App des Studiengang Public History der Uni Köln

– unter Beteiligung des Kölner Frauengeschichtsvereins

Die App „Orte der Demokratie in Köln” – ein virtueller politischer Spaziergang durch Köln – wurde auf Initiative des Vereins EL-DE-Haus e.V. entwickelt.

Die App soll allen Menschen in Köln, Jung und Alt, Schüler*innen und Erwachsenen, Alteingesessenen und Zugezogenen sowie Köln-Besucher*innen einen informativen virtuellen Spaziergang durch die Kölner Freiheits- und Demokratiegeschichte von 1789 bis heute ermöglichen und damit ein Defizit beheben. Denn die demokratischen Traditionen in Deutschland – und damit auch in der Metropole und Millionenstadt Köln – wurden bisher in den Medien nicht ausreichend dargestellt und gewichtet.    

Dieser zentrale Aspekt unserer politischen Kultur wurde, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem ZEIT-Artikel vom 13. März 2019 konstatierte, lange Zeit sträflich vernachlässigt. Steinmeier schrieb: „Ich glaube, unser Blick in die Zukunft hängt auch damit zusammen, wie wir auf die Vergangenheit schauen. [……] Gibt es nicht auch Ereignisse und Vorbilder in unserer Demokratiegeschichte, die uns inspirieren, die Ansporn geben und Mut machen können? […] Ich meine, wir haben unsere Freiheits- und Demokratiegeschichte in unserem Denken über unsere Zukunft zu lange vernachlässigt, und das sollten wir ändern!“ 

 Auch Marianne Birthler, langjährige Leiterin der Stasiunterlagenbehörde, argumentiert in einem Interview zwei Jahre später ähnlich wie Steinmeier: „Die Deutschen haben – vor allem wegen der nationalsozialistischen Katastrophe – besondere Schwierigkeiten, sich auf gute und fortschrittliche Erfahrungen und auf deren Symbole zu beziehen.“    

Diese beiden Feststellungen sind der Ausgangspunkt und das Ziel unseres Kölner Projektes „Orte und Wege der Demokratie in Köln – 1789 bis heute“. Die Beiträge zur App wurden von Studierenden des Fachbereichs Public History am Historischen Institut der Universität zu Köln, in Verantwortung von Jun-Prof.’in’ Christine Gundermann und unter der Leitung von Jens Alvermann erstellt. Wir danken ihnen für ihre fachkundige Leitung und den Studierenden für ihr Engagement, Kreativität sowie die Themenauswahl.    

Aus dem Vorstand des Vereins EL-DE Haus arbeiteten Willi Reiter, Wolfgang Uellenberg-van Dawen und Cornelia Schmerbach mit. Beraten und unterstützt wurden sie von unseren Kooperationspartner*innen. Das sind: Das Kölner Friedensbildungswerk (Roland Schüler), der Kölner Frauengeschichtsverein (Irene Franken), dem Bündnis „Wir stellen uns quer. Kein Rassismus bei uns in Köln“ (Hajo Leib) und das Centrum Schwule Geschichte (Martin Sölle).   

Die verbrecherische, menschenfeindliche und antidemokratische Zeit des Nationalsozialismus in Köln wurde und wird Dank des Kölner NS-Dokumentationszentrums umfassend bearbeitet, in Ausstellungen und Publikationen umfangreich thematisiert und mittels fachkundiger Führungen dem interessierten Publikum, besonders vielen Schulgruppen vermittelt. Nun erfolgt ein weiterer Schritt. Das EL-DE-Haus wird thematisch erweitert und erhält dann den Namen “Haus für Erinnern und Demokratie”. In diesem Kontext steht auch das hier vorgestellte App-Projekt “Orte der Demokratie in Köln”. Wir danken dem ehemaligen Direktor Dr. Werner Jung für seine fachkundige Beratung.    

Für die großzügige Förderung danken wir der Stadt Köln, Amt für Integration und Vielfalt, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und ihrem Programm „Demokratie leben!“ sowie der Kölner Koordinierungsstelle der AWO und der Hans Böckler Stiftung.

Abschließend: Was verstehen wir unter dem Begriff „Demokratie“? Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, sagt dazu: „Die Demokratie ist keine Staatsform, die von der Eintracht ihrer Bevölkerung lebt. Sie lebt davon, dass sie Verfahren kennt, mit denen man Konflikte löst. Auch wenn es uns schwerfällt.“ 

Die App erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie könnte noch mit vielen Personen und Aspekten aus der Kölner Geschichte ergänzt werden.

Download: Die App „Orte der Demokratie in Köln“ ist ab dem 19. Januar 2022 für iOS und Android verfügbar unter rebrand.ly/OrteDerDemokratie
 

Für den Vorstand  und Beirat des Vereins EL-DE Haus Willi Reiter,  Martin Sölle; Claudia Wörmann Adam
Kontakt:  Dieter Maretzky, EL-DE-Haus@web.de, mobil 0172 93 33290; Martin Sölle (v.i.S.d.P.), mobil 0171 8995205, Email:  EL-DE-Haus@web.de

Stand: 10.01.2022 

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Januar 2021 – Henriette Hertz

Eine Kunstmäzenin mit ungewöhnlichem Lebenslauf ( 8.1.1846 Köln –  9.4.1913 Rom)

Henriette Hertz, genannt Harry, war die Tochter des jüdischen Kaufmanns und Pferdehändlers Abraham Hertz aus Gangelt bei Geilenkirchen und der ledigen Rosa Hecht aus Neuendorf bei Koblenz. Die Familie hatte sich mit drei kleinen Kindern 1844 in Köln niedergelassen, Henriette war das erste in Köln geborene Kind und das erste Mädchen nach drei Söhnen. Sie hatte insgesamt 16 Geschwister, wovon jedoch nur sieben erwachsen wurden. Henriette lebte demnach in einer ca- 10-köpfigen kleinbürgerlichen, frommen, aber doch liberalen und vermutlich wohlhabenden Familie. Das Elternhaus wird als großes Haus in der St. Apernstraße beschrieben. Später, 1884, errichtete dort die orthodoxe Austrittsgemeinde Adass Jeschurun eine Synagoge mit Volksschule und Lehrerseminar, 1919 entstand hier die berühmte Jawne als Privates jüdisches Reform-Realgymnasium mit Realschule für Knaben und Mädchen. Zu Henriettes Zeit gab es diese Einrichtungen jedoch noch nicht. So erhielten Töchter wie Söhne zunächst eine gute Bildung zuhause, anschließend ging Henriette in eine privates Institut zur Formung von Mädchen zur Mutter und Ehefrau.

Henriette Hertz zeigte eine besondere Neigung zu Kunst, Literatur, Musik und Sprachen, hatte auch Interesse an Kunsttheorie. Sie rezipierte sicher Goethes Italienische Reise oder die Texte von Winckelmann Sie machte selbst erste literarische Versuche und malte. Gerne hätte sie ein Studium der Kunstgeschichte begonnen. Früh war ihr bewusst, dass ihrem Charakter ein Leben als Ehefrau und Mutter nicht lag, ebenso wenig das einer im Haushalt mitlebenden geduldeten Tante oder einer Lehrerin. Sie empfand einen inneren Drang, ihr Leben der Kunst und Wissenschaft zu widmen. (vgl. Soltau, s.u.)

 Das Mädchen fand eine ungewöhnliche Lösung. In der Schule hatte sie sich mit der Jüdin Frida / Friederike (später Frederike) Löwenthal angefreundet, Tochter eines Fabrikbesitzers Adolf Löwenthal. Als diese 1866, d.h. mit 19 Jahren, ihren Cousin Ludwig Mond (* 1839) heiratete, schloss sie sich dem Paar an. Die beiden wurden zu den wichtigsten Personen ihres Lebens als Erwachsene.  Das Trio verbrachte viel Zeit miteinander. Der begabte Ehemann Mond, ein Student u.a. von Bunsen, war ein aufstrebender Industriechemiker. Henriette wurde früh eine Förderin seines Berufsweges. Ihre Einlagen sollten sich auszahlen… Er, der schon mehrfach im Ausland gelebt hatte, sah bessere Chancen für seine Geschäfte in England. Frieda zog selbstverständlich mit ihm, lebte mal in Farnworth / Lancashire, mal in Winnington / Cheshire, und ab 1884 in London mit ihm.

Aber auch Henriette lebte bald wieder mit den beiden: Frida lud sie nach ihrem Umzug direkt nach England ein, damit sie keine einsamen Tage in England verbringen müsse. Henriette folgte dem Ruf – und blieb, bis sie Jahrzehnte später ein neues Land als festen Wohnsitz erkor!

Ludwig Mond, mit dem sie sich sehr gut verstand, arbeitete in der Ammoniak-Soda-Industrie, und meldete bald mehrere Patente an, z.B. 1879 ein Verfahren, um auftretenden Ammoniakverlust auszugleichen. Es gelang ihm, eine Fabrik auf der Basis einer eigenen Erfindung (Ammoniak Soda) zur Rückgewinnung von Schwefel zu gründen. Er entwickelte neue Wege im Bereich der Gas Nutzung, erfand Nickel u.a.m. Die Aktiengesellschaft Brunner, Mond & Company Ltd. gehörte bald zu den wichtigsten Sodaproduzenten der Welt, schuf eine der wichtigsten Companies der Imperial Chemical Industries (ICI). So wurde Mond einer der reichsten Industriellen Englands, und als Investorin profitierte auch Henriette Hertz. Dabei war er ungewöhnlich sozial, er gewährte bereits 1884 bezahlten Urlaub von einer Woche pro Jahr, er zahlte bei Erkrankung den Lohn weiter und er führte eine medizinische Versorgung ein. Ab 1895 galt in seinen betrieben die 49¼-Stunden-Woche – das war ungewöhnlich!

Frieda bekam zwei Söhne, die Karriere machten, – Henriette blieb kinderlos. Beide nahmen nun wieder Zeichen- und Malunterricht.

Ludwig Mond kaufte ein repräsentatives Landhaus. Von der Gattin wurde erwartet, aufgrund des zunehmendem Reichtums ihre repräsentative Rolle auszubauen, Doch vermutlich hatte sie nach den Geburten eine Depression, sie verbrachte viel Zeit im Bett. die Freundin Henriette Hertz, die ihr an Kenntnissen und Urteilsfähigkeit auf den Feldern der Kunst und vermutlich der Konversation überlegen und die zudem ein Genie der Vernetzung war, übernahm mehr und mehr die Rolle der Hausfrau. Sie empfingen Künstler und Künstlerinnen, organisierte Feste und besprach mit dem Paar mögliche Ankäufe von Kunstwerken, die wiederum vorgezeigt werden konnten. Sie brachte wichtige Leute zusammen, um die Karriere des Freundes zu festigen. Er wiederum hielt ihre Finanzen im Blick und mehrte ihren Besitz beständig.

1871 trat sie vom israelitischen zum evangelischen Glauben über. Ein Anlass ist nicht bekannt.

1878 veröffentlichte Henriette Hertz ein zweibändiges literarisches Werk mit Erzählungen, das u.a. das Leben von drei sich nahestehenden Personen zum Thema machte, vermutlich mit Anklängen an eigene Erfahrungen. Die geschilderten Freundinnen leben darin bis zu ihrem Tod zusammen.

Dies passierte auch in der Realität, wenn auch mit Unterbrechungen.

Henriette Hertz’ Italien-Begeisterung wuchs in England unermesslich an, das Licht und das Wetter machten ihr zu schaffen. Sie begann in den 1880er Jahren, wie viele wohlhabende Bürgerliche vor ihr, in das Land der Sehnsucht zu reisen, die Düfte und Farben und den Anblick des Mittelmeers zu genießen. Das Ehepaar Mond folgte monatelang ihrer Italien-Leidenschaft, gemeinsam besuchten sie Kunststätten und lernten KünstlerInnen kennen. Ab 1887 nahmen ihre Aufenthalte die Winterzeit von Oktober bis April ein. 

1890 wählte sie Rom als neuen dauerhaften Wohnort und mietete den zweiten Stock eines berühmten Palastes, des Palazzo Zuccari, an. Das Eckgrundstück in einer herausragenden Lage mit Blick über Rom an der Piazza Trinità dei Monti (heute Kreuzung Via Sistina und Via Gregoriana) und damit nahe der Spanischen Treppe war 1590 von dem Maler Federico Zuccari entworfen worden, der dort auch Fresken angebracht hatte. Berühmte Persönlichkeiten hatten bereits dort gelebt, etwa Maria Casimira, die Witwe des Türkensiegers Jan Sobieski, die hier von 1703 bis 1714 residierte und der Platzfront den geschwungenen, von Säulen getragenen Balkon vorblenden ließ; sodann die Maler Joshua Reynolds und Jacques Louis David, und der verehrte Gelehrte Johann Joachim Winckelmann. Das Haus war gerade das Richtige für eine angehende Kunstsammlerin!

Henriette hatte aus langfristigen Investitionen in die Mond‘schen Firmen ein großes Vermögen gewonnen. Als die Nachfahren Zuccaris 1904 den Palast verkaufen wollten erwarb sie das Gebäude. Sie machte das Haus zum Zentrum intelligenter und vornehmer Gastlichkeit, führte eine Art Salon mit internationalen Gästen, wie 50 Jahre vorher die Kölnerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen. Als Gäste empfing Hertz u.a. den Historiker Theodor Mommsen, den Musiker Siegfried Wagner, den Indologen Paul Deussen u.a. Im Sala Bach fanden Konzerte statt. 

1909 starb Ludwig Mond, aber die beiden Freundinnen luden weiterhin zu gepflegtet römische Geselligkeit ein. Henriette Hertz war manchmal selbst erstaunt, dass sie sich als ledige Frau hatte etablieren konnte. Sie hatte des öfteren Diskriminierung erfahren, wenn sie als unverheiratete Frau eine Bibliothek aufsuchte, denn wenn eine Frau nicht ihrem forschenden Ehemann zuarbeitete, hatte sie dort nichts zu suchen. Die von ihr verfassten Texte wurden nicht rezipiert, da von einer Dilettantin verfasst (u.a. “Auffindung d. Bücher d. Numa Pompilius”, 1900). Sie empfand die Herabwürdigung als Frau – und rächte sich ein wenig … :  Sie errichtete in den umgebauten Räumen eine bedeutende Bibliothek zur Kunstgeschichte Roms und Italiens, eine Forschungsstätte zur römischen Kunstgeschichte, mit selbst erworbenen alten Handschriften und selbst gesammelten archäologischen Fundstücken, ausgewäht mit Unterstützung z.B. von Ernst Steinmann. Ihre Sammlung von über 2.000 Bänden bildete den Grundstock zu ‚ihrer‘ Forschungsstätte. Und sie  verlangte explizit, dass die Bibliothek Frauen ebenso wie Männern offen stehen sollte.

Hinzu kamen Gemälde: Die ca. 50-jährige Hertz, die nicht hatte studieren können, hatte eine beachtenswerte Sammlung von Bildern italienischer, vor allem lombardischer Renaissance-Meister zusammengetragen, und sie hatte eine riesige Fotosammlung zu der Thematik geschaffen.

1910 bot die Sammlerin dem Deutschen Reich die Schenkung des Palastes an, allerdings mit dem Auftrag verbunden, die Renaissancekultur zu erforschen. Da der Staat kein Interesse hatte, kontaktierte sie 1913 die in Gründung befindliche Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft mit dem gleichen Angebot „… daß dieselben ihrer Tradition gemäß dauernd der Pflege von Kunst und Wissenschaft dienen sollen.“

Drei Monate vor ihrem Tod wurde das Palais unter diesem institutionellen Dach seiner Bestimmung als erstes Institut für Kunstgeschichte in Rom übergeben. Ihr in Wertpapieren angelegtes Stiftungskapital betrug zusätzlich 12.500 £ und 50.000 Lire, gedacht zur Finanzierung des Instituts und zur Erweiterung der Bibliothek.

Bis heute existiert diese Institution, mit der sie sich ein Denkmal errichtete, unter dem neuen Namen Bibliotheca Hertziana und ist Teil der Max-Planck-Gesellschaft. Sie ist bis heute eine Anlaufstelle für KunstwissenschaftlerInnen mit den Schwerpunkten der italienischen und römischen Kunst der Nachantike, insbesondere des Mittelalters, der Renaissance und des Barock. Heute verfügt sie über ca. 870 000 Fotos und 360 000 Bände.

Zwar hatte sie vorgesehen, die Bibliotheca Hertziana solle  Frauen ebenso wie Männern zugänglich sein, um die sonst üblichen Schranken auszuschließen, aber der von ihr eingesetzte Direktor Steinmann betrachtete diese Anweisung als unnötig und ignorierte sie. Immerhin gab es zwischenzeitlich einmal zwei Direktorinnen … 1900 fand in dem Gebäude ein Sondergipfel zur deutschen Vereinigung statt.

Die Bildersammlung (La donazione di Enrichetta Hertz) gelangte gemäß eines Kodizills von 1911 an den italienischen Staat (Galleria Nazionale d’Arte antica und Palazzo Venezia). Eine Stiftung an die British Academy erlaubte jährlich drei wissenschaftlichen Vorträgen allgemeiner Art (Henriette Hertz Trust of the British Academy). (“Miss Henriette Hertz provided for a lecture to be devoted to ‘some Master-Mind considered individually with reference to his life and work especially in order to appraise the essential elements of his Genius: the subject to be chosen from the great Philosophers, Artists, Poets, Musicians. “1916)

Jedes Jahr ehren die MitarbeiterInnen des Instituts Henriette Hertz, indem sie den Grabstein auf dem Protestantischen Friedhof, Zona Terza Nr. 8/115, bekränzen und ihre Gründungsgeschichte rekapitulieren. Frida und Ludwig Mond liegen weit entfernt im gewaltigen Familien Mausoleum des St. Pancras Cemetery in Finchley, London begraben.