520Gedenktafel%2520Leffmann%2520010.jpg&imgrefurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fludwigshafen_synagoge.htm&tbnid=vvPjhhvIcXI2zM&vet=12ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd..i&docid=6nQrBgP1a6ioLM&w=1200&h=804&q=%22edith%20leffmann%22&ved=2ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd
IF , Juli 2021