Ein frühes Mobbingopfer
Henriette Ackermann, eine linke Politikerin, erlebte in den Jahren der Weimarer Republik ein Mobbing, wie es heute über “soziale” Medien schnell gestreut wird, damals aber nur wenigen kenntlich wurde.
Henriette Ackermann wurde am 8. September 1887 in einfache Verhältnisse geboren: Ihre Mutter Adelheid war eine geborene Schumacher und Nichte des Solinger SPD-Reichstags-Abgeordeten Georg Schumacher, ihr Vater der Friseur Joseph Ackermann. Ihre Kindheit erlebte sie gemeinsam mit ihrer Schwester in dem Arbeiterviertel Ehrenfeld. Mehr wissen wir über ihre ersten Lebensjahre und Familienverhältnisse nicht.Ihre Ausbildung dauerte nur kurz, brachte sie aner in ein neues berufliches Milieu: 1903 verließ sie vorzeitig die Handelsschule, um eine Stelle als Buchhalterin anzunehmen.
Als junge Frau war sie schon politisch bewusst, sie trat 1905, im Alter von 18 Jahren, in die SPD und die Gewerkschaft ein. Die Partei besaß damals in der Rheinprovinz noch keine sehr große Bedeutung, die Bevölkerung war zu stark an die katholische Religion gebunden. Die Jugendarbeit jedoch lockte viele Aufmüpfige an. Sie trat dem Verein Arbeiter-Jugend Köln bei, der 1907 u. a. von dem SPD-Mitglied Wilhelm Sollmann gegründet worden war und zeitweilig geleitet wurde. Zu dieser Zeit arbeitete sie bereits als Kontoristin; u.a. nahm sie nun eine Arbeit im sozialdemokratischen Milieu an und arbeitete zwischen 1908 und 1921 in der sozialdemokratischen Konsumgenossenschaft „Hoffnung“ in Kalk.
Erster Weltkrieg
1916 tobte in der Partei wieder einmal eine Auseinandersetzung um die Kriegskredite. Die vorherigen Bewilligungen waren gerade bei der Jugend auf Ablehnung gestoßen, Henriette Ackermann hatet sich dagegen ausgesprochen, nun waren inzwischen Millionen Tote zu beklagen und sie empfand ihre Enttäuschung immer stärker. Sie wendete sich von dem Mehrheits-Kurs der SPD ab und stellte sich als junge Frau an die Spitze einer Gegenbewegung, die weitere oppositionelle weibliche Jugendliche umschloss. Gemeinsam mit dem Proletarier Johann Zander, einem Heizer und Lagerarbeiter, und anderen Mitgliedern der Arbeiter-Jugend gründete sie eine sog. Spartakus-Gruppe, die bald um die 25-30 Mitglieder um sich scharte.
Vorbild war der deutsche Spartakusbund mit den Führer:innen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zu der Zeit noch eine radikale Gruppierung innerhalb der Partei. Deren stark antikapitalistische und antibürgerliche Ausrichtung ließ nur einen Weg zu: 1917 erfolgte die Abspaltung der linken USPD=Unabhängige Sozialisten, woraufhon sich die SPD zur MSPD, den Mehrheitssozialisten definierte.
Henriette Ackermann war keine Jugendliche mehr, sie wurde mit einem Vertrauensvorschuss auf den Gründungsparteitag der USPD in Gotha delegiert. Es folgte im Mai 1917 die Gründung einer USPD-Ortsgruppe, zu deren vierköpfigen Vorstand Henriette Ackermann gehörte, sodann Johann Zander, Ernst Wachendorf und die Weggefährten Marie Runowski. Es war ungewöhnlich, dass ein Parteivorstand paritätisch besetzt wurde!
Polizei- und Militärbehörden veranlassten die Verhaftung des Vorstands. Obwohl die übrigen Vorsitzenden wieder freigelassen wurden, wurde Henriette Ackermann Anfang Januar 1918 nach Berlin gebracht und im Untersuchungsgefängnis Moabit eingekerkert. Erst kurz vor dem Kriegsende wurde sie entlassen. Verhaftungsgrund war der Vorwurf antimilitärischer Propaganda – Pazifismus war eine der meistgefürchteten Ideologien dieser Zeit. Das war die erste ihrer insgesamt vier Festnahmen.
Weimarer Republik
Inwieweit sie an den revolutionären Ereignissen in Köln, die von der SPD schnell dominiert wurden, beteiligt war, ist nicht bekannt, doch ist es wahrscheinlich, da gerade junge Frauen aus dem Milieu der Arbeiterjugend später ihre Teilnahme dokumentierten. Ende 1918 nahm sie als Delegierte für Köln-Ehrenfeld am Gründungsparteitag der KPD in Berlin teil.
Stadtverordnete
Mit der Verabschiedung der ersten demokratischen Verfassung galt auch für Frauen das Recht, an den politischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Sie kandidierte direkt erfolgreich für ein Mandat bei der ersten Kommunalwahl in Köln am 5. Oktober 1919 auf der Liste der USPD und wurde eine von 12 ‚weiblichen’ Abgeordneten, die in die Stadtverordnetenversammlung einzogen.
Wie Birgit Kummer bemerkte, war dies Oberbürgermeister Adenauer keinen Satz wert: „Obwohl die Tatsache, daß nun erstmals Frauen in den Stadtrat einzogen – ein Jahrtausendereignis für die Stadt Köln -, nicht zuletzt für die Männer des Kollegiums eine außergewöhnliche Begebenheit dargestellt haben muß, wurden die weiblichen Stadtverordneten mit keinem Wort explizit erwähnt.“
Henriette Ackermann wollte nicht die weichen, ‚weiblichen‘ Themen bedienen – Bildung, Soziales und Kultur – sondern strebte an, in die Machtzonen vorzudringen. 1922 – mittlerweile agierte sie auf dem Ticket der neu gegründeten KPD und konnte als deren Fraktionsvorsitzende Forderungen stellen – erlangte sie den Zutritt zu dem vollständig Männer-dominierten Ältesten-Ausschuss.
Sie wurde bekannt als eine verbalradikale Fechterin für die Forderungen, die sie im Namen der Arbeiter:innen und anderer marginalisiert Gruppen stellte. Viele Verarmte oder Entlassene wandten sich an sie, wie sie häufig betonte. Sie jedoch wollte keine Caritas anbieten, sondern gesellschaftliche Veränderungen.
Mobbing
In ihrer 10-jährigen Tätigkeit als linke Stadtverordnete wurde sie anhaltend mit Beleidigungen, persönlichen Attacken und Sexismus konfrontiert, was die Damen der bürgerlichen Parteien und die Frauen der SPD nicht durchmachten. Ihr unnachgiebiges Auftreten war eine permanente Provokation für die Mehrheit der Ratsmitglieder, u.a. da sie „ständig gegen die Geschäftsordnung Adenauers, gegen die Politik der SPD und gegen das Verhalten der bürgerlichen Frauenbewegung unter Einschluß der bürgerlichen Frauen des Parlaments opponierte und polemisierte.“ (Kummer). Sie entsprach als Kind, das in Ehrenfeld aufgewachsen war, in ihrer dreisten Rhetorik nicht dem weiblichen Rollenklischee; zudem war sie nicht so gebildet wie die studierten Herren, es fehlte des Öfteren an Sachkenntnis. Ein Grund zu wüsten Attacken!? Männliche Ratsmitglieder und besonders gern auch die Redakteure der Rheinischen Zeitung, dem Sprachrohr der SPD, titulierten sie als gemeines Frauenzimmer, Megäre oder Hexe. Ein Mitglied er katholischen Zentrums-Partei trieb es am 14. Juni 1921 auf die Spitze: „Ebenso wie man liebenswürdige Frauen und krabitzige Weiber hat. (Lebhafte Heiterkeit.) Wenn ich von einem Ehestandskandidaten gefragt werden würde, ob Frl. Ackermann zu letzterer oder ersterer Kategorie gehörte, wenn sie wirklich einmal Ehefrau würde, dann würde ich in große Verlegenheit kommen, zu sagen, was das richtige wäre. (Zuruf Ackermann: Da müssen Sie mal die notleidende Bevölkerung fragen, die sich an mich wendet.) Ich würde aber sagen, es steht zu hoffen, daß, wenn Frl. Ackermann einmal bemannt sein wird, sie vielleicht auch zu den liebenswürdigen Frauen gehört.“
Politische Schwerpunkte
In der Tat blieb Henriette Ackermann ihr Leben lang unverheiratet, die gründe sind nicht überliefert. All ihre Energie widmete sie dem politischen Kampf für notleidende Kölner:innen mit einem Schwerpunkt im Sozialen. Heute aktuelle Themen wie Wohnmieten, Straßenbahntarife, Gesundheitsversorgung oder auch Lebensmittelversorgung fanden auch ihre Aufmerksamkeit. sie forderte vehement die „Erhöhung der Armenunterstützung“ und sprach den anderen Mitgefühl mit den Bedürftigen ab. Frauenthemen wie Gewalt gegen Frauen, Abtreibungsnöte usf. brachte sie dagegen nie auf. 1929 schied sie aus der Stadtverordneten-Versammlung aus, 1932 kandidierte sie ohne Erfolg für die Sozialistische-Arbeiter-Partei für ein Mandat zum Preußischen Landtag.
Sie wechselte noch mehrfach die politischen – immer linken – Parteien, hatte beruflich immer wieder mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen, seit sie das Nest des SPD-Betriebs verlassen hatte. Sie war bis 1932 Angestellte des Kölner Büros des Freidenkerverbandes.
Nationalsozialismus
Schon direkt nach der Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 geriet die Linksoppositionelle ins Fadenkreuz der neuen ‚Führer‘. Die nach dem Reichstagsbrand, der der KPD zugeschrieben wurde, eingeleiteten Verhaftungsaktionen betrafen auch Henriette Ackermann, die am 8. März 1933 in Schutzhaft genommen und im Kölner Klingelpütz inhaftiert wurde. Nach zwei Monaten entlassen, stiegen ihre materiellen Nöte noch an, sie lebte prekär. Am 1. September 1939 wurde sie abermals verhaftet und erstmals in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo sie mehr als ein Jahr einsaß. Nach dem Attentatsversuch auf Hitler vom Juli 1944 traf auch die 57-jährige Henriette Ackermann der Generalverdacht und sie wurde zum zweiten Mal in Ravensbrück inhaftiert; sie entkam jedoch den ab Dezember 1944 einsetzenden Vernichtungen in dem überbelegten Stammlager Lager. So erlebte sie die Befreiung durch die Rote Armee Ende August 1945 mit.
Nachkriegszeit und Lebensende
Nach 1945 lebte sie kurz in Berlin, kehrte dann nach Köln zurück und konnte als Unbelastete bis 1952 in der Kölner Stadtverwaltung arbeiten. Sie wurde Mitglied in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“. Dann wissen wir nichts mehr über ihren ‚Ruhestand‘. Sie lebte die letzten Jahre zurückgezogen in einem Seniorenwohnheim in Brühl, wo sie am 31. August 1977 starb. Manfred Faust war der erste Historiker, die das Schicksal der spannenden Frau ausgrub, Birgit Kummer machte sie auf einer Ausstellung des Kölner Frauengeschichtsvereins breiteren Kreisen bekannt.
Literatur:
- Manfred Faust: Henriette Ackermann. Eine unabhängige Sozialistin, in: Die Kölner Sozialdemokratie 1914 bis 1920, in: Sozialdemokratie in Köln. Ein Beitrag zur Stadt- und Parteiengeschichte, hrsg. v. Gerhard Brunn, Köln 1986, S. 220/21.
- Birgit Kummer: „Stadtmütter“ und „Megären“. Weibliche Stadtverordnete in Köln während der Weimarer Republik, in: 10 Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln. Zur Geschichte der Organisationen und Vereine, hrsg. vom Kölner Frauengeschichtsverein, Münster 1995, S. 148.
- Birgit Kummer: Politikerinnen in der Kölner Stadtverordnetenversammlung während der Weimarer Republik, in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte 40 (1996), S. 92.
- Widerstand und Verfolgung in Köln 1933-1945. Ausstellung des Historisch Archivs der Stadt Köln, Köln 1974, S. 82.
- https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/henriette-ackermann