Marlies Hesse – Oktober 2021

Die Journalistin und frühere stellvertretende Pressechefin des Deutschlandfunk Marlies Hesse erklomm ganz selbstverständlich ihre Karrierestufen, erst allmählich dämmerte ihr, wie Frauen in den Institutionen von Leitungsfunktionen ferngehalten wurden. Sie gründete den Journalistinnenbund mit und engiert sich seitdem für Kolleginnen und ein vielfältigeres  Frauenbild in den Medien.

Oktober 2021 – Dr. Grete Wehmeyer

Eine Quer-Denkerin im besten Sinne

Grete Wehmeyer kam am 5. Oktober 1924 in Köln zur Welt. Über ihr Elternhaus ist nicht viel bekannt, der Vater soll Werbetexter und Wagnerfan gewesen sein, die Mutter soll im Textilgewerbe gearbeitet haben. Grete Wehmeyer lebte fast zeitlebens im Elternhaus in Lindenthal.

Die junge Frau absolvierte ein Klavierstudium an der Musikhochschule Köln, ergänzend studierte sie an der Universität zu Köln Musikwissenschaft, Deutsche Literatur und Philosophie. Ihre Doktorarbeit – vorgelegt 1950 – hatte das Thema Max Reger als Liederkomponist. Ein Beitrag zum Problem der Wort-Ton-Beziehung. Anschließend unterrichtete sie Kölner Kinder, darunter auch Flüchtlinge (Fembio). Zu ihren bürgerlichen Schüler:innen hatte sie ein durchaus gespaltenes Verhältnis: „Ich habe in den sogenannten besten Kreisen Unterricht gegeben: in den Familien von Ärzten, Studienräten, Richtern, Professoren. 96% meiner Schüler litten an ihren Familien. Das Klavierspielen hat manchem von ihnen eine eigene, genüßliche Ecke geschaffen, für andere war es eine zusätzliche Plage. Manchmal gelang es, Familien umzukrempeln, öfter wurden mir Schüler von ihren Eltern entzogen, weil ich zu wenig zum Üben ermahnte.“ (aus: Czerny 1983) Die taz-Autorin Sabine Seifert erinnert sich gerne an die Lehrerin: „Es war eine vertrauensvolle Versicherung: Wir reden erst mal, dann kannst du Klavier spielen. Sie war mütterlich, ohne bemutternd zu sein. Missionierend war sie nie. Ich nahm als Jugendliche Witterung auf. … Sie gab Unterricht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Bei den Schülerkonzerten in ihrer großen Wohnung mit den zwei Flügeln und den geöffneten Flügeltüren saßen hinterher die Herren und Damen Eltern auf dem Sofa, tranken Wein und qualmten, was das Zeug hielt. Das war der Wehmeyer-Salon, das konnte sie auch. Gutbürgerlich. Sie war locker, pragmatisch. Keine Triezerei mit Etüden, keine Triller – statt Tonleitern rauf- und runterzujagen, ließ sie mich Locke­rungsübungen für die Körperhaltung machen (die heute zu jeder Stimmbildung gehören) und die Handgelenke auf dem zugeklappten Klavierdeckel kreisen. Sie war überzeugt davon, dass man die natürliche Stellung der Hände berücksichtigen solle. Gegenläufigkeit statt Schnellläufigkeit.” 

Die Musikerin hielt Vorträge in der Volkshochschule Köln, bei der GEDOK Köln und auch im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität, wo durchaus noch Nazis lehrten und Sie spielte Konzerte der „Klassischen Moderne“ (Strauss, Strawinsky, Hindemith, Bartók, Satie u.a.).

In den 1950ern rückte ein neues Verständnis von Musik in den Fokus, 1951 entstand das später weltbekannte Studio für elektronische Musik beim (N)WDR in Köln. Nahm die Musikerin das wahr? Mit Sicherheit.  Klar ist jedoch, dass sie eher Werke der klassischen „Neuen Musik“ spielte: Schönberg, Hauer, Varèse, Cowell usw. 1983 trat sie (vermutlich) jedoch auch mit John Cage bei einer denkwürdigen Performance in Bonn auf.

Konzertpianistin zu werden war nicht ihr beruflicher Weg, sie war bei Auftritten stets nervös. Zudem wurde ihr der klassische Musikbetrieb zunehmend unerträglich, mit seinen pathetischen Ritualen der Hochkultur und Virtuositätszwängen. So entwickelte sie – angeleitet von Hans Anwander, dem Vater von Ursula Erler – ein eigenes Format, die sog. Gesprächskonzerte, bei denen sie ihre Nervosität transformieren konnte. Mit ihren „kommentierten Konzerten“ ging sie zwischen 1964 und bis weit in die 1970er Jahre auf eine weltweite Tournee an Goethe-Instituten, durch afrikanische und asiatische Länder. “Grete Wehmeyer wurde offenbar als Musik-Botschafterin eines „Deutschland nach dem Kriege“ akzeptiert.“ (fembio) Dazu trug bei, dass sie für die musikalischen Traditionen der bereisten Länder sehr offen war.

Seit 1968 war sie freie Mitarbeiterin beim WDR und anderen Sendern. „Wenn sie im Radio eines ihrer vielen ‚Zeitzeichen‘ sprach, klang ihr kölsches Idiom angenehm durch.“ (Taz) Sie verfasste Bücher über Eric Satie und Edgar Varèse, wobei die Biografie von Satie als Standardwerk gilt.

Auch “demontierte” sie das Standardwerk aller Klavierschüler:innen von Carl Czerny, einem Schüler von Beethoven und Lehrer von Liszt.  1983  publizierte sie „Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier (oder Die Kunst der Fingerfertigkeit und die industrielle Arbeitsideologie)“. Sie hinterfragte das Vorbild der Schnelligkeit beim Spielen und der kunstfertigen Fingerfertigkeit und verband es mit Kapitalismuskritik. In „ARS MUSICA—MUSICA SCIENTIA“ schrieb sie: „Die heutigen Höchstleistungen auf allen Musikinstrumenten und im Gesang sind ebenso das Produkt kapitalistischen Geistes wie der gegenwärtige Höchststand von Industrialisierung und Technisierung. Die Basis ist hier wie dort die Ideologie der Arbeit, die als Preis Askese fordert. Der »Prozess der Zivilisation« hat hier wie dort zu erheblichen Restriktionen der ungezwungenen menschlichen Äußerungen im Täglichen wie auch in der Kunst geführt.“  [Festschrift Heinrich Hüschen zum fünfundsechzigsten Geburtstag, Köln 1980]. Das rief die gesammelte Riege der Musikproduzent:innen gegen sie auf. Von Seiten der Schüler:innen gab es dagegen Zustimmung.

Nach einer Gastprofessur an der Kaiserlichen Musashino Akademie in Tokio setzte sie sich weiter mit Musiktheorie auseinander, der These des „tempo giusto“, nach der der (verhasste) Cerny die Taktgeschwindigkeit von Beethoven objektiv dokumentiert habe und so langsam seien die Stücke zu spielen und nicht anders.

 Wehmeyer lehnte sich an das 1988 verfasste Buch des Niederländers Willem Retze Talsma an, „Wiedergeburt der Klassiker: Anleitung zur Entmechanisierung der Musik“; sie folgte ihm mit der Feststellung, klassische Musik werde zu schnell gespielt und müsse entschleunigt werden.

Musik sei ein der Rede ähnlicher Gesang. 1989 veröffentlichte sie ihr Werk zur „Wiederentdeckung der Langsamkeit in der Musik“, „Prestißißimo“. Musikwissenschaftler waren abermals entsetzt.  Begründung war die Pendeltheorie, über die selbst Der Spiegel 1989 berichtete: „Die Sicherheit, daß der Einbruch der schnellen Technik die Musik vergewaltigt habe, gewinnt sie aus den Forschungen des holländischen Musikwissenschaftlers Willem Retze Talsma. Der ist davon überzeugt, daß die Metronomzahlen der Klassik seit Generationen falsch gelesen werden und die Musik deshalb um das Doppelte zu schnell erklingt: Die Klassiker zählten tack, wenn das Metronom hin- und zurückgependelt war, spätere Zeitgenossen sagten bereits tack beim einfachen Pendelschlag. Tack oder tacktack – Wehmeyers Klage über die virtuose Raserei paßt genau in den Trend. Seit Michael Ende im alternativen Märchen »Momo« unheimliche graue Herren beim Zeitdiebstahl ertappte und Sten Nadolny den Bestseller »Die Entdeckung der Langsamkeit« schrieb, fühlen sich sogenannte Zeitpioniere zum Widerstand gegen den allgemeinen Schweinsgalopp ermutigt.“ (SPIEGEL 20/1989).

 Sie schlug vor, die Metronomzahlen im Tempo zu halbieren und spielte selbst Klavierwerke im halben Tempo ein. .

Sie war zeitlebens eine markante Erscheinung: eine große Frau, eine Wissenschaftlerin mit hennagefärbten Haaren, einem hellem Lachen und kölschem Zungenschlag, eine humorvolle gute Zuhörerin. Sie liebte Jacques Offenbach und den rheinischen Humor, plädierte für die Wiedereinführung der Lachkultur in die Musik auf der Grundlage von Michail Michailowitsch Bachtins Werk „Literatur und Karneval.“

 “Unangepasst, immer unverschämt gut gelaunt. …Männer (oder Frauen) an ihrer Seite blieben, wenn es sie gab, unsichtbar.” (taz) . In Ihrem Haus in der Geibelstraße bot sie gesellige Abende an. „Konzerte, Vernissagen, Gesprächskonzerte, Vorträge … all das wurde gepflegt und es kam vor, dass zwei Tage später in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Besprechung des Events zu finden war. Immer gab es anregende, belebende und oft auch kontroverse Gespräche über das Dargebotene … und über Gott und die Welt.“ (Nachruf von Peter Paeffgen).

Grete Wehmeyer starb am 18. Oktober 2011 und damit wenige Tage nach ihrem Geburtstag.  Sie liegt im Familiengrab auf Melaten wie sie vorher im Familienhaus lebte.  Es passt zu ihr, dass ihr Name auf einem schlichten Grabkreuz steht, jedoch ein deutlich sichtbarer QR-Code die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Literatur:

* Fembio 

* https://www.spiegel.de/panorama/tack-oder-tacktack-a-7ce33524-0002-0001-0000-000013692783

* https://gedok-koeln.de/nachruf-dr-grete-wehmeyer/

* Sabine Seifert:  Die Musikpädagogin: Mein Rolemodel (Taz 2021)

Buchveröffentlichungen von Grete Wehmeyer:

• Kriminalgeschichte der Europäischen Klassischen Musik E-Book 2007

• Langsam leben Freiburg 2000

• Erik Satie Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 1974, 2. Auflage 1998

• Erik Satie. Eine Biographie Bosse Verlag: Regensburg 1998

• Höllengalopp und Götterdämmerung Lachkultur bei Jacques Offenbach und Richard Wagner Dittrich Verlag: Köln 1997 und 2000

• Erik Satie, Bilder und Dokumente München 1992

• Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sonst bin ich verloren. Mozart und die Geschwindigkeit Kellner Verlag: Hamburg 1990

 • Prestißißimo! Die Wiederentdeckung der Langsamkeit in der Musik Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 1989

 • Gioacchino Rossini Biographie, Übersetzungen aus dem Englischen 1986

 • Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier oder Die Kunst der Fingerfertigkeit Bärenreiter Verlag: Kassel 1983

 • Edgar Varèse Bosse Verlag: Regensburg 1979

Weitere Links:

 Irene Franken, 20.10.2021

Behshid Najafi – September 2021

Die Deutsch-Iranerin Behshid Najafi (* 1956) studierte im Iran und in den USA Politik und Pädagogik. Da sie als Teil der linken Studierendenbewegung bekannt war musste sie 1984 mit Mann und kleinem Sohn fliehen, zunächst ging es ins Nachbarland Aserbaidschan, zwei Jahre später nach Deutschland. Nachdem sie politisches Asyl erhalten hatte, zog sie 1988 nach Köln, wo sie den Iranischen Frauenverein, der bis heute besteht, mit aufbaute. In Deutschland entdeckte sie den Feminismus, sogt Behshid Najafi. Ende der 1980er Jahre kam ein Ableger von agisra Frankfurt (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung) nach Köln, Behshid stieß Anfang der 1990er Jahre dazu. Sie und ihre Kolleginnen, die beinahe alle einen Migrationshintergrund haben, konnten vieles bewegen und zahlreichen Frauen zu ihrem Recht verhelfen.

Lie Selter – August 2021

Die  feministische Sozialarbeiterin Lie Selter (* 1951) erzählt vom Kampf um ein Frauenhaus wie von ihrem beruflichen  Werdegang und vor allem von ihrer Zeit als erste kommunale Frauenbeauftragte Deutschland. – Rückblickend staunt sie über ihren eigenen Mut, vielleicht sogar Übermut, in diesen 18 Jahren Frauenamt.

August 2021 – Henriette Ackermann

Ein frühes Mobbingopfer

Henriette Ackermann, eine linke Politikerin, erlebte in den Jahren der Weimarer Republik ein Mobbing, wie es heute über “soziale” Medien schnell gestreut wird, damals aber nur wenigen kenntlich wurde.

Henriette Ackermann wurde am 8. September 1887 in einfache Verhältnisse geboren: Ihre Mutter Adelheid war eine geborene Schumacher und Nichte des Solinger SPD-Reichstags-Abgeordeten Georg Schumacher, ihr Vater der Friseur Joseph Ackermann. Ihre Kindheit erlebte sie gemeinsam mit ihrer Schwester in dem Arbeiterviertel Ehrenfeld. Mehr wissen wir über ihre ersten Lebensjahre und Familienverhältnisse nicht.Ihre Ausbildung dauerte nur kurz, brachte sie aner in ein neues berufliches Milieu: 1903 verließ sie vorzeitig die Handelsschule, um eine Stelle als Buchhalterin anzunehmen.

Als junge Frau war sie schon politisch bewusst, sie trat 1905, im Alter von 18 Jahren, in die SPD und die Gewerkschaft ein. Die Partei besaß damals in der Rheinprovinz noch keine sehr große Bedeutung, die Bevölkerung  war zu stark an die katholische Religion gebunden. Die Jugendarbeit jedoch lockte viele Aufmüpfige an. Sie trat dem Verein Arbeiter-Jugend Köln bei, der 1907 u. a. von dem SPD-Mitglied Wilhelm Sollmann gegründet worden war und zeitweilig geleitet wurde. Zu dieser Zeit arbeitete sie bereits als Kontoristin; u.a. nahm sie nun eine Arbeit im sozialdemokratischen Milieu an und arbeitete zwischen 1908 und 1921 in der sozialdemokratischen Konsumgenossenschaft „Hoffnung“ in Kalk.

Erster Weltkrieg 

1916 tobte in der Partei wieder einmal eine Auseinandersetzung um die Kriegskredite. Die vorherigen Bewilligungen waren gerade bei der Jugend auf Ablehnung gestoßen, Henriette Ackermann hatet sich dagegen ausgesprochen, nun waren inzwischen Millionen Tote zu beklagen und sie empfand ihre Enttäuschung immer stärker. Sie wendete sich von dem Mehrheits-Kurs der SPD ab und stellte sich als junge Frau an die Spitze einer Gegenbewegung, die weitere oppositionelle weibliche Jugendliche umschloss. Gemeinsam mit dem Proletarier Johann Zander, einem Heizer und Lagerarbeiter, und anderen Mitgliedern der Arbeiter-Jugend gründete sie eine sog. Spartakus-Gruppe, die bald um die 25-30 Mitglieder um sich scharte.

Vorbild war der deutsche Spartakusbund mit den Führer:innen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zu der Zeit noch eine radikale Gruppierung innerhalb der Partei. Deren stark antikapitalistische und antibürgerliche Ausrichtung ließ nur einen Weg zu: 1917 erfolgte die Abspaltung der linken USPD=Unabhängige Sozialisten, woraufhon sich die SPD zur MSPD, den Mehrheitssozialisten definierte.

Henriette Ackermann war keine Jugendliche mehr, sie wurde mit einem Vertrauensvorschuss auf den Gründungsparteitag der USPD in Gotha delegiert. Es folgte im Mai 1917 die Gründung einer USPD-Ortsgruppe, zu deren vierköpfigen Vorstand Henriette Ackermann gehörte, sodann Johann Zander, Ernst Wachendorf und die Weggefährten Marie Runowski. Es war ungewöhnlich, dass ein Parteivorstand paritätisch besetzt wurde!

Polizei- und Militärbehörden veranlassten die Verhaftung des Vorstands. Obwohl die übrigen Vorsitzenden wieder freigelassen wurden, wurde Henriette Ackermann Anfang Januar 1918 nach Berlin gebracht und im Untersuchungsgefängnis Moabit eingekerkert. Erst kurz vor dem Kriegsende wurde sie entlassen. Verhaftungsgrund war der Vorwurf antimilitärischer Propaganda – Pazifismus war eine der meistgefürchteten Ideologien dieser Zeit.  Das war die erste ihrer insgesamt vier Festnahmen.

Weimarer Republik 

Inwieweit sie an den revolutionären Ereignissen in Köln, die von der SPD schnell dominiert wurden, beteiligt war, ist nicht bekannt, doch ist es wahrscheinlich, da gerade junge Frauen aus dem Milieu der Arbeiterjugend später ihre Teilnahme dokumentierten.  Ende 1918 nahm sie als Delegierte für Köln-Ehrenfeld am Gründungsparteitag der KPD  in Berlin teil.

Stadtverordnete

Mit der Verabschiedung der ersten demokratischen Verfassung galt auch für Frauen das Recht, an den politischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Sie kandidierte direkt erfolgreich für ein Mandat bei der ersten Kommunalwahl in Köln am 5. Oktober 1919 auf der Liste der USPD und wurde eine von 12 ‚weiblichen’ Abgeordneten, die in die Stadtverordnetenversammlung einzogen. 

Wie Birgit Kummer bemerkte, war dies Oberbürgermeister Adenauer keinen Satz wert: „Obwohl die Tatsache, daß nun erstmals Frauen in den Stadtrat einzogen – ein Jahrtausendereignis für die Stadt Köln -, nicht zuletzt für die Männer des Kollegiums eine außergewöhnliche Begebenheit dargestellt haben muß, wurden die weiblichen Stadtverordneten mit keinem Wort explizit erwähnt.“

Henriette Ackermann wollte nicht die weichen, ‚weiblichen‘ Themen bedienen – Bildung, Soziales und Kultur – sondern strebte an, in die Machtzonen vorzudringen. 1922 – mittlerweile agierte sie auf dem Ticket der neu gegründeten KPD und konnte als deren Fraktionsvorsitzende Forderungen stellen – erlangte sie den Zutritt zu dem vollständig Männer-dominierten Ältesten-Ausschuss.

Sie wurde bekannt als eine verbalradikale Fechterin für die  Forderungen, die sie im Namen der Arbeiter:innen und anderer marginalisiert Gruppen stellte. Viele Verarmte oder Entlassene wandten sich an sie, wie sie häufig betonte.  Sie jedoch wollte keine Caritas anbieten, sondern gesellschaftliche Veränderungen.

Mobbing

In ihrer 10-jährigen Tätigkeit als linke Stadtverordnete wurde sie anhaltend mit Beleidigungen, persönlichen Attacken und Sexismus konfrontiert, was die Damen der bürgerlichen Parteien und die Frauen der SPD nicht durchmachten.  Ihr unnachgiebiges Auftreten war eine permanente Provokation für die Mehrheit der Ratsmitglieder, u.a. da sie „ständig gegen die Geschäftsordnung Adenauers, gegen die Politik der SPD und gegen das Verhalten der bürgerlichen Frauenbewegung unter Einschluß der bürgerlichen Frauen des Parlaments opponierte und polemisierte.“ (Kummer). Sie entsprach als Kind, das in Ehrenfeld aufgewachsen war, in ihrer dreisten Rhetorik nicht dem weiblichen Rollenklischee; zudem war sie nicht so gebildet wie die studierten Herren, es fehlte des Öfteren an Sachkenntnis. Ein Grund zu wüsten Attacken!? Männliche Ratsmitglieder und besonders gern auch die Redakteure der Rheinischen Zeitung, dem Sprachrohr der SPD, titulierten sie als gemeines Frauenzimmer, Megäre oder Hexe. Ein Mitglied er katholischen Zentrums-Partei trieb es am 14. Juni 1921 auf die Spitze: „Ebenso wie man liebenswürdige Frauen und krabitzige Weiber hat. (Lebhafte Heiterkeit.) Wenn ich von einem Ehestandskandidaten gefragt werden würde, ob Frl. Ackermann zu letzterer oder ersterer Kategorie gehörte, wenn sie wirklich einmal Ehefrau würde, dann würde ich in große Verlegenheit kommen, zu sagen, was das richtige wäre. (Zuruf Ackermann: Da müssen Sie mal die notleidende Bevölkerung fragen, die sich an mich wendet.) Ich würde aber sagen, es steht zu hoffen, daß, wenn Frl. Ackermann einmal bemannt sein wird, sie vielleicht auch zu den liebenswürdigen Frauen gehört.“ 

Politische Schwerpunkte

In der Tat blieb Henriette Ackermann ihr Leben lang unverheiratet, die gründe sind nicht überliefert. All ihre Energie widmete sie dem politischen Kampf für notleidende Kölner:innen mit einem Schwerpunkt im Sozialen. Heute aktuelle Themen wie Wohnmieten, Straßenbahntarife, Gesundheitsversorgung oder auch Lebensmittelversorgung fanden auch ihre Aufmerksamkeit. sie forderte vehement die „Erhöhung der Armenunterstützung“ und sprach den anderen Mitgefühl mit den Bedürftigen ab. Frauenthemen wie Gewalt gegen Frauen, Abtreibungsnöte usf. brachte sie dagegen nie auf. 1929 schied sie aus der Stadtverordneten-Versammlung aus, 1932 kandidierte sie ohne Erfolg für die Sozialistische-Arbeiter-Partei für ein Mandat zum Preußischen Landtag.

Sie wechselte noch mehrfach die politischen – immer linken – Parteien, hatte beruflich immer wieder mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen, seit sie das Nest des SPD-Betriebs verlassen hatte. Sie war bis 1932 Angestellte des Kölner Büros des Freidenkerverbandes.

Nationalsozialismus

Schon direkt nach der Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 geriet die Linksoppositionelle ins Fadenkreuz der neuen ‚Führer‘. Die nach dem Reichstagsbrand, der der KPD zugeschrieben wurde, eingeleiteten Verhaftungsaktionen betrafen auch Henriette Ackermann, die am 8. März 1933 in Schutzhaft genommen und im Kölner Klingelpütz inhaftiert wurde. Nach zwei Monaten entlassen, stiegen ihre materiellen Nöte noch an, sie lebte prekär. Am 1. September 1939 wurde sie abermals verhaftet und erstmals in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo sie mehr als ein Jahr einsaß. Nach dem Attentatsversuch auf Hitler vom Juli 1944 traf auch die 57-jährige Henriette Ackermann der Generalverdacht und sie wurde zum zweiten Mal in Ravensbrück inhaftiert; sie entkam jedoch den ab Dezember 1944 einsetzenden Vernichtungen in dem überbelegten Stammlager Lager.  So erlebte sie die Befreiung durch die Rote Armee Ende August 1945 mit.

Nachkriegszeit und Lebensende

Nach 1945 lebte sie kurz in Berlin, kehrte dann nach Köln zurück und konnte als Unbelastete bis 1952 in der Kölner Stadtverwaltung arbeiten. Sie wurde Mitglied in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“. Dann wissen wir nichts mehr über ihren ‚Ruhestand‘. Sie lebte die letzten Jahre zurückgezogen in einem Seniorenwohnheim in Brühl, wo sie am 31. August 1977 starb. Manfred Faust war der erste Historiker, die das Schicksal der spannenden Frau ausgrub, Birgit Kummer machte sie auf einer Ausstellung des Kölner Frauengeschichtsvereins breiteren Kreisen bekannt.

Literatur:

  • Manfred Faust: Henriette Ackermann. Eine unabhängige Sozialistin, in: Die Kölner Sozialdemokratie 1914 bis 1920, in: Sozialdemokratie in Köln. Ein Beitrag zur Stadt- und Parteiengeschichte, hrsg. v. Gerhard Brunn, Köln 1986, S. 220/21.
  • Birgit Kummer: „Stadtmütter“ und „Megären“. Weibliche Stadtverordnete in Köln während der Weimarer Republik, in: 10 Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln. Zur Geschichte der Organisationen und Vereine, hrsg. vom Kölner Frauengeschichtsverein, Münster 1995, S. 148.
  • Birgit Kummer: Politikerinnen in der Kölner Stadtverordnetenversammlung während der Weimarer Republik, in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte 40 (1996), S. 92.
  • Widerstand und Verfolgung in Köln 1933-1945. Ausstellung des Historisch Archivs der Stadt Köln, Köln 1974, S. 82.
  • https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/henriette-ackermann

Dr. Elisabeth Stiefel – Juli 2021

Dr. Elisabeth Stiefel (geb.  1929) berichtet von ihrer Bewusstwerdung eines ökonomischen Ungleichgewichts im Arbeitsleben und in öffentlichen Haushalten. Sie war an der Initiative des Kölner Frauenforums beteiligt, die sich für eine Analyse des Haushalts der Stadt Köln in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit einsetzte.  Bis heute engagiert sie sich für eine Wirtschaftsweise, die ihrem ursprünglichen Zweck genügt: die materiellen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und ihr Wohlergehen zu befördern. – „Nicht nur Reichtum muss umverteilt werden. … Wir brauchen eine andere Wirtschaft und andere Wirtschaftswissenschaften. Es darf nicht länger nur um Effizienz und Wettbewerb gehen.“ , lautet ihr Credo.

Juli 2021 – Edith Leffmann

Eine widerständige Ausnahmefrau

Kaum eine deutsche Frau, geschweige eine Kölnerin, hat auf ihrem Stolperstein stehen: “in der Résistance überlebt”. Bei Edith Leffmann 1894 – 1984 ist dies der Fall. Wer war diese Frau? Warum kennt sie kaum jemand in Köln? Warum wird sie in den Büchern über Frauen im Widerstand nicht erwähnt?

Jugend, Ausbildung, Ehe

Edith Bella Leffmann, geboren am 22. Juli 1894 in Köln, war die Tochter des jüdischen Paares Martha Heidenheim und Bernd Löwenstein, eines Kölner Korsett-Fabrikanten. Martha Löwenstein heiratete – vermutlich als Witwe – in zweiter Ehe dessen Kompagnion Arthur Leffmann, der Ediths Stiefvater wurde und dessen Namen sie vermutlich annahm; er war (oder wurde nun) Direktor der Korsettfabrik Löwenstern & Leffmann. Sie hatte einen Halbbruder Fritz Leffmann und einen 1899 geborenen Cousin Dr. Ernst Leffmann, einen sozialdemokratischen Juristen, der im Belgischen Viertel lebte.

Wie vielen jüdischen Familien des beginnenden 20. Jahrhunderts war die Bildung auch von Töchtern wichtig. Edith Löwenstein legte ihr Abitur ab, absolvierte in Bonn und München ein Medizinstudium. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie als Lazaretthelferin beim Deutschen Roten Kreuz. Nach dem Studium nebst anschließender Promotion nahm sie eine erste Stelle am Berliner Kinderkrankenhaus an, eröffnete dort schon bald eine eigene Kinderarzt-Praxis. Sie wird selbst als nur knapp über 1,50 Meter groß, aber mit großen Händen und einer auffälligen Frisur in Erinnerung gerufen. Anfang der 1920er Jahre heiratete sie Robert (woanders fälschlich Rudolf ) Leffmann, vermutlich einen Verwandten ihres Stiefvaters. 1924 brachte sie den Sohn Bernd Julius („Bill“) zur Welt. Schon in dieser Zeit kam die soziale engagierte Mutter mit Mitgliedern der Roten Hilfe und der KPD in Berührung.

Verfolgung

Wie viele andere Kommunist*innen erlebte Edith Leffmann 1933 eine Sabotage ihrer Berufstätigkeit, die von Behörden wie dem Wohlfahrtsamt abhängig war, und musste ihre Praxis schließen. Sie kehrte – vermutlich mit dem Ehemann Robert Leffmann – zu ihren Eltern nach Köln zurück, lebte in der Gleueler Straße 192. Hier im Rheinland gab es beim Machtantritt der Nazis besonders viele jüdische Ärztinnen und Ärzte. Edith Leffmann (der Doktortitel war nicht mehr zulässig) arbeitete wieder in eigener Praxis als Kinderärztin; auch diese musste sie als Jüdin nach einigen Jahren aufgeben. Ab dem 30. September 1938 verloren jüdische Ärzt*innen per Gesetz ihre Approbation, erhielten Berufsverbot und mussten ihre Praxen schließen, Gemeinschaftspraxen mit ‘Arier*innen’ verlassen. Damit war ihre berufliche und bürgerliche Existenz vernichtet.

1938 verschärften sich die Lebensbedingungen für alle Juden und Jüdinnen. Edith Leffmann sorgte dafür, dass ihr Sohn 1939 gemeinsam mit den Großeltern in die Niederlande nach Amstelveen emigrieren konnte; er besuchte dort eine Exil-Schule für in Deutschland bedrohte Kinder.  Dennoch konnte sie sie letztlich nicht vor der Ermordung bewahren.

Sie selbst ging mit ihrem Mann am 17. April 1939 in das noch nicht besetzte Brüssel, wo es eine große sozialistische und kommunistische Emigrant*innenszene gab. Sie hofften auf eine Wende durch politische Aktivitäten. Im April 1940 starb ihr Mann, Edith Leffmann entschloss sich, nach Frankreich weiter zu ziehen. Ihrer Vorstellungen von politischer Arbeit in der Résistance erfüllten sich zunächst nicht, sie wurde verhaftet und für zwei Jahre im das südfranzöschen Lager Camp de Gurs interniert. Hier konnte sie zumindest den Lagerhäftlingen beistehen.

Widerstand

Ihr gelang die Flucht aus dem Lager Gurs, endlich konnte sie sich der Résistance, Sektion Travail Allemand, anschließen. Sie blieb zunächst in Südfrankreich, trat dem Comité „Allemagne libre“ pour l’Ouest bei, das dem KPD-nahen Nationalkomitee Freies Deutschland assoziiert war. Ziel war, Angehörigen der deutschen Wehrmacht gegen den Krieg umzustimmen; dazu gehörte die Verteilung von Propagandamaterial. Auf Anregung der Résistance kehrte sie noch während des Krieges – getarnt als die französische Krankenschwester Marie-Louise Lefèbre nach Deutschland zurück, um Untergrundarbeit zu leisten. In einer Papierwarenfabrik in Eger (heute Tschechien) konnte sie unter den anderen (Zwangs-)Arbeiterinnen agitieren und sich für Sabotage stark machen. Derweil wurde Dr. Edith Leffmanns Mutter aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert und ihr Sohn Julius / Bill aus der niederländischen Quäkerschule heraus in das KZ Herzogenbusch verbracht; der Jugendliche wurde über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo er im September 1942 getötet wurde (Stolperstein). Der Vater war bereits in Amsterdam verstorben.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg lebte Dr. Edith Leffmann in Ludwigshafen und Mannheim und wurde gleich wieder politisch aktiv: Sie reiste im Frühsommer gemeinsam mit dem Widerstandskämpfer Alphonse Kahn über Paris in die französische Besatzungszone ein und ließ sich im August 1945 in Ludwigshafen nieder. Zunächst ging Dr. Leffmann als jüdische Vertreterin in den Betreuungsausschuss für die Opfer des Faschismus, der 1950 in das Amt für Wiedergutmachung und Kontrolliertes Vermögen überführt wurde. Sodann trat sie der KPD bei, arbeitete später im Ludwigshafener Friedenskomitee mit und kandidierte 1951 auf der Liste der KPD für ein Mandat im rheinland-pfälzischen Landtag. Sie war Mitbegründerin der VVN, die erste rheinland-pfälzische Vorsitzende der VVN, Mitglied im VVN-Zonensekretariat und hielt auch bei Anfeindungen und Kriminalisierung der Orgabnisation (Strafbefehl im August 1952) zu ihr.

Edith Leffmann leistete trotz ihrer persönlichen Verluste, der anstrengenden Arbeit in deutschen Fabriken und der psychischen Grenzsituation einer mit falscher Identität in Deutschland agitierenden Frau, schließlich trotz gesundheitlicher Probleme Großes für die medizinische Versorgung der Nachkriegspatient*innen, viele davon Kinder von Täter*innen. Auch diese behandelte sie laut Zeitzeug*innen gleich zugewandt.  Sie sagte: “Ich kenne keinen Hass ausser den gegen den Krieg.” (Zeitzeuge Bernd Köhler)

Ihre eigene Praxis eröffnete sie 1950 in der Carl-Friedrich-Gauß-Straße im Hemshof (früher Kruppstraße 6), in einem der wenigen Häuser, nicht beschädigt waren.  In Ludwigshafen erhielt sie dafür schon zu Lebzeiten den Ehrentitel ‘Engel von Hemshof’.   Zeitzeug*innen brachten Beispiele für ihr Engagement:

“Ihr Wartezimmer war ständig überfüllt von unterernährten Kindern und weinenden Müttern. Die Kinderärztin Dr. Edith Leffmann arbeitete in der Nachkriegszeit bis zur totalen Erschöpfung. Kein Kind verließ ihre Praxis ohne ein Stück Schokolade oder ein Bonbon.” (Bericht von Bernhard Wadle-Rohe). oder: “Dr. Edith Leffmann hat mir das Leben gerettet. Ich hatte damals Lungenentzündung, Gelbsucht und Wasser in der Lunge.” (Monika Trautmann, Zeitzeugin). „Unsere Tochter Monika hatte mit vier Jahren plötzlich, nachts um ein Uhr, heftige Schmerzen. Ich rief die Frau Doktor an und sie kam sofort, drückte ihr auf den Bauch und rief: Sofort in die Kinderklinik nach Mannheim! Der Engel vom Hemshof hat ihr das Leben gerettet” (Mutter von Monika T.) . „Sie kam um die Babies zu besuchen direkt mit dem Taxi in die Häuser gefahren, ist dann von Patient zu Patient gefahren, um den kleinen Leuten zu ersparen im kalten Winter zu ihr in die Praxis zu kommen.” (Emma Schüssler)  Bernd Köhler führte 1978 ein Interview mit ihr für ein geplantes Buch über Antifaschist*innen. “Die Ärztin war da bereits im Ruhestand, lebte in Mannheim. ‘Ich erinnere mich noch, wie wir da hoch sind in den 5. Stock, da machte jemand die Tür auf, den man nicht gesehen hat, weil sie so klein war. Unglaublich geschminkt, mit so einer sonorigen Stimme, eine tolle Frau. Sie hat uns dann auch später erzählt, dass sie sich damals, als sie nach Deutschland geschickt wurde von der Résistance, als Französin zurechtgemacht hatte. Das hat sie später beibehalten.'”

Seit 1960 wohnte sie in Mannheim, wo sie am 3. Februar 1984 im Alter von 90 Jahren starb. Ihr Grab auf demMannheimer Hauptfriedhof existiert leider nicht mehr. 

Ehrungen

Nur wenige Frauen aus Köln haben sich so eindeutig und kraftvoll gegen die Nazidiktatur, und nach 1945 gegen das Vergessen, die Wiederaufrüstung und die Rehabilitation von politisch und ethnisch (‘rassisch’)  Verfolgten des Nationalsozialismus eingesetzt. es wird berichtet, sie habe vor Energie gestrotzt und sei trotz (oder wegen?) ihrer dunklen Stimme für die Kinder eine Vertrauensperson gewesen.

Nach ihrem Tod setzten sich verschiedene Initiativen für eine Würdigung von Edith Leffmann ein. In Köln setzte Gunter Demnig im März 2012 einen Stolperstein, auf dem steht: “Hier wohnte Dr. Edith Leffmann, geb. Leffmann [eigentlich Löwenstein, die Verf.] Jg. 1894, Flucht 1939, Belgien/ Frankreich, interniert Gurs. Tätig als Ärztin in der Résistance. Überlebt”. Ebenso wird an ihren Sohn und den Ehemann Robert erinnert. In Ludwigshafen konnte 2013 erst gegen den Widerstand der CDU-Mehrheit im Stadtrat eine Gedenktafel vor den ehemaligen Praxisräumen angebracht werden, Antifaschist*innen um Bernhard Wadle-Rohe hatten 14 Jahre lang dafür gekämpft. Es wurde u.a. ‘geprüft’, ob sie als Angehörige der 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands eine Stalinistin gewesen sei…

2007 wurde im Rahmen des Mannheimer Kultursommers die Lebensgeschichte der Widerstandskämpferin und sozial engagierten Ärztin Edith Leffmann in der Reihe Revolutionärinnen des Alltags künstlerisch in Szene gesetzt.

Literatur und Quellen:

* Bernd Köhler führte als Student 1978 in Mannheim ein Interview mit Edith Leffmann nach ihrer Pensionierung.

* Broschüre »Widerstehen: damals – heute – morgen« zum 70. Jahrestag der VVN , Frühjahr 2017

* Aus dem kämpferischen Leben des fast vergessenen Engels vom Hemshof. Altriper Schülerin Esther Tabea Kuntz schreibt Facharbeit über die 1984 verstorbene jüdische Ärztin Edith Leffmann, in: Ludwigshafener Rundschau,  56  (2000), Nr. 249 vom 26.10.2000.

Weblinks:

 * https://www.geni.com/people/Dr-Edith-Leffmann/6000000088898031877

* https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Leffmann

* https://antifa.vvn-bda.de/2017/01/20/zwei-mitbegruenderinnen-der-vvn/

* https://www.ewo2.de/01_home/Leffmann.htm

* https://www.joodsmonument.nl/en/page/29290/bernd-julius-leffmann

* https://www.rheinpfalz.de/lokal/ludwigshafen_artikel,-der-engel-vom-hemshof-_arid,662848.html

* https://kommunalinfo-mannheim.de/2016/09/22/ich-kenne-keinen-hass-ausser-gegen-den-krieg/ 

*https://de.wikipedia.org/wiki/QuC3%A4kerschule_Eerde#Bernd_Leffmann_(geb._20._September_1924_Berlin,_gest._24._September_1943_Auschwitz)

* https://www.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fimages%2FImages%2520349%2FLudwigshafen%2520Gedenktafel%2520Leffmann%2520010.jpg&imgrefurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fludwigshafen_synagoge.htm&tbnid=vvPjhhvIcXI2zM&vet=12ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd..i&docid=6nQrBgP1a6ioLM&w=1200&h=804&q=%22edith%20leffmann%22&ved=2ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd  

IF , Juli 2021 

Frauke Mahr – Juni 2021

Frauke Mahr  (geb. 1953) ist seit langem eine der profiliertesten Feministinnen von Köln. Zu Recht wurde sie im März 2020 als erste Preisträgerin mit dem Else-Falk-Preis der Stadt Köln für ihr langjähriges und erfolgreiches Wirken für die Gleichstellung von Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern geehrt.  Seit ihrem Studium der Sozialpädagogik 1973 ist sie fast durchgehend als Anwältin für die Rechte und körperliche Unversehrtheit von Frauen und Mädchern aktiv.

Juni 2021 – Marianne Ahlfeld–Heymann

Ein Multitalent muss ins Exil

Marianne Heymann wurde am 07.02.1905 in Köln geboren.

Schon als Mädchen liebte Marianne Heymann das Spiel mit Holzgegenständen und die Malerei. Gerne ging sie ins Kölner “Hänneschen- Theater“ mit seinen ausdrucksstarken Holzpuppen. Ihr Judentum war ihr bewusst, hatte aber zunächst keine große Bedeutung. 

Nach dem Abitur auf dem Kaiserin-Augusta-Gymnasium 1922 strebte sie eine Ausbildung als Holzschnitzerin an. Nach einem Jahr auf der Kölner Kunstgewerbeschule wechselte sie nach Weimar. Weniger ihr eigentlicher Dozent für Bildhauerei und Bühnenkunst Oscar Schlemmer als der Farbkünstler Paul Klee begeisterten sie.  Mit ihm blieb sie lange befreundet.

1925 kehrte Marianne Heymann nach Köln zurück und ergatterte bald ein Volontariat an der Kölner Oper, fertigte Kostüme und Bühnenbilder u.a. für Aufführungen des ehemaligen Kölner jüdischen Komponisten Jaques Offenbach an.

Als sie als Provokation gegen die erstarkenden Nationalsozialist*innen aus einem Hitler-Bild einen Hampelmann baute, geriet sie in Gefahr. Nun bekam die Zugehörigkeit zum Judentum eine hohe Relevanz, sie schreibt: „Da wurde ich von ganzem Herzen Jüdin“.

Kostümentwurf von Marianne Heymann
Kostümentwurf von Marianne Heymann

Die Kunsthandwerkerin ging noch im Frühjahr 1933 ins Exil nach Frankreich und lernte dort ihren Mann, den ebenfalls exilierten sozialdemokratischen Kunsthandwerker Hermann Ahlfeld kennen. 

Nach einer gemeinsamen Zeit in einem Spielzeugkollektiv fertigte sie wieder Puppen und Masken an, u.a. für berühmte Kompanien. 1939/40 wurden beide getrennt voneinander für einige Monate in Lager der Deutschen Besatzer*innen interniert, Marianne Heymann wurde nach Gurs deportiert. Glücklicherweise kamen sie frei. Unter den Bedingungen des Untergrunds bekam Marianne Ahlfeld-Heymann – sie hatte inzwischen geheiratet – drei Kinder.

Anfang 1949 wanderte die Familie nach Israel aus, erbaute mit Freunden ein Haus in der Farmgenossenschaft Kfar Chaim im Norden von Tel Aviv (im Gegensatz zum Kibbutz gab es hier Privatbesitz und oft auch Privatwirtschaft) und richtete eine Werkstätte für Tischlerei und Schnitzerei ein. Darin produzierten sie z.B. aus Olivenholz Haushaltsgegenstände für neue Einwander*innen. Hermann Ahlfeld arbeitete später als Werklehrer und wurde Ergotherapeut in Akko.

Nach der Familienphase begann sie wieder mit der Marionettenproduktion. Nach dem Tod von Mariannes Mutter 1954 und einer damit verbundenen kleinen Erbschaft zog die Familie nach Haifa um. Die Künstlerin schrieb ihre autobiografischen Erinnerungen auf.

Marianne Ahlfeld-Heymann lebte als ältere Frau in einem sog. Elternheim in Haifa. Sie starb dort am 26.06.2003. Bereits 1988 machte die von Horst Matzerath u.a. kuratierte Ausstellung “Jüdisches Schicksal in Köln. 1918 – 1945” erstmals wieder auf Marianne Ahlfeld-Heymann aufmerksam, sie konnten noch mit ihr Kontakt aufnehmen. Marianne Ahlfeld-Heymann veröffentlichte 1994 ihre Erinnerungen: “Und trotzdem überlebt” im Hartung-Gorre Verlag. Auf dieser Basis  und mit eigenen Recherchen angereichert verfasste der Kölner Frauengeschichtsverein 2015  einen längeren Wikibeitrag über sie und machte  sie in Köln bekannter.

2019 organisierte Dr. Romana Rebbelmund, Kuratorin am MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln, zum Jubiläum des Bauhauses eine Ausstellung zu Marianne Ahlfeld-Heymann und ihrer Cousine, Margarete Heymann-Loebenstein (1899-1990), die ebenfalls am Bauhaus studiert hatte und eine anerkannte avantgardistische Keramikerin wurde (Titel: 2 von 14. Zwei Kölnerinnen am Bauhaus).

Im gleichen Jahr erhielten die beiden Cousinen Stolpersteine, die in Anwesenheit von Nachfahr*innen aus den Niederlanden angebracht wurden. An Marianne Ahlfeld-Heymann wird vor ihrem Geburtshaus in der Voigtelstraße 9 erinnert. Der Kölner Frauengeschichtsverein hielt die Gedenkrede.