April 2021 – Alice Neven DuMont

Die ‘Frau an ihrer Seite’

 Die uns als Alice Neven Dumont bekannte Verbandspolitikerin wurde als Johanna Josefine Josephine Maria Alice Minderop geboren. Sie brachte Geld und eine illustre Verwandtschaft in die Ehe mit dem jüngeren Verlegersohn Alfred Neven Dumont ein. In der Weimarer Republik war sie im Stadtverband Kölner Frauenvereine die treue Begleiterin an der Seite von Else Falk. Nach 1945 gehörte sie zu den Frauenrechtlerinnen, die eine Brücke zur jüngeren Generation schlugen und zur Reorganisation einzelner Frauenvereine und -verbände beitrugen.

Alices Minderop war das zweite Kind von Emilie Roeder (1856-1941) und Heinrich Minderop (1842-1923). Sie und ihre Geschwister – Bruder Hugo Emil Victor Minderop (* 1878) und Schwester Doris (* 1887) – wuchsen in einem so repräsentativen Haus in der Severinstraße auf, dass dessen Abbild in einigen Stadtführern abgedruckt wurde. Die Familie war – wie zu erahnen – Teil des Kölner Besitzbürgertums. 

Die Familie Minderop führten lange in Rotterdam dieKaffee- und Thee-Fabrik, produzierte u.a. “Minderop’s keurvorst koffie en thee”. Auch betrieben sie eine Fabrik zur Tabaksverarbeitung. Eine Catherine Minderop heiratete in die angesehen Kölner Tabaksfirma Foveaux ein. Damit waren die Minderops direkt in kapitalkräftigen Kreisen etabliert.

Über Alices Kindheit und Ausbildung ist nichts bekannt, üblicherweise besuchte ein Mädchen wie sie ein Mädchenpensionat im Ausland, in dem Französisch gesprochen, etwas Musik, Handarbeit und Haushaltsführung gelehrt wurde. Mit 19 Jahren ( heiratete sie den neun Jahre älteren Verleger Dr. Alfred Eduard Maria Johann Neven DuMont. Die Dumonts – ursprünglich de Montes italienischer Herkunft –  waren im 18. Jh. nach Köln eingewandert. Um 1805 kamen sie ins Verlagsgewerbe … der Sprössling Marcus Dumont machte 1805 in der Druckerin Dorotheas Schauberg eine gute Partie und erheiratete die noch kleine Kölnische Zeitung nebst Druckerei. Auch die niederländischstämmigen Nevens heirateten 1856 ein.  Alfreds Vater wurde 1861 Teilhaber im Verlag ‚M. DuMont Schauberg‘. seine Söhne Josef und Alfred setzten die Tradition  fort. Die Kölnische Zeitung war im Kaiserreich eine der wichtigsten überregionalen Zeitungen Deutschlands mit nationalliberaler Ausrichtung. Seit 1876 erschien auch der „Stadt-Anzeiger“ als Anzeigenblatt und Ableger der „Kölnischen Zeitung“, der zum späteren Kölner Stadtanzeiger aufstieg. 

Alices Verlobter hatte Rechtswissenschaften in Genf und Straßburg studiert und war, wie auf einem Foto zu sehen, Mitglied einer schlagenden Verbindung.

Der gemeinsame Wohnsitz des Paares lag in der Overstolzenstraße 5-13 in der Nähe des Volksgartens. Sie bekamen vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter.

Noch während die Kinder klein waren engagierte sich Alice Neven Du Mont in verschiedenen Kölner Frauenvereinen und zwar in Gründungen der damals liberal genannten Frauenbewegung, die weder konfessionell noch parteipolitisch geprägt war. 1909 war sie bei der Gründung des Verbandes Kölner Frauenvereine beteiligt.

 Als sie während des Ersten Weltkrieges in der Nationalen Frauengemeinschaft (NFG) aktiv war, wie es sich für eine Honoratiorengattin gehörte, lernte sie die jüdische Rechtsanwaltsgattin Else Falk, ebenfalls Mutter von vier Kindern, kennen, mit der sie fortan für viele Jahre kooperierte. Beide Frauen hatten einen Sohn in diesem Krieg verloren.

Ab 1919 und bis 1933 war Alice Neven DuMont hinter Else Falk 2. Vorsitzende des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine.  Ein wichtiges Anliegen war ihr das Wohlergehen von Müttern und kleinen Kindern – sie wurde 1924 Vorsitzende des Kölner Hilfsvereins für Wöchnerinnen, Säuglinge und Kranke. Auch in der Deutschen Gesellschaft für Mutter- und Kindesrecht, die ein Heim für Mütter unterhielt, nahm sie ein Amt als Vorsitzende an. Es war nur konsequent, dass das Duo Falk/Neven DuMont sich 1925 darum bemühte, die Mehrzahl der sozialen Aufgaben aus dem Stadtverband auszulagern und einen Wohlfahrtsverband zu gründen. Sie riefen eine Ortsgruppe des ‚liberalen‘ (nicht sozialdemokratischen und nicht konfessionellen) „5. Wohlfahrts-Verbandes“ ins Leben, der später umbenannt wurde in ‚Der Paritätische Wohlfahrtsverband, heute „Der Paritätische“. Der Verband war, wie Zeitzeugin Rosemarie Ellscheid schrieb, organisatorisch und räumlich engstens mit dem Stadverband verbunden, so „daß es sich praktisch um eine Organisation handelte“. Ihm standen konsequenterweise Else Falk und Alice Neven DuMont vor. 

Ab 1925-nutzte Alice Neven DuMont die Möglichkeiten, die der Beruf des Mannes bot: Der Stadtverband konnte bis 1933 eine “Frauenbeilage” innerhalb des Stadtanzeigers nutzen, um die Kommunikation innerhalb des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine zu gewähjrleisten, – das sog. Nachrichtenblatt. Diese halb Seite wöchentlich diente als Terminkalender, druckte Reden von Berlinerinnen aus dem Vorstand des Bundes deutscher Frauenvereine, berichtete von Tagungen usw. Herausgeberinnen waren wiederum Alice Neven DuMont und Else Falk, allerdings erledigte die Geschäftsführerin des Stadtverbandes die Auswahl und Redaktion der Artikel. Wie Else Falk gehörte sie zur Generation der Frauen, die das Schreiben und öffentliche Sprechen nicht gewohnt waren. 

Als Else Falk sich 1929 dafür einsetzte, eine Ortsgruppe der Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen (GEDOK) zu gründeten, war Alice Neven DuMont Mitglied des vorbereitenden Arbeitsausschusses.

Ein wenig mischte Alice Neven DuMont auch in der Parteipolitik mit, aber erst in den späteren Jahren der Republik. 1930/31 ließ sich die ‚Gattin‘ auf ein höheres Wahlamt ein: Sie zog als Abgeordnete der DVP in den Preußischen Provinziallandtag, der in Düsseldorf im Ständehaus des preußischen Provinziallandtags (heute Museum K21) tagte. Über ihre Tätigkeit ist, wie über die der meisten dortigen Mitglieder, bis jetzt wenig bis nichts bekannt, eine Forschungslücke.

Als die Nazis im März 1933 in der Kommunalwahl siegten, war das Ende des Stadtverbandes in der alten Form nahe, da in ihm zahlreiche Jüdinnen mitwirkten, nicht zuletzt ihre Tandem-Partnerin Else Falk. Zwei Tage nach der letzten Kommunalwahl betrat die lokale Frauenschaftsführerin nebst einem SA-Mann das Büro des Stadtverbandes in der Hohe Straße 38 und erklärte den Vorstand für abgesetzt.  Da Else Falk von allen Vorstandsämtern zurücktrat, um Schaden vom Verband abzuwenden, erbte Alice als zweite Vorsitzende die Funktionen, übernahm am 22. März 1933 den Vorsitz des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine, in der Folgezeit auch den der GOA (Gaststätten ohne Alkohol), des Vereins für Müttererholung und Mütterschulung, des 5. Wohlfahrtsverbandes, des Berufsfrauenhauses, des Vereins Frauenheim etc.  Alice Neven DuMont blieb in diesen Ämtern bis zur Selbstauflösung des Dachverbandes, des BDF, im Mai 1933. Zwiespältig erscheint heute ihr Agieren bzgl. der Gedok: Am 27. April 1933 trat sie auch in der GEDOK anstelle der Jüdin Else Falk das Amt der ersten Vorsitzenden an. Möglicherwiese erfolgte dies mit Billigung von Else Falk, jedoch war die Bedingung, dass alle Jüdinnen ausgeschlossen wurden, – und das war ein sehr großer Teil, vor allem bei den Musikerinnen. Else Falk sah sich genötigt, einen neuen Künstlerinnenverband zu gründen, die Jüdische Kunstgemeinschaft. –  1938 musste sie ins Exil gehen, völlig verarmt und alt. Nachdem ihr Mann in Brüssel verstorben war wanderte sie weiter nach Brasilien, wo ihr Mann lebte.

Über ´Neven Dumonts weiteres Agieren während der NS-Zeit ist wenig bekannt. Am 26. Juli 1947 versuchte sie, die überlebenden Frauen der Gedok zur Neugründung zusammenzutrommeln. Dieser Anlauf scheiterte. (Konnte sie auch Jüdinnen wiederfinden?) Einige Jahre später, 1953, folgte die Wiedergründung gemeinsam mit Paula Haubrich, Lotte Scheibler, Margarete Zanders, Edith Mendelssohn Bartholdy und Else Lang. Am 2. März 1955 wurde sie nebst Frau Moritz zum Ehrenmitglied der GEDOK Köln bestimmt. 

In hohem Alter erhielt Alice Neven DuMont weitere Ehrungen. 1957 wurde vor Zuhörerinnen aus 56 Frauenorganisationen ihr 80. Geburtstag begangen. Die langjährige Weggefährtin und CDU-Abgeordnete des Stadtrates Sibille Hartmann lobte ihre umfassende Mitarbeit in der Kölner Frauenbewegung, “die Förderung sozialer Frauenarbeit und das staatsbürgerliche Streben und Wirken”. Einige Tage später erhielt sie für ihr sozialpolitisches und kulturelles Engagement das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Zu ihrem 85. Geburtstag am 2. März 1962 feierte die Gedok sie mit einer Schmuckurkunde mit ehrendem Text: “alice neven hat der gedok – und nicht nur ihrer ortsgruppe koeln ! – das leben gerettet! sie uebernahm die leitung der ortsgruppe in den denkbar schweren jahren des 3. reiches,  das alle alten (auch die besten werte) umwarf, und ohne alice nevens’s weise einsicht in das gute schoene, schoene und wertvolle, ihre grosse diplomatische geschicklichkeit, ihr ehrliches bemuehen, der zeit und allen ihr anvertrauten gerecht zu werden, und vor allem ohne die beteiligung eines grossen wethen herzens waere es nicht moeglich gewesen, das gedokschifflein durch die stuerme jener tage ohne havarie hindurchzusteuern.” (Archiv Gedok)

1952 kam Else Falk noch einmal nach Köln, sie hatte Kontakte zu einigen Kölner Wegbeleiterinnen wie auch zu Konrad Adenauer gehalten. Ein Bild zeigt zwei alte Frauen, eventuell sind es wiederum Alice Neven DuMont und Else Falk. 

Am 23. August 1964 starb die Verlegersgattin mit 87 Jahren in Köln und liegt im Familiengrab auf dem Melaten-Friedhof nahe der sog.- Millionenallee begraben (Flur 63 A). das Grab von Else Falk (+  8. Januar 1956) in São Paulo ist unbekannt.

Irene Franken

Zum Weiterlesen:

  • Ellscheid, Rosemarie: Der Stadtverband Kölner Frauenvereine, Köln [1988]
  • Franken, Irene: Frauen in Köln. Der historische Stadtführer, Köln 2008
  • Regenbrecht, Katharina: Alice Neven DuMont 1877-1964, in: „10 Uhr pünktlich Gürzenich”, Münster 1995, S. 264-265
  • Tyrakowski, Marlene: „Die machten aus uns keine Nazi’ssen”. Kölner Frauenbewegung und Nationalsozialismus, in: „10 Uhr pünktlich Gürzenich”, Münster 1995
  • http://www.deutsche-biographie.de/pnd116990015.html.

März 2021 – Auguste (Gussie) Adenauer

Auguste (Gussie) Adenauer (1895 – 1948)

aber ihr wurde eine fundierte Ausbildung verwehrt.  Als Anfang 20-Jährige entschied sie sich, die Stiefmutter  der drei Kinder des verwitweten Politikers Konrad Adenauer zu werden. Sie hat mit dem häufig abwesenden, weil politisch so erfolgreichen Mann die Familie noch  vergrößert. Die elegante Frau hielt sich meist im Hintergund, nur einmal äußerte sie sich öffentlich zur Politik.

Bedingt durch psychische Folter in der NS-Zeit  verlief ihr restliches Leben tragisch.

Gussie Adenauer, geb. Zinnser (1895-1948) © KAS

 Auguste (Gussie) Adenauer

Augustes Vater war der Dermatologe Prof. Dr. Ferdinand Zinsser, der einen Teil seiner Kindheit in den USA verbracht hatte. Über die Mutter Wilhelmine (Minna) Tourelle ist wie so häufig nicht viel bekannt, das Paar war ggf. Cousin und Cousine. Die Familie war protestantisch und lebte in der Lindenthaler Haydnstraße 7-9. Während Bruder Ernst, der ca. acht Jahre jünger war, studieren und Architekt werden konnte, wurde dies der Tochter nicht zugestanden, obwohl seit 1908 in Preußen das Frauenstudium erlaubt war. Immerhin erhielt die begabte Tochter eine fundierte kulturelle Bildung, sie spielte hervorragend Geige.

1911 zogen die Familie Zinsser in die Max-Bruch-Straße Nr. 6, benachbart zum Stadtverordneten Konrad Adenauer, seiner Frau Emma und deren drei Kindern. Die Familien pflegten bald ein freundschaftliches und zwangloses Verhältnis. 

Die neue Frau Adenauer

 Nachdem Emma Adenauer 1916 verstorben war verspürte Konrad Adenauer das Bedürfnis, seinen Kindern bald eine neue Mutter andienen zu können. Gussie Zinsser und Konrad Adenauer verband die Liebe zur Natur, zum Gärtnern und zur Musik, sie schrieben sich zunächst ganz züchtig zahllose Briefe. Der 40-jährige Adenauer verjüngte sich in diesen Monaten äußerlich, was sicher nicht nur politisch motiviert war (Beginn des demokratischen Staates 1918). Vier Jahre nach Emmas Ableben heiratete die 24-jährige Gussie den hochrangigen Kölner Repräsentanten der Stadt und kümmerte sich um die drei Kinder Konrad, Max und Maria, die zwischen sieben und 13 Jahre alt waren. Zuvor war sie zum katholischen Glauben konvertiert, was ihr nach Erinnerung ihrer jüngsten Tochter Libet nicht leicht fiel: „Sie hatte Mühe, sich mit dem starren Geboten zurechtzufinden. Ihre Religiosität war unmittelbarer. Ihre Liebe zu Gott ermöglichte ihr jedoch ein tiefes Verständnis vieler Heiliger.“ (Werhahn, Libet s.u., S. 80) Die Konversion hielt sie nicht davon ab, weiterhin Ideen einer Ökumene anzuhängen.

Unentbehrliche Ratgeberin und Mutter

Ab 1921 folgten fünf Geburten; das erste Kind starb, was sicher nicht leicht zu bewältigen war. Die folgenden vier Kinder überlebten (Paul, Charlotte, Elisabeth/Libet und Georg). Der Ehemann war viel unterwegs und hatte oft Kopfschmerzen, so prägte die Mutter „die häusliche Atmosphäre…, dem heiteren Lebensstil ihres Elternhaus folgend, förderte warmherzig und lebensbejahend ein fröhliches, abwechslungsreiches Familienleben.“ (ebenda) Das Paar tauschte sich über Politik aus und Gussie wurde ihrem Mann eine unentbehrliche Zuhörerin und Ratgeberin; sie teilte seine Erfolge und seine Zweifel, z.B. angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen. Die elegante Frau Adenauer begleitete ihren Mann auch gerne nach Berlin, wo dieser als Mitglied des Staatsrates agierte. Sie nahm Termine wahr egal ob in Bergmannsmontur bei der Fahrt in einen Kohlenschacht oder im feinen Seidenkleid bei der kulturelle Veranstaltung. Die Mutter von sieben Kindern wusste sich zuhause von einer ausgebildeten Kindergärtnerin unterstützt, beide Frauen waren Anhängerin der Pädagogik von Maria Montessori.

Grabstätte von Konrad Adenauer und seinen zwei Ehefrauen nebst dem als Säugling verstorbenen Kind Ferdinand auf dem Waldfriedhof in Rhöndorf, © Die Turmkoop/Irene Franken

 Die Neu-Katholikin wurde zur Bezirksvorsitzenden im Ortsverein Köln des einflussreichen Katholischen Deutschen Frauenbundes gewählt. Die Mitwirkung im Deutschen Roten Kreuz war ein Zeichen nationaler Verbundenheit. 1929 ließ sie sich in den geschäftsführenden Arbeitsausschuss des Frauenbeirates der Kölner Zentrumspartei wählen. Ebenso engagierte sie sich für Künstlerinnen, wurde 1929 Mitgründerin des Frauen-Kunstverbandes Gedok und förderte jüngere Frauen als sog. Kunstfreundin. Diese luden z.B. Musikerinnen oder Rezitatorinnen in ihre repräsentativen Behausungen ein und ermöglichten ihnen Aufführungspraxis oder stellten Kunstobjekte aus. Diese Mitgliedschaft brachte sie in Kontakt mit vielen nichtkonfessionell engagierten Frauen des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine, u.a. mit Else Falk, der bedeutendsten Kölner Frauenrechtlerin der Weimarer Spätzeit, mit der Zionistin Rosa Bodenheimer oder der Sozialdemokratin Dr. Hertha Kraus.

Als die Verhältnisse auf eine Nazi-Diktatur zuliefen, ergriff sie Partei. Am 25.2.1933 unterschrieb sie mit anderen prominenten katholischen Frauen einen Wahlaufruf und legte den Kölner Frauen die Wahl der Liste 4 (Deutsche Zentrumspartei) bei der Reichstags-Wahl am 5.3. und der Kommunalwahl am 12.3. nahe. Der Aufruf sprach sich nicht explizit gegen die Nazis aus, wohl aber „gegen Straßenterror und hemmungslosen Hass.“ Laut der Konrad Adenauer Stiftung erlitt sie dafür „Diffamierungen und Drohungen der Nationalsozialisten.“ Das war vermutlich Gussie Adenauers erste und letzte explizit politische Äußerung.

Leben in Gefahr

Ihr Ehemann wurde von der NSDAP noch im März 1933 seines Amtes enthoben, obwohl er Anfang der 1930er Jahre durchaus offen war für eine Koalition mit der NSDAP. Trotz der erkennbaren Beliebtheit bei vielen Kölner:innen gab es nach seiner unehrenhaften Entlassung kaum öffentliche Solidarisierungen. Konrad und Gussie Adenauer und die Kinder vermieden 1934 durch Wegzug nach Potsdam offene Anfeindungen, Konrad Adenauer hoffte jedoch vergeblich, dort eine neue Anstellung zu finden. 

Im weiteren Verlauf der NS-Diktatur wurde Auguste Adenauer für ihren Mann eine große Stütze. Laut der Freundin des Hauses Dora Pferdmenges gab sie ihm die Kraft, das Leben ohne Amt und im Versteck zu ertragen. Der tatenlose 60-Jährige erwies er sich in dieser Zeit als strenger Patriarch; der Alltag von Gussie und den vier im Haushalt verbliebenen Kindern muss bisweilen hart gewesen sein, da sich Konrad intensiv in das Leben seiner Kinder einmischte, sofern er nicht wegen Verhaftungsdrohungen oder Ausweisungen abwesend war. Als sich keine neue Arbeitsmöglichkeit ergab, beschloss die Familie 1935, nach Rhöndorf im Siebengebirge zu ziehen. Das bald bezogene Wohnhaus, heute ein Museum, hatte Gussies Bruder Ernst entworfen. Mit Gussies Hilfe konnte Konrad Adenauer nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 und der kurzfristigen Inhaftierung auf dem Deutzer Messegelände in den Westerwald fliehen. Dadurch brachte er jedoch seine Familie und vor allem seine Frau in große Bedrängnis. Um auf die Ehefrau des prominenten katholischen Regimegegners Druck auszuüben wurde sie in der Gestapo-Zentrale am Appellhofplatz (EL-DE-Haus) in´haftiert, wo ihr Gewalt angedroht wurde, wenn sie nicht den Aufenthaltsort ihres Mannes preisgebe. Auch wurde in Aussicht gestellt, bei Weigerung die Töchter im Gestapokeller zu inhaftieren. Nach wenigen Tagen verlegten die NS-Schergen sie nach Brauweiler. Die sechszehnjährige Tochter Libet besuchte sie dort und fand eine gebrochene Frau vor: „Sie schaute mich apathisch an. Ihre Augen waren tiefdunkel umschattet. Sie können sie bald wieder haben, sagte man mir. Wir sind ihrem (sic) Vater auf der Spur.“ (Werhahn, S. 86).

Von den Nazis gebrochen

Gussie hatte unter der Drohung gegen die Töchter das Versteck ihres Mannes verraten – und dieser wurde aufgegriffen. Den Tag der Silbernen Hochzeit am 25. September 1944 verbrachte das Paar – unwissend – benachbart im Gestapo-Gefängnis Köln-Brauweiler, aber getrennt in der Frauenabteilung resp. Männerabteilung. Beide erlebten unvergessbare Gräueltaten und mussten dort laut einer Aussage Konrad Adenauers Folterungen anhören.

 Aufgrund ihres hohen moralischen Ethos konnte Auguste Adenauer sich die Preisgabe des Verstecks nicht verzeihen. Sie unternahm in Haft einen Suizidversuch. Diese Handlung, mit der sie die Gebote ihrer Religion vestieß, spiegelt ihre seelische Not wider. Daraufhin wurde sie freigelassen. Sie litt aber noch länger an den Folgen ihrer schweren Tablettenvergiftung.

Auch wenn der Ehemann ihr nie einen Vorwurf machte wurde sie ihres Lebens nicht mehr froh.

Die Entscheidung Konrads, wieder OB von Köln zu werden, trug die Familie mit, seine unehrenhafte Entlassung durch die Briten am 6. Oktober 1945 wegen angeblich unterlassener Pflichterfüllung traf Gussie Adenauer in ihrer psychisch instabilen Situation schwer. Sie erkrankte lebensbedrohlich. 1946 gründete Konrad Adenauer in der Britischen Zone die CDU, Gussie nahm anders als andere katholische Weggefährtinnen wie Christine Teusch keinen aktiven Anteil.

Am 3. März 1948 starb sie qualvoll im Beisein des 72-jährigen Ehemannes und einiger der Kinder mit nur 52 Jahren im Bonner Johanneshospital, – an den Folgen des misslungenen Suizids, wahrscheinlich kam eine Leukämie hinzu, aber sicher spielte auch Verzweiflung eine Rolle bei diesem frühen Tod. Auch die zweite Ehefrau ließ Konrad Adenauer als Witwer zurück. Tochter Libet erinnert sich: „Und unser Vater fiel (…) für mehrere Tage komplett aus. Er schloss sich ein und war für uns überhaupt nicht mehr erreichbar.“ (Werhahn). Diese Trauer erwähnte er später als einen von wenigen privaten Momenten in seinen Memoiren.

Ehrung

1963 wurde im Wenigerbachtal bei Bendorf ein Haus des Katholischen Deutschen Frauenbundes nach Gussie Adenauer benannt, es diente der Müttergenesung. Bundeskanzler Konrad Adenauer kam zur Einweihung am 25. Mai 1963, was wohl auch eine Intention der Namensgebung gewesen war, denn im Gefolge kamen viele geistliche Würdenträger und die Presse. Anneliese Debray begründete die Wahl der Namenspatin mit den Worten “Gussie Adenauer, Gefährtin und Helferin in Notzeiten und Verfolgung, als Bild der Ermutigung für viele Mütter, die täglich mit neuem Leide aus den Großstädten zu uns kommen”.

Irene Franken

Lit. und Links:

  • Werhahn, Libet (zus mit. Marlene Zinken): Im Wechselbad der Geschichte. Gussie Adenauer, in: Der unverstellte Blick. Unsere Mütter (aus)gezeichnet durch die Zeit 1938 bis 1958. Töchter erinnern sich, Opladen/Farmington Hills, Mich. 2008 , S. 80-89
  • Franken, Irene:
  • Gussie Adenauer – Die Frau an seiner Seite. In: Rita Wagner, Kölnisches Stadtmuseum (Hrsg.): Konrad der Große – Die Adenauerzeit in Köln 1917–1933. Nünnerich-Asmus, Mainz 2017, S. 25–27. (Begleitband zur Ausstellung Konrad der Goße im Kölnischen Stadtmuseum).
  • https://www.konrad-adenauer.de/wegbegleiter/a/adenauer-gussi
  • Sack, Birgit: Zwischen religioeser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/19 – 1933, Münster 1998
  • http://www.imsichtfeld.de/adenauerwelt/zuhause/
  • vgl. HAStK Best. 903 Billstein, Heinrich, A 364 Wahlaufruf

Februar 2021 – Maria Mies

Prof. Dr. Maria Mies im Januar 2018 © Kölner Frauengeschichtsverein, Fotografin: Irene Franken

 Immer wieder wird sie von jungen Frauengenerationen entdeckt – die Kölner Wissenschaftskritikerin und Aktivistin von Weltrang. Maria Mies schaffte den Aufstieg von der Eifler Bauerntochter zur Professorin, – eine Beispiel-lose Karriere.  Die Soziologin entwickelte Grundlagen-Diskurse zur Frauenforschung und beschäftigte sich besonders mit den Arbeitsbedingungen der Frauen des Südens. Sie ist bis heute eine der  bekanntesten und international meist vernetzten Kritikerinnen der Globalisierung. Am 9.2. 2021 wird Maria Mies 90 Jahre alt, – Anlass für eine  Würdigung!

Maria Mies wurde am 6.2. 1931 in der Vulkan Eifel geboren; sie war das siebte von zwölf Kindern.  Das Mädchen war sehr wissbegierig und schaffte es als erstes ihres Dorfes, den Besuch einer Höhere Schule durchzusetzen. Sie wurde zunächst – auf Umwegen – Lehrerin für Englisch und Deutsch, dann wurde ihr das Umfeld zu eng und sie zog in die Welt. Die Anregungen aus dieser agrarisch geprägten Kindheit nahm sie jedoch immer mit, u.a. später in ihrer Theorie der Subsistenzperspektive oder in den Titel ihrer Autobiografie: Das Dorf und die Welt.

Freiheitsliebe und Abenteuerlust führten die junge Lehrerin in den 1960er Jahren fünf Jahre lang an ein Goethe-Institut im indischen Pune (früher Poona). Dort unterrichtete sie junge Inder:innen in der deutschen Sprache – und machte erste soziologische Beobachtungen, wie sie in ihrer Autobiografie schildert: „Als ich nach Indien ging, war ich noch total unpolitisch. Im Goethe-Institut in Pune traf ich nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die Deutsch lernen wollen. Was bezweckten die Frauen damit, fragte ich mich. Eine indische Professorin für Anthropologie hat mir vorgeschlagen, eine Umfrage durchzuführen, was ich zuvor noch nie gemacht hatte. Das Ergebnis des Fragebogens ‚Why German?‘, also ‚Warum Deutsch?‘, war wie erwartet, was die Männer betraf: Sie gehen nach Deutschland, um

 Zurück in Deutschland ging sie folgerichtig an die Kölner Universität und forschte bei dem Soziologen Prof. René König zum Patriarchat in Indien und Deutschland. Ihre Dissertation von 1971 trug den Titel „Rollenkonflikte gebildeter indischer Frauen“ (veröffentlicht 1973 unter dem Titel “Indische Frauen zwischen Patriarchat und Chancengleichheit. Rollenkonflikte studierender und berufstätiger Frauen”.).  

Nicht zuletzt als Folge des Studiums in den bewegten Jahren 1968/69/70 wurde sie politische Aktivistin. Zunächst beteiligte sich die Studentin an mehreren Kölner Nachtgebeten in der Antoniterkirche, einer progressiven Form des politisch aufklärenden Gottesdienstes. So war sie am 5. Januar 1971  beim Nachtgebet zum Thema Frauenemanzipation beteiligt, was langfristige Folgen hatte:

„Eine Freundin hatte mich zu der Nachtgebetsgruppe mitgenommen und ich beschloss, dort mitzumachen. Ich war Studentin und trotz meiner Religionskritik noch in der Kirche“, heisst es in ihrer Autobiografie. „Ich wollte diese patriarchalischen Strukturen in einem Politischen Nachtgebet darstellen, kritisieren und zu Veränderungen aufrufen. […] Als Slogan für unser Flugblatt wählten wir einen von uns etwas abgeänderten Satz von Ernst Bloch: ‚Die Frau liegt (immer noch) unten.‘ “ Schon damals hatte sie die Abwertung der Frauenarbeit im Blick: „Der Kern unserer Kritik galt der üblichen familialen Arbeitsteilung: Der Mann ist der ‚Ernährer‘, der das Geld verdient. Die Arbeit der Hausfrau zählt nicht.“

Das Vorbereitungsgremium aus vier Frauen, darunter Dorothee Sölle, sprach sich für ‚männerfreie‘ Gruppen zur Selbstfindung aus. Nach Erlangung des nötigen Selbstbewusstseins könne es gemeinsam mit den Männern weitergehen; die angestrebten Veränderungen würden im Übrigen auch den Mann befreien. 

Diese Utopien wurden in der Tagespresse belächelt, aber von den anwesenden Frauen gut angenommen. Im Anschluss an den Abend, der wegen des Andrangs sofort wiederholt wurde, gründeten sich in Köln VHS-Kurse zu der Thematik, die über Jahrzehnte fortgeführt wurden, sie wurden für unzählige Frauen zum Auslöser von Emanzipationsprozessen. Und es bildete sich die erste lokale Frauengruppe der neuen Frauenbewegung, das Frauenforum Köln e.V.

1971 konnte der weite Begriff Emanzipation Frauen noch zusammenführen. Mit dem Erstarken des autonomen Feminismus und der Frauen in linken Vereinigungen erfolgten die ersten Abspaltungen. So haben sich1972/3 vom Frauenforum bald die Sozialistinnen abspalteten, sie gründeten die Sozialistisch-feministische Aktion (Sofa); Maria Mies war aber in keiner der beiden Gruppen aktiv. Sie bereitete ihre Uni-Karriere vor.

Maria Mies im Sommer 2013 © Kölner Frauengeschichtsverein, Fotografin: Gabriela Schaaf

Von 1974 bis 1977 führte sie im Rahmen eines Lehrauftrages an der Universität Frankfurt Seminare zur „Geschichte der Internationalen Frauenbewegung” durch. Diese Kurse waren von Frankfurter Studentinnen erstritten worden, um einen Lehrstuhl zur Frauenforschung  durchzukämpfen.  Maria Mies übernahm danach einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Köln für Sozialpädagogik an und wandte sich zunehmend feministischen Inhalten zu. Die 1. Internationale UN-Frauenkonferenz in Mexiko 1975 hatte Maria Mies weitere Erkenntnisse – und Fragen verschafft. Sie stellte fest, dass sie kaum etwas über die ‘alte’ Frauenbewegung in Europa, geschweige denn über die Bewegungen in anderen Teilen der Welt wusste, und dass sie dies auch ihren überwiegend weiblichen Studierenden nicht vermitteln konnte. Daraus folgte für sie: Es müssen neue Wissensfelder und neue Formen der Vermittlung her. Zwar sollten es keine Selbsterfahrungsgruppen sein, wie sie aus den USA herübergeschwappt waren, aber Frauenseminare, deren Inhalte praktisch-politisch umgesetzt werden konnten.

Erkannt – getan, sie richtete Frauenseiminare an der FH ein.

„Da war vor allem die Erfahrung der Gewalt: Um diese Zeit war von Erin Pizzey das erste Haus für geprügelte Frauen im Londoner Stadtteil Chiswick errichtet worden. Die Studentinnen beschlossen, auch in Köln ein Haus für geschlagene Frauen zu gründen.“  So war Maria Mies eine der ‘Hebammen’ des ersten Hauses für geschlagene Frauen, das aus der autonomen Frauenbewegung heraus entstand (vorher gab es erst eines des Berliner Senats).

1978 veröffentlichte die Soziologin ihren vielleicht meist rezipierten Text „Postulate der Frauenforschung“, der im deutschsprachigen Raum direkt großes Aufsehen erregte: Die Verfasserin verlangte nicht nur, den ‚subjektiven Faktor‘ der Forschenden offen zu legen, sondern sie forderte Parteilichkeit für Frauen, was gegen das Dogma der (vermeintlichen) wissenschaftlichen Objektivität verstieß. Nicht alle Wissenschaftlerinnen folgten ihr. 

Mies war schon lange Internationalistin, hatte früh begonnen, weltweit Kontakte zu knüpfen. 1979 begründete sie am Institute of Social Studies in Den Haag den Schwerpunkt “Women and Development“. Als Marx-Kritikerin beschrieb sie z.B. 2003, dass der Kapitalismus das Patriarchat nicht aufgehoben habe, was Marx vorausgesagt habe. Der Kapitalismus schaffe immer neue Ungleichheiten. Mies betrachtete Hausarbeit als Basis des Kapitalismus, im Gegensatz zu Marx, der die Lohnarbeit als Basis ansah. Daher folgte sie teilweise Rosa Luxemburg in ihren ökonomischen Abhandlungen, erweiterte diese jedoch um Thesen zur Unterbewertung der Haus- bzw. Reproduktionsarbeit. Die sichtbare Lohnarbeit sei weiß, männlich und in den Ländern des Nordens durch Arbeitsverträge geregelt. so Mies. Nur diese käme in den Berechnungen es Bruttosozialprodukts vor. Darunter läge wie bei einem Eisberg der Hauptteil unsichtbarer Arbeit von weißen und schwarzen Frauen (auch in der Prostitution) und auch bei Männern in sog. McJobs. Unsichtbar sei des weiteren die Arbeit in der sog Subsistenzwirtschaft durch Bäuerinnen/Bauern, die ihre Landwirtschaft zum eigenen Erhalte betrieben (Kleinbauern) oder durch kleine Handwerker:innen, die für den lokalen Markt arbeiten, sodann durch Kolonialisierte.

Eines ihrer bekanntesten Bücher ist der Sammelband Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit (1983) das sie mit den sog. Bielefelderinnen (V. Bennholdt-Thomsen und C. von Werlhof.) herausgab.

Mies entwickelte die These der Hausfrauisierung, die sie später in der Zeit der neoliberalen Globalisierung auf die Männer ausweitete, da auch sie immer weniger auf geschützte Beschäftigungsverhältnisse zählen könnten… 

Nochmals ging sie nach Indien, produzierte eine beeindruckende Studie über Spitzen-Arbeiterinnen, in der sie dargelegte, wie diesen durch Entzug der Kenntnisse und Aufträge von Häkel-Motiven eine erhöhte Ausbeutung der Frauen möglich war: Sie konnten nur noch einzelne kleine Rosetten häkeln und diese selbst nicht mehr verkaufen (Lace Makers of Narsapur. Indian Housewives Produce for the World Market, 1982). Übrigens heiratete sie nach langer Fernbeziehung den indischen Wissenschaftler Saral Sarkar, der seit 1982 mit ihr in Deutschland lebt.

Ihre Forschungsschwerpunkte waren nun Landfrauen in der (wies es damals hieß) Ersten und Dritten Welt, Kapitalismus und Subsistenz, Gentechnik und immer wieder Alternativen zur globalisierten Wirtschaft. Sie publizierte feministische, ökologische und entwicklungspolitische Bücher, die auch ins Englische übersetzt wurden und weltweit Beachtung fanden. Sie folgerte, gerade von den Frauen müsse die Frage kommen, welche Wirtschaft und welche Gesellschaft wir wollten – „was ist möglich auf einem begrenzten Planeten?“ Maria Mies nahm heutige Diskurse wie ‚Es gibt keinen Planet B’ vorweg, forderte ein Zurückfahren des Konsums – heute wird diese Bewegung degrowth genannt, Schrumpfen, – eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform einrichten, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. „Wir sind der Überzeugung, dass die gemeinsamen Werte einer Postwachstumsgesellschaft Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation sein sollten. Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen.“ Sie verstand Subsistenzwirtschaft nicht als Zurück ins Mittelalter, sondern als das Verfolgen eines anderen Ziels beim Wirtschaften: die Wiederherstellung des Lebens; die Grenzen der Natur, auch der eigenen Körperlichkeit, erkennen; Nahrungsproduktion vor Industrieproduktion; den Wachstums Wahn beenden; Fülle und Vielfalt statt Monokultur; lokales Wirtschaften; Gemeingut- und Allmenden-Denken hochschätzen; die Verhinderung der Privatisierung von Wasser usf. 1996 erlebte ihre Broschüre “Die Befreiung vom Konsum”  ihre 2. Auflage.

Ab den 1980ern und damit sehr früh hat sie zur internationalen Vernetzung der globalisierungskritischen Bewegung beigetragen. Mies’ Kritik richtet sich gegen die unzureichende demokratische Kontrolle internationaler Finanz- und Handelsinstitutionen wie die WTO, den IWF und die Weltbank,. Sie gründete in Deutschland das Komitee Widerstand gegen das MAI  (Multilateral Agreement on Investment) mit, das die bundesdeutsche Öffentlichkeit erstmals über länderübergreifende privatwirtschaftliche, Heuschrecken-freundliche Abkommen informierte, die die Herabsenkung aller Standards für ArbeitnehmerInnen und Umwelt beinhalteten und zu deren Verarmung bzw. Zerstörung führen werden. Deren Existenz wurde einer größeren Allgemeinheit jedoch erst durch den Kampf gegen das TTTP bekannt.

Maria Mies gebrauchte auch früh den Begriff des Guten Lebens, – heute gibt es in Kölner Stadtteilen den Tag des guten Lebens! Dabei wird dann gern auf internationale Bewegungen, auf indigene Völker in Bolivien rekurriert, die das Entwicklungsparadigma des Westens in Frage stellen. Diese Ideen des guten Leben zusammen mit Tieren, mit Pflanzen, mit anderen Menschen, mit einer anderen Ethik, wäre auch in Köln zu finden gewesen …

1993 kam die Emeritierung – aber Maria Mies blieb noch lange in der feministischen und globalisierungskritischen Bewegung, zum Beispiel bei Attac Köln, feminist attac etc., aktiv. Jedoch ging die den Weg des gender mainstreamings nicht mit: “Ich bin gegen diese Gleichstellungspolitik. Mit dem, was Männer heutzutage im kapitalistischen Patriarchat machen, will ich nicht gleichgestellt werden. Die Männer verkörpern nicht das ideale Menschenbild für mich. Die Menschen sollten nicht sein, wie die patriarchalen Männer heute sind. Egal in welchem Land. Wir haben in Deutschland eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin. Dadurch wirkt das Land vermeintlich fortschrittlich. Viele Feministinnen denken so. Aber die Politik, die diese beiden betreiben, ist doch dieselbe, sie ist patriarchalisch, sie ist kapitalistisch, sie ist kolonialistisch – wie eh und je. Was geändert werden müsste, ist dieses ganze Bild, die ganze Vorstellung und die ganze Weltanschauung, die den idealen Menschen im Mann sieht. Und das ist eine uralte Geschichte. Das hat nicht jetzt erst angefangen.”

Maria Mies lebt weiterhin mit ihrem Mann in Köln. Sie hat ihren gesamten Vorlass dem Kölner Frauengeschichtsverein übergeben. Das große Konvolut wird von der Archivkollegin Gabriela Schaaf kompetent und kontinuierlich in unserer Datenbank erfasst, um ihn zeitnah für Forschungen zur Verfügung zu stellen.  

Links:

 2020 las Maria Mies für den Kölner Frauengeschichtsverein aus ihrer Autobiografie

Irene Franken, Januar 2021.

App des Studiengang Public History der Uni Köln

– unter Beteiligung des Kölner Frauengeschichtsvereins

Die App „Orte der Demokratie in Köln” – ein virtueller politischer Spaziergang durch Köln – wurde auf Initiative des Vereins EL-DE-Haus e.V. entwickelt.

Die App soll allen Menschen in Köln, Jung und Alt, Schüler*innen und Erwachsenen, Alteingesessenen und Zugezogenen sowie Köln-Besucher*innen einen informativen virtuellen Spaziergang durch die Kölner Freiheits- und Demokratiegeschichte von 1789 bis heute ermöglichen und damit ein Defizit beheben. Denn die demokratischen Traditionen in Deutschland – und damit auch in der Metropole und Millionenstadt Köln – wurden bisher in den Medien nicht ausreichend dargestellt und gewichtet.    

Dieser zentrale Aspekt unserer politischen Kultur wurde, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem ZEIT-Artikel vom 13. März 2019 konstatierte, lange Zeit sträflich vernachlässigt. Steinmeier schrieb: „Ich glaube, unser Blick in die Zukunft hängt auch damit zusammen, wie wir auf die Vergangenheit schauen. [……] Gibt es nicht auch Ereignisse und Vorbilder in unserer Demokratiegeschichte, die uns inspirieren, die Ansporn geben und Mut machen können? […] Ich meine, wir haben unsere Freiheits- und Demokratiegeschichte in unserem Denken über unsere Zukunft zu lange vernachlässigt, und das sollten wir ändern!“ 

 Auch Marianne Birthler, langjährige Leiterin der Stasiunterlagenbehörde, argumentiert in einem Interview zwei Jahre später ähnlich wie Steinmeier: „Die Deutschen haben – vor allem wegen der nationalsozialistischen Katastrophe – besondere Schwierigkeiten, sich auf gute und fortschrittliche Erfahrungen und auf deren Symbole zu beziehen.“    

Diese beiden Feststellungen sind der Ausgangspunkt und das Ziel unseres Kölner Projektes „Orte und Wege der Demokratie in Köln – 1789 bis heute“. Die Beiträge zur App wurden von Studierenden des Fachbereichs Public History am Historischen Institut der Universität zu Köln, in Verantwortung von Jun-Prof.’in’ Christine Gundermann und unter der Leitung von Jens Alvermann erstellt. Wir danken ihnen für ihre fachkundige Leitung und den Studierenden für ihr Engagement, Kreativität sowie die Themenauswahl.    

Aus dem Vorstand des Vereins EL-DE Haus arbeiteten Willi Reiter, Wolfgang Uellenberg-van Dawen und Cornelia Schmerbach mit. Beraten und unterstützt wurden sie von unseren Kooperationspartner*innen. Das sind: Das Kölner Friedensbildungswerk (Roland Schüler), der Kölner Frauengeschichtsverein (Irene Franken), dem Bündnis „Wir stellen uns quer. Kein Rassismus bei uns in Köln“ (Hajo Leib) und das Centrum Schwule Geschichte (Martin Sölle).   

Die verbrecherische, menschenfeindliche und antidemokratische Zeit des Nationalsozialismus in Köln wurde und wird Dank des Kölner NS-Dokumentationszentrums umfassend bearbeitet, in Ausstellungen und Publikationen umfangreich thematisiert und mittels fachkundiger Führungen dem interessierten Publikum, besonders vielen Schulgruppen vermittelt. Nun erfolgt ein weiterer Schritt. Das EL-DE-Haus wird thematisch erweitert und erhält dann den Namen “Haus für Erinnern und Demokratie”. In diesem Kontext steht auch das hier vorgestellte App-Projekt “Orte der Demokratie in Köln”. Wir danken dem ehemaligen Direktor Dr. Werner Jung für seine fachkundige Beratung.    

Für die großzügige Förderung danken wir der Stadt Köln, Amt für Integration und Vielfalt, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und ihrem Programm „Demokratie leben!“ sowie der Kölner Koordinierungsstelle der AWO und der Hans Böckler Stiftung.

Abschließend: Was verstehen wir unter dem Begriff „Demokratie“? Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, sagt dazu: „Die Demokratie ist keine Staatsform, die von der Eintracht ihrer Bevölkerung lebt. Sie lebt davon, dass sie Verfahren kennt, mit denen man Konflikte löst. Auch wenn es uns schwerfällt.“ 

Die App erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie könnte noch mit vielen Personen und Aspekten aus der Kölner Geschichte ergänzt werden.

Download: Die App „Orte der Demokratie in Köln“ ist ab dem 19. Januar 2022 für iOS und Android verfügbar unter rebrand.ly/OrteDerDemokratie
 

Für den Vorstand  und Beirat des Vereins EL-DE Haus Willi Reiter,  Martin Sölle; Claudia Wörmann Adam
Kontakt:  Dieter Maretzky, EL-DE-Haus@web.de, mobil 0172 93 33290; Martin Sölle (v.i.S.d.P.), mobil 0171 8995205, Email:  EL-DE-Haus@web.de

Stand: 10.01.2022 

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November 2020 – Marlis Bredehorst

„Ich wollte ja was bewegen, mitgestalten.“

Marlis Bredehorst (* 1956) war eine feministische, offen lesbische Politikerin (Bündnis 90/Die Grünen), Verwaltungsfrau, Wintersportlerin und Musikerliebhaberin. Sie starb am 11.10.2020 auf einer Palliativstation und wurde auf einer Feier, bei der die überwiegende Mehrheit der Trauernden draußen zuhörte, unter großer Anteilnahme verabschiedet. Menschen aus den verschiedenen Lebensabschnitten waren versammelt: Aus der der Kölner LGTIQ-Szene, der Partei die Grünen, und nicht zuletzt aus der Verwaltung und Politik, allen voran Frau OB Reker. 

Marlis Bredehorst wurde am 3. September 1956 in Hamburg geboren, von ihrem Naturell her war sie aber durchaus keine steife Norddeutsche. Nach dem Abitur 1974 studierte sie an der Universität Hamburg Rechtswissenschaft und schloss es mit den üblichen Juristischen Staatsprüfungen ab, ‚natürlich‘ mit Prädikatsexamen. Ab 1976/77 hörte sie parallel Vorlesungen in (angewandter) Soziologie und machte 1981 einen Abschluss als Diplom-Sozialpädagogin, 1985 als Diplomsoziologin.

Marlis Bredehorst, © Eli Wolf

Nach dem Referendariat beim Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg übernahm sie ihre erste Stelle mit politischem Impetus: Sie wurde Personalrätin für ReferendarInnen. 1988 trat die Juristin in den Staatsdienst ein und war zunächst in der Hamburger Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Hamburg – Amt für Arbeitsschutz tätig, wechselte dann innerhalb der Behörde auf den Posten der stellvertretenden Leiterin der Rechtsabteilung. Wiederum war ihr ein Job zu langweilig; so gab sie Lehrveranstaltungen an der Universität Hamburg, an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung Hamburg sowie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg im Studiengang Pflege und Gesundheit. 

In ihrer Freizeit pflegte sie mehrere Hobbies: Sie engagierte sich für Frauenmusik und beteiligte sich maßgeblich am Aufbau des Frauenmusikzentrums Hamburg. Seit 1984 organisierte sie darüber hinaus die 1. Norddeutsche Frauenmusikwoche in Lüneburg mit: „Acht Frauen aus Köln, Oldenburg, Lüneburg und Hamburg – Sonja Griefahn, Christine Hörmann, Nema Heiburg, Katrin Sdun, Lavenda Schaff, Marlis Bredehorst, Sigrid Poepping, Ele Grimm – gründeten 1984 den Verein Frauen machen Musik e.V.” (Vgl. ddf). Auch war sie an der Herausgabe des Rundbriefes Frauen machen Musik beteiligt. Dieses Engagement ebbte mit dem Umzug ins Rheinland ab, aber nicht vollständig: Sie trat hier als Flötistin auf, u.a. bei zwei Veranstaltungen in Köln zu Dorothee Sölle. Ihre CD-Sammlung vor allem mit Frauenmusik war legendär. Ein weiteres Hobby waren Frauen-Ski-Reisen, hier bot sich die sportliche Frau als Skilehrerin an. Das Vergnügen blieb ihr lange erhalten.

1995 ging sie zu ihrer ersten Versicherung, wurde Geschäftsführerin einer Unfallversicherungsträger des öffentlichen Dienstes. Dann wagte sie den Sprung ins Rheinland. 1998 wurde Marlis Bredehorst Direktorin und Geschäftsführerin beim Rheinischen Gemeindeunfallversicherungsverband Düsseldorf. Sie zog jedoch nach Köln. Ihr Bekenntnis, das Rheinland sei zwar nicht der schönste, aber der beste Ort, um in Deutschland zu leben, klingt glaubhaft. (Vgl. Interview). Sie fand schnell intensive Kontakte in der Frauen-/Lesbenszene, begeisterte sich auch – ganz unprotestantisch – für den alternativen Karneval. 

Marlis Bredehorst, © Irene Franken

2003 wurde die Juristin mit Verwaltungserfahrung Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen und bald darauf wurde sie auf Vorschlag der Grünen Beigeordnete der Stadt Köln. Zunächst arbeitete sie als Dezernatsleiterin für Soziales und Integration. Sie verantwortete die Bereiche Soziales, Gesundheit, Wohnen, SeniorInnen, Inklusion / Menschen mit Behinderungen, Integration, LSBT usw. und engagierte sich u.a. für Frauenprojekte wie Frauen gegen Erwerbslosigkeit oder lesbisch-schwule Projekte wie das Rubicon. Die erste Grüne Beigeordnete Kölns rief die Stadtarbeitsgemeinschaft Lesben, Schwule , Transgender ins Leben, die als kommunale Fachstelle bis heute Querschnittsaufgaben verantwortet. Egal ob Förderung lesbisch-schwuler Senior:innenarbeit im Rubicon oder die Erstellung eines Landesaktionsplanes gegen Homo- und Transphobie in NRW oder die Realisierung des bundesweit ersten queeren Wohnprojekts “villa anders” – Marlis Bredehorst war dabei. Zudem kümmerte sie sich als Integrationsdezernentin um den Moscheebau und wies darauf hin, dass die Protestant:innen in Köln zwar erst seit 200 Jahren eigene Kirchen haben dürften… solange solle es aber bei den Muslimen nicht dauern. (vgl. 2007 Christoph Driessen).

Später kam das Ressort Umwelt hinzu mit Themen wie Arbeitssicherheit, Arbeitsmedizin – und leider auch dem Einsturz des Stadtarchivs.

Getragen wurde ihre unfassbare Aktivität von einem liebevollen Privatleben. 

„Es war auf einer Geburtstagsfeier, als sich die Blicke von Marlis Bredehorst und Eli Wolf ineinander verfingen: ‘Ich war sofort verliebt, denn auf einmal stimmte alles. Wir mochten uns – da störte nichts.’ “  Was auch beim öffentliche-rechtlichen Fernsehen des SWR wie Boulevard klingt, spiegelt eine große Liebesgeschichte. Ihre Bindung mit der protestantischen frauenbewegten Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Eli Wolf führte 2002 zur Verpartnerung. Die Boulevardpresse berichtete das erste Mal. 2006 ließen sich beide in Frankfurt segnen. Eli Wolf folgte Marlis Bredehorst nach Köln, das Paar bekam zwei Kinder. Nach der rechtlichen ‚Erlaubnis‘ folgte dann 2017 die Heirat. Wieder gab es Homestories. Das Outing und das Öffentlichmachen der lesbischen Mutterschaft waren dabei pragmatische, bewusste Schritte, um die Texte der Boulevardpresse zumindest ansatzweise zu steuern. Gerade ihr öffentliches Coming-out als lesbische (Ko-)Mutter machte sie bundesweit bekannt, es gab einen kleinen Hype.  Nun beschäftigte sie sich stark mit dem Thema Regenbogenfamilien, ging auch selbst zu Treffen solcher Gruppen.

Dabei kann die langanhaltende Bindung zu einer Pfarrerin zunächst als ungewöhnlich gelten: Marlis Bredehorst war im Alter von 26 Jahren in Hamburg aus der Evangelischen Kirche ausgetreten, weil diese ihr zu staatsnah und zu wenig auf der Seite der Benachteiligten war. Aber der Einfluss der Partnerin wirkte in der Tiefe: Mit 46 Jahren trat die lebenslustige Frau wieder in die Evangelische Kirche ein, wurde Mitglied im Presbyterium der Evangelischen Gemeinde Köln und später sogar Mitglied im Kreissynodalvorstand des Kirchenkreises Köln-Mitte und der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Nach dem nordrheinwestfälischen Wahlsieg des rot-grünen Bündnisses im Juli 2010 ernannte SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sie zur Staatssekretärin im Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, geleitet von Barbara Steffens. Hier engagierte sich Staatssekretärin Bredehorst für Jugendprojekte wie „SchLAu“-ein Projekt zum Abbau von Vorurteilen gegenüber homosexuellen Jugendlichen, bei dem Ehrenamtler:innen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen über eigene Erfahrungen als Schwule und Lesben berichten. Auch hier gab es ein breites Themenspektrum: Mal hob sie die Bedeutung von Architektinnen hervor (Künstlerinnenpreis 2010 in Düsseldorf), mal kümmerte sie sich um die medizinische Versorgung von Wohnungslosen, dann wieder um die gesellschaftliche Teilhabe von älteren Menschen mit Migrationshintergrund. Sie wirkte mit bei der grenzüberschreitenden Vernetzung von 123 deutschen und niederländischen Krankenhäusern, deren Sin gerade unter Coronabedingungen evident ist, und versuchte, Patient:innensicherheit und Infektionsschutz zu verbessern. Auch das Thema Geschlechterdifferenzierung in der Medizin gehörte zu ihrem Portfolio. 

Ende 2013 schied Bredehorst aufgrund von Differenzen mit Ministerin Steffens aus dem Landesdienst aus und wurde mit 57 Jahren in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Als Grund wurde ein gestörtes Vertrauensverhältnis genannt.

Sie gab nun wieder nebenamtlich Lehrveranstaltungen an einer Fachhochschule. Zunehmend engagierte sich die Juristin in ihrer evangelischen Kirchengemeinde und in der Partei Bündnis 90/Die Grünen. In der Kirche setzte sie sich z.B. für eine geschlechtergerechte liturgische Sprache ein. „In der Bibel ist keine Rede von einem männlichen beziehungsweise weiblichen Gott – wir sollen uns ja schließlich kein Bildnis schaffen. Es macht aber etwas mit einem Gläubigen, der Gott als ,Herr‘ anspricht“, ist die Kölnerin überzeugt. Hier könne und solle die Kirchenleitung Einfluss nehmen .  „Ich engagiere mich für eine echte Gleichberechtigung innerhalb der Rheinischen Kirche. Es gibt so viele fähige Frauen. Die müssen wir dazu holen.“

Die Kirche im Rheinland sah sie zwar als fortschrittlich an, was die Arbeit mit Flüchtlingen, die Gender-Frage und die Gleichstellung der Frauen betrifft. Aber, so betonte sie: „Das muss alles viel mehr in die Praxis umgesetzt werden. Das Gleichstellungsgesetz zum Beispiel ist ja da. Wir müssen es nun konsequent umsetzen.“ Auch als sie schon länger schwer erkrankt war, übte sie das kirchliche Ehrenamt noch aus, – bis zum Mai 2020.

Zu den GRÜNEN hat sie – in ihren eigenen Worten – ihre Lust am „Weltverbessern“ gebracht…“ (Nachruf) Von 2014 bis 2016 war Bredehorst Kreisvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Köln. Im Nachruf wird ihre Bedeutung für die lokale Parteiarbeit hervorgehoben: „Als Vorsitzende war sie maßgeblich an der ersten Grün-unterstützten Kandidatur von Henriette Reker und dem Schwarz-Grünen Kooperationsbündnis auf Ratsebene beteiligt. Als kritische Juristin, langjähriger Teil der autonomen Frauenbewegung und offen lesbisch lebende Frau war Marlis Bredehorst nicht nur eine Vorkämpferin für Grüne Themen, sondern auch ein Vorbild und eine Motivation für andere.” 

Das Amt der Kreisvorsitzenden hat Marlis Bredehorst als eine schöne Möglichkeit gesehen, den sie immer unterstützenden GRÜNEN etwas zurückzugeben.

 Noch Ende Juli 2020 gab die feministisch engagierte Grünen-Politikerin dem Kölner Frauengeschichtsverein ein Interview für das „Zeitzeuginnen-Projekt“. Bald ist sie auf unserem youtube-Kanal zu erleben als die zugewandte, starke Frau, offen und kämpferisch und als eine Frau, die auf beeindruckende Weise mit sich im Reinen zu sein scheint. Das Interview führte die Journalistin Monika Mengel, die in einem früheren Leben Sängerin der Berliner Rockband „Flying Lesbians“ war und mit Marlis Bredehorst an die wilden Zeiten der Frauenrockmusik in den 1970 und `80er Jahren parlieren konnte.

Henriette Reker erinnerte in ihrem Nachruf ihr Engagament für gleiche Rechte für Lesben und Schwule. Marlis Bredehorst habe sich früh und sehr engagiert für die “Ehe für alle” eingesetzt. “Es hat sich was geändert”, sagte Reker zuletzt. “Es macht mich stolz, dass meine Frau und ich und unsere Kinder Teil davon sind.”

Marlis Bredehorst bleibt in Erinnerung nicht zuletzt wegen ihrer Gelassenheit und Zuversicht. In vielen Nachrufen wird ihr Humor, ihr breites lautes Lachen betont. Sie war ein selten hoffnungsvoller Mensch. Bis zuletzt nahm sie sich Projekte vor, die sie noch erledigen wollte. Wie sagt sie am Ende des Interviews auf die Frage, ob sie ein Fazit ziehen könne aus ihrem Leben, das in allen Phasen, auch im Privaten, immer politisch war? „Ich bedauere sehr, dass ich unsere Kinder nicht aufwachsen sehen kann. Aber ansonsten bin ich mit meinem Leben total zufrieden. Ich habe viel erreicht.“

Wenn auch an einem Freitag, dem Tag der Freya/Venus geboren, so passt es, dass sie an einem Sonntag verstarb. Am 11. Oktober 2020 erlag sie ihrer Krankheit im Alter von 64 Jahren und wurde am 20. Oktober 2020 auf dem Kölner Südfriedhof beigesetzt.  Viele Organisationen, deren Interessen sie vertreten hatte und die sie kannten, äußerten Verlust Gefühle und ehrten sie. 

Henriette Reker äußerte: Ich habe Marlis Bredehorst als eine starke Persönlichkeit und stets den schwächeren Menschen zugewandte Frau erlebt.

September 2020 – Angelika Hoerle

Die avantgardistische Malerin Angelika Hoerle (1899-1923)

Angelika Hoerle, geborene Fick (20. November 1899) rückte lange nur über Bande, nämlich über ihre männlichen Mitkünstler, in den Fokus der Kunstgeschichte: den Bruder Wilhelm Fick, den Ehemann Heinrich Hoerle, die Freunde Jankel Adler, Max Ernst, Anton Räderscheidt, Franz Seiwert und viele andere. Ihre Kunstwerke galten lange als verschollen. Nur wenige Menschen, die sich mit der DADA-Szene und der jungen Kunstszene der Weimarer Republik befassten, kannten sie.

 Als die Kanadische Großnichte Angelika (!) Littlefield 1967 in Köln den Gartenschuppen ihres Vaters Willy Fick aufräumte, fand sie einen größeren Bilderbestand und nahm ihn in ihre Heimatstadt Toronto mit, ohne zu wissen, wer die Werke produziert hatte. Ein französischer Kunsthistoriker eröffnete Littlefield die Urheberin und ihren Kontext. Sie organisierte 90 Jahre nach dem Entstehen der Bilder eine erste Ausstellung in Ontario, die später auch in Köln zu sehen war. Erst mit diesen Ausstellungen erhielt die „Meisterin des Dada“, wie eine zeitgenössische Zeitung sie titulierte, wieder größere Aufmerksamkeit und wurde in die Kunstgeschichte eingeschrieben.

Angelika war Tochter des Möbelschreiners Richard A. M. Fick und der Anna Maria geb. Kraft. Sie hatte drei Geschwister (Maria, Richard und Willy) und lebte mit der kunstbegeisterten Familie in der Kölner Nordstadt – am Krefelder Wall 16. In der Familie wurde musiziert und politisch diskutiert. Der Vater war SPD-Anhänger, die Mutter repräsentierte zwar das traditionelle Rollenbild mit Haushalt und Kindererziehung, konnte sich aber „durchaus über manch soziale Ungerechtigkeit [ereifern] und lud daher samt Ehemann Richard kontinuierlich zu gewerkschaftlich inspirierten Diskussionsabenden ins bescheiden möblierte Eigenheim. “ (zit. nach Fembio.)

Bei den Kindern stand bald die Bildende Kunst im Fokus: Die Malerinnen Olga Oppenheimer und Emmy Worringer hatten 1911 mit dem Gereonsclub in der Gereonstraße einen avantgardistischen Kunstraum geschaffen, in dem Franz Marc, Paul Klee, Robert Delauny und die Gastgerinnen selbst ausstellten. Ein international rezipiertes Großereignis war die Sonderbund-Ausstellung von 1912. Auch das mit dem bürgerlichen Stadverband Kölner Frauenvereine geschaffene „Haus der Frau“ auf der Werkbund-Ausstellung von 1914 imponierter ihr, nicht zuletzt die Skulpturen der Bildhauerin Milly Seeger. Diese Kunsterlebnisse bewirkten, dass die zwölfjährige „schöne, großgewachsene Tochter“ beschloss, Künstlerin zu werden. (Fembio)

Mädchen wurden jedoch noch nicht zu Kunstakademien zugelassen. Der Berufswunsch der Tochter, dem sie an Privatschulen hätte folgen können, wurde boykottiert. So wählte sie nach der Schulzeit 1915 den Beruf als Modistin, wo sie kunsthandwerklich kreativ sein konnte. Marta Hegemann, eine fünf Jahre ältere Freundin, hat ihr 1915 die Lehrstelle organisiert, Angelika lernte u.a. Hüte zu machen, ein später häufiges Motiv auf ihren Bildern – und ein Markenzeichen ihres modischen Stils. Marta unterstützte Angelika Fick, die keinen Zeichenunterricht erhalten durfte, auch auf anderen Gebieten in ihrer künstlerischen Weiterentwicklung.

Wie viele junge Frauen war Angelika Gegnerin des Ersten Weltkriegs, dessen ‚moderne‘ Waffentechniken erstmals Massentötungen bewirkte, auch ihr Bruder Richard kehrte unheilbar verwundet aus dem Krieg zurück. Enttäuscht von der SPD wandte sie sich kurzzeitig der USPD zu, las Texte von Clara Zetkin und Rosa Luxemburg und unterstützte die USPD-Zeitung ‚Sozialistische Republik‘, die Konfrontation mit dem Nachkriegselend erweckten den Wunsch, durch Kunst zu Gunsten des Proletariats aktiv zu werden. Ihr politischstes Werk waren zwei Linolschnitte für die Mappe »Lebendige« (1919), die ermordeten, linken AktivistInnen gewidmet war. Sie erstellte ein Portrait des Mitglieds der Räterepublik Leviné und des pazifistischen Sozialisten Jaurès. Auch wenn sie sich der Kölner ‚Gesellschaft der Künste‘ anschloss, einem Zusammenschluss, der sich für die Demokratisierung des Kulturbetriebes engagierte, war sie keine genuin politische Künstlerin wie Käthe Kollwitz. Das Scheitern der Novemberrevolution und damit die kurze Utopie der Räterepublik werden sie enttäuscht, der Erhalt des Wahlrechts erfreut haben.

1919 finden wir sie im Kreis der Kölner DadaIstinnen um Johannes Theodor Baargeld, Max Ernst, dessen Frau Luise Straus-Ernst, Franz Wilhelm Seiwert, Anton Räderscheidt und anderen. Hans Arp hatte über Ernst und J Baargeld die Ideen der in Zürich gegründete dadaistische Bewegung nach Köln gebracht. Ein Anhänger war der Maler Heinrich Hoerle(1895–1936), den Angelika seit Ende 1916 kannte – auch er eher Autodidakt. Die enge Freundschaft fand bei den Eltern keine Gegenliebe, der Vater charakterisierte Hoerle als weltfremden rechthaberischen Taugenichts und unzuverlässigen Ernährer. Dennoch heirateten sie im Juni 1919. Die Heirat bewirkte den Bruch mit dem Vater, der angeblich äußerte: „Ich habe keine Tochter mehr“ (was war mit der Ältesten Maria?).

Angelika und Heinrich Hoerle stellten 1919 in der Dada-Ausstellung “Sektion D” im Kölnischen Kunstverein aus. Gab es an anderen DADA-Standorten keine Frauen, so waren es in Köln gleich drei, da sich neben Hoerle-Fick und Martha Hegemann auch Luise Straus-Ernst mit Kunstwerken beteiligte. Angelika erhielt große Aufmerksamkeit. Der Katalog zeigte ihr Werk “Reiterin” (1919) ganzseitig – es gilt als Persiflage auf die vom Kölnischen Kunstverein angekaufte bronzene Amazone des Müncheners Franz Stuck. Die drei kreativen Frauen sahen sich letztlich mit einem Männerbund konfrontiert, alle drei wurden bald von ihren Partnern betrogen und verlassen. Angelika gilt als Sprachrohr der Frauen.

 Mit Heinrich bezog Angelika eine Dachgeschosswohnung in der Bachemer Straße 243 in Köln-Lindenthal, die „DADAheim“ genannt wurde. Obwohl dort oft Mangel herrschte, empfingen sie gerne Gäste. Um der finanziellen Not abzuhelfen wurden z.B. – gemeinsam mit Heinrich Hoerle – Tapeten- und Krawattenmuster auf den Markt gebracht. Ggf. hat auch ihre Wahl von Bleistiftzeichnungen mit fehlendem Geld für Ölmalerei und Leinwände zu tun?

Die Ehefrau hatte zunehmend Erfolg: Eine US-amerikanische Sammlerin, Katherine Dreier, kaufte 1922 drei Bilder für die Yale University Art Gallery an, sie sind noch heute im Besitz der dortigen Société Anonyme Collection. Als das Ehepaar 1920 den Schloemilch-Verlag startete, bei dem Baargeld und Ernst die internationale dadaistische Zeitschrift Schammade herausgaben, wählten diese eines von Angelikas Werken als Coverfoto der Erstausgabe. Auch durch andere Zeichen ist die Wertschätzung durch Max Ernst für ihre zunehmend phantastischen Motive belegt. Weitere Beiträger der internationalen Zeitschrift waren z.B. André Breton, Paul Eluard, Francis Picabia, und Tristan Tzara. Katherine Dreier prägte auch das kürzlich als Buchtitel verwendete ikonische ‚Komet des Kölner Dada’, was ihre künstlerische Schwerpunktsetzung jedoch nicht trifft. Ihre Bleistiftzeichnungen und Druckgrafiken changierten zwischen Karikaturen, Dada, und frühem Surrealismus. „Bereits um 1921, d.h. knapp drei Jahre bevor André Breton das »Manifest des Surrealismus« (1924) niederschrieb, stöberte Hoerle bildmotivisch in der Welt der Träume und des Unbewussten. Sie paarte, addierte und sezierte oder verschmolz Objekte, Körperteile und Landschaften zu völlig neuartigen Gebilden.” (fembio) Aber auch die sozialdemokratische Rheinische Zeitung nannte sie Anfang 1920 ‚Deutsche Meisterin der Dadaisten‘.Eine weitere Künstlergruppe , zu der sie Zugang fand, war „Stupid“, die eine stärker regionale und politische Ausrichtung hatte. Stupid wollte die Kunst aus ihrem immer noch vorhandenen Elfenbeinturm lösen und dem Volk nahebringen, der Stil was stärker sozialkritisch-konstruktivistisch. DADA erschien dagegen eher antibürgerlich, als an die Massen adressiert. Im Fokus von Stupid stand das Ehepaar Hegemann-Räderscheidt, das seine neue Wohnung am Hildeboldplatz 9 auch als Galerie anbot. Ab dieser Zeit wurde die Freundschaft mit Marta Hegemann noch enger.

Im Katalog stupid 1 vom November 1920 sind Abbildungen eines Kinderbuchs abc-Bilderbuch mit puristischen Linolschnitten zu sehen, von denen sie leider nur vier fertigstellen konnte. Sie wollte ihren künstlerischen Stil auf eine größtmögliche Einfachheit reduzieren. Das Motiv Fisch in Konservendose für den Buchstaben F in erhielt ikonischen Charakter. Zudem lässt sich im Katalog das heute einzig bekannte – düstere – Landschaftsbild Angelika Hoerles betrachten.

1922 erkrankte sie an Tuberkulose. Sie wandte sich in ihrem letzten Schaffensjahr zunehmend dem Thema Frauen(emanzipation) zu. Ihr Mann, der die Ehebande eher freizügig definiert hatte, verließ sie, sei es aus Angst vor Ansteckung und Tod (Hoerles Vater und seine Schwester Marie waren an Tbc gestorben)? – Oder weil er sie nicht pflegen wollte? – Oder, wie andere vermuten, weil er neidisch auf ihre Erfolge war? Er fing an zu trinken, ließ sie mittellos zurück und kam nie mehr zu Besuch. Marta Hegemann dagegen, die Angelika seit 10 Jahren verehrte, verharrte treu an ihrer Seite. Die junge Mutter und auch ihr Mann Anton Raederscheidt waren die treuesten UnterstützerInnen der letzten Monate.

Als ihr Zustand sich immer mehr verschlechterte vermittelte Bruder Willy die Rückkehr zur Familie an den Krefelder Wall und die Versöhnung. Angelika Hoerle starb am 9. September 1923 mit nicht einmal 24 Jahren. Marta, die sie DADA Angelika genannt hatte,  widmete der Freundin postum das einzige bekannte Portrait ihrer Hand: Ein Aquarell mit einer jungen Frau, die eine Katze an der Leine führt. Auch andere Künstler malten oder zeichneten sie.

Zur Beisetzung auf dem Kölner Westfriedhof erschienen nur drei bis vier FreundInnen, der Ehemann war nicht darunter. Es gibt nur ein Foto, das den ungefähren Standort des Grabes zeigt. Es ist abgeräumt. Marta Hegemann hatte das Gefühl, die Welt würde stillstehen. „Keiner, der sie kannte, vergisst sie“, schrieb sie später. Sie ahnte nicht, dass ihre Freundinnen und sie an die Peripherie verbannt wurden, als Hintergrund für die hochgehandelten Künstlerpersönlichkeiten Max Ernst, Anton Räderscheidt und -weniger bekannt – auch Heinrich Hoerle. Erst die 20-jährige Angelika Littlefield rettete das schmale Oeuvre von 35 Werken des einstmaligen Kölner ‚Kometen‘ und rettete ihn vor dem völligen Verglühen. Mittlerweile kann  das Erinnern an sie in Kunstbänden, einem Roman, einem Bühnenstück (Angelika’s Promise), Podcasts und einem Musikstück aufgerufen werden.

Irene Franken

Literatur:

  •  1990 Michael Euler-Schmidt (Hg.): Marta Hegemann (1894-1970). Leben und Werk. Köln. Kölnisches Stadtmuseum.
  •  1995 Jörgen Schäfer, Angela Merte, Dada in Köln, Bibliographien zur Literatur- und Mediengeschichte, Bd. 3, Peter Lang, Frankfurt/M., Berlin  (Bibliographien zur Literatur- und Mediengeschichte, 3).
  • 2009 Catherine de Zegher, Angelika Littlefield, Angelika Hoerle: The comet of Cologne Dada, Art Gallery of Ontario, Toronto, König, Köln, Gallery of Ontario, deutsch: 2009/10 Museum Ludwig Köln, Angelika Hoerle: Komet der Kölner Avantgarde.
  •  2015 Ina Boesch, Ralf Burmeister, Irene Gammel  et al. (Hg.): Die Dada. Wie Frauen Dada prägten. Zürich. Scheidegger & Spiess.

Links:

  • https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Angelika_Hoerle?uselang=de
  • http://www.angielittlefield.com/AngelikaHoerle.html
  • http://www.angielittlefield.com/AngelikaHoerle/Fate3Angelikas.html und werke http://www.angielittlefield.com/MuseumLudwig.html
  • https://soundcloud.com/agotoronto/family-secrets-an-inside-view-of-the-short-life-of-angelika-hoerle Art Gallery of Ontario Angelika Littlefield – Family Secrets: An Inside View of the Short Life of Angelika Hoerle , auch auf https://ago.ca/events/family-secrets-inside-view-short-life-
  • Museum Ontario AGO https://ago.ca/exhibitions/angelika-hoerle-comet-cologne-dada
  • The New Woman: Angelika and Women’s Rights https://ago.ca/exhibitions/angelika-hoerle-comet-cologne-dada “The New Woman: Angelika and Women’s Rights”. Summer at the AGO: Dada Podcasts (Audio). Art Gallery of Ontario. Retrieved 18 October 2014.
  • https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/angelika-hoerle/

Juli 2020 – Christa Päffgen

Christa Päffgen – NICO (16. 10.1938 – 18.07. 1988 )
Nico – Auftritt in der Lampeter University – November 1985, © GenMed64 Flickr, jetzt Wikipedia

In der neuen Serie Little Fires Everywhere ist mehrmals die Stimme der Sängerin Nico zu hören – sie ist eine der international  berühmtesten ‚Kölnerinnen‘ überhaupt und in einem Juli unter dramatischen Umständen verstorben. Grund für ihre anhaltende Bekanntheit ist zunächst ihre sängerische Mitwirkung an drei Songs eines Kultalbums, des berühmten Bananen-Albums, das Andy Warhol 1967 produziert hatte (The Velvet Underground & Nico). Aber geliebt wird sie für andere Songs.

Aus der Kindheit sind nur wenige Daten verbürgt: Christa Päffgen wurde am 16. Oktober 1938 in Köln geboren, sie war Tochter einer Schneiderin Margarete Schulz und des Soldaten Wilhelm Päffgen, der dem gleichnamigen Brauerei-Clan entstammte. Die wohlhabende Familie soll ihn genötigt haben, die ‚Mesalliance‘, die in eine Ehe gemündet hatte, zu annullieren, allerdings behielt die Tochter seinen Nachnamen, was gegen eine legale Trennung spricht. Dass sie sich jedoch mit ihrer Vatersfamilie nicht wohlfühlte drückt ein späteres selbstironisches Zitat aus: „Das Bier liegt mir im Blut. Ich liebe Bier. Solange es mich nicht an meine Herkunft erinnert.“

 Die Mutter migrierte nach einigen Jahren aus dem bombardierten Köln, u.a. lebte die kleine Familie in Berlin bei Grete Schulz` Schwester und Neffen. Der Vater verschwand im Nebel der Geschichte, ggf. wurde er nach einer Kriegsverletzung von den Nazis als lebensunwert ermordet. Nicht zufällig kaschierte Nico öfter ihre deutsche Herkunft.

 Die junge Nico war schön, sie war berückend, sie war über 1,75 m groß, blond und hatte ‚eisblaue‘ Augen. So wurde sie in ihren Teenagerjahren das erste deutsche Supermodel. Paris war nach Laufstegerfahrungen in Berlin die erste internationale Station, Dior-Fotograf Willy Maywald förderte sie. Hier nannte sie sich Nico und verkehrte in den späten 1950ern mit ExistentialistInnen und Beatniks, sie hörte schrägen Jazz, – die glatte Modewelt war ihr schnell gleichgültig geworden. Rom, London und New York waren weitere Arbeitsorte, ein Vertrag mit der New Yorker Agentur Eileen Ford war der Höhepunkt einer Modelkarriere.

Nico kam in diesem Milieu erstmals in Kontakt mit Drogen: Um schlank und wach zu bleiben, nahm sie wie andere Models Aufputschtabletten, spätere folgte Härteres. In Rom erhielt sie die Chance, in dem berühmten Film La Dolce Vita von Federico Fellini mitzuwirken, und sich selbst zu spielen. Die Schauspielerei faszinierte sie, sie nahm – zeitgleich mit Marilyn Monroe – Kurse im berühmten Actors Studio von Lee Strasberg. Aber eine Nacht mit Alain Delon (damals Partner von Romy Schneider) hatte eine Schwangerschaft zur Folge, am 11. August 1962 kam Sohn Aaron (Ari) zur Welt. Nico zog es ins Swinging London, die Mutter betreute das Kind, nach deren Erkrankung lebte Nico mit dem Jungen zusammen. Allerdings sank ihr Stern als Model, jüngere Frauen wie Twiggy repräsentierten das angesagte Frauenbild, sie war gezwungen, für Reklame zu posieren. Dennoch blieb sie ein It-Girl avant-la-lettre, lernte alle wichtigen Rockmusiker in GB und USA kennen – und deren jeweiligen Drogen.

1965 nahm sie mit Hilfe des damaligen Rolling Stones Managers ihre erste Single auf,  I’m Not Sayin’ – wichtiger war das Musikvideo in Schwarzweiß, das die Sängerin auf den Straßen von London und am Themse-Ufer zeigt; es gehört zu den ersten Musikvideos überhaupt.

Bob Dylan machte sie mit Andy Warhol bekannt– und Nico wurde Mitglied der Factory. Warhol definierte sie als seine Mondgöttin. Sie spielte in Warhols Multimedia Performance Exploding Plastic Inevitable  und im Film The Chelsea Girls von Warhols und Paul Morrisseys mit. Der durchaus nicht nur schüchterne Künstler Warhol verkuppelte sie mit der Band Velvet Underground, deren männliche Mitglieder nicht begeistert waren, mit der sie aber eine gewisse Zeit auftrat und drei Lieder, die Lou Reed für sie geschrieben hatte, aufnahm – das erwähnte Bananen-Album. Nur ihre Mitwirkung verschaffte der Band den Plattenvertrag, was dem kreativen Kopf Lou Reed nicht gefallen haben kann. Ingrid Strobl schreibt: „Sie interpretierte ihre Songs in Slow Motion und setzte damit einen Kontrapunkt zu dem hämmernden, hektischen, Amphetamin-getriebenen Sound der Band. Velvet Underground waren eine Sensation. Velvet Undergound plus Nico waren umwerfend. Ein Jahr später, 1967 produzierten sie in einem kleinen Studio in New York in nur sieben Tagen eines der wichtigsten Alben der Rockgeschichte: ‚Velvet Underground & Nico‘. Es schlug in der Kunst- und Musikszene der Stadt wie eine Bombe ein, blieb aber lange Zeit ein Geheimtipp für Insider, bis es schließlich zum Klassiker wurde und zur Inspiration für andere Bands, bis hin zu den Punkgruppen der Siebziger- und Achtziger Jahre.“ Und Nico erinnerte sich später: „Wir waren uns zu der Zeit bewusst, dass wir 20 Jahre voraus waren. Und das stimmt auch – genau. Das war viel weniger traditionell als zum Beispiel die Rolling Stones.“

Ihr Vorteil war, dass sie keine Puppe war, die Warhol formen konnte. Der Fotograf Nat Finkelstein, der einen Bildband über Andy Warhol und die Factory herausgab, schrieb über Nico: „Sie trat in Andys Sphäre als ein erwachsener Mensch ein. Sie handelte selbständig, sie traf ihre eigenen Einschätzungen, sie war nicht jemand, der nur dazu gehörte. Nico war eine starke Frau. Sie war ein menschliches Wesen in einer Welt der Symbole.“ Sie transportierte in Zeiten von Flower-Power eine „Aura sakralen Ernstes“ (Tagesspiegel) und fiel auf. 1967 nahm sie in New York ihr erstes Solo-Album Chelsea Girl auf, wofür Bob Dylan, Lou Reed, Jackson Browne, John Cale und Tim Hardin ihr Lieder geschrieben hatten.

Da die Factory kein Ort für einen kleinen Jungen war und er sich an den herumstehenden Alkoholika und bunten Pillen gütlich tat, holte die Großmutter ihn zu sich, obwohl Alain Delon den Jungen nie anerkannt hatte – eine Wiederholung der eigenen Kindheit!

Sie wurde es leid, „als Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Fantasien und Begierden zu dienen“ (Ingrid Strobl) und änderte ihr Image vollständig, wurde eine frühe Vertreterin des Gothic-Style. Zunächst rot, dann dunkelhaarig und in schwarzer Kleidung – demonstrierte sie eine nihilistische Haltung zur Welt. Der Sänger der Doors, Jim Morrison, der kurz auch ihr Geliebter war, ermutigte sie, eigene Texte zu schreiben und sie verschrieb sich nun ganz der Musik. Die Sängerin begleitete sich auf einem archaisch anmutenden Instrument, einer kleinen tragbaren Orgel – kein geringerer als Ornette Coleman lehrte sie, auf diesem Harmonium zu spielen. Allerdings waren die neuen Lieder kommerziell wenig erfolgreich. Immerhin: Ihr 1974er Song It has not taken long wurde 2018 von der Zeitschrift Rolling Stone unter die besten 111 Songs Deutscher Herkunft gewählt.

John Cale, der Velvet Underground kurz nach ihr verlassen hatte, produzierte Nicos erste Platten, Cale und Brian Eno traten mit ihr auf. Dabei hatte ihre Musik keine Ähnlichkeit mit der irgendeiner anderen Künstlerin. Der Berliner Musiker Lutz Ulbrich, ein späterer Lebensgefährte, beschrieb ihre Auftritte als “mystische Entrücktheit”. Nicos tiefe traurige Stimme wirkte auf viele verstörend, auf andere betörend.

Damals begann Nico, Heroin zu spritzen, nicht unüblich in der RockmusikerInnen-Szene der Siebziger Jahre. Ihre Mutter starb. Der Sohn war weit weg und unzugänglich, da die französischen Großeltern ihn adoptiert hatten. Sie tauchte einige Zeit in der Versenkung ab, gab aber ab und zu ein Album heraus. In den 1980ern trat sie mit der Band The Faction auf, wobei die Fan-Schar klein war, aber nie abriss.

Nico verarmte, lebte mit dem Experimentalfilmer Philippe Garrel in Paris in mehr als bescheidenen Verhältnissen, äußerte: „Ich muss nicht nach draußen gehen um außerhalb zu sein. Ich kann mich auch in einer kleinen Zelle so fühlen. Tatsächlich bin ich gerne eingesperrt.“ Ihre Musik „brachte in ihr die Verlassenheit, den Verlust und den Schmerz zum Ausdruck, die sie mit dem Heroin zu betäuben versuchte.“ (Strobl) Sie mythisierte ihre Vergangenheit, verklärte ihr früheres Leben als Star in Warhols Factory um sich Auftritte zu verschaffen; im Musikbusiness wie in der Presse war sie als kaputte Junkie-Frau verschrien. Dabei war sie ungewöhnlich kreativ: Sie trug häufig ein Aufnahmegerät mit sich, um ungewöhnliche Klänge aufzunehmen, um alltägliche Geräusche zu ‘sammeln’, wie es in den 1990ern modern wurde.

„Nicos Texte, ihre Melodien und ihre Stimme erzählen unüberhörbar von den Höllen, durch die sie ging.” In Liedern wie Fatherland beschwor sie Szenen aus der Kindheit, Steinwüsten und Trümmerfelder. Zudem machte sie eine mit 13 Jahren erlittene Vergewaltigung durch einen GI der US Air Force zum Thema des Liedes: „Secret Side“. Auch dies machte ihr Gefühl der Entwurzelung verständlich, eine Frau, die keine Heimat hatte „und ihre innere Einsamkeit erfolgreich als Coolness tarnte“ (Strobl). Ihre Plattenfirma bewarb eine ihrer Produktionen mit dem zynischen Slogan: ‚Warum Selbstmord begehen, wenn Sie dieses Album kaufen können?‘“ (Strobl) Sie selbst konterte in einem Interview: „Der einzige Grund, warum ich mich nicht erschieße, ist, dass ich wirklich einzigartig bin.“

Als Ari Boulogne Jugendlicher war, nahm er wieder Kontakt zu seiner Mutter auf. Der bisweilen geäußerte Vorwurf, sie habe ihren eigenen Sohn ‚angefixt‘, an die Droge gewöhnt, scheint nicht zu stimmen, – Ari war bereits abhängig. Le Kid war nun stets bei den Tourneen dabei. 1982 gab sie im Stollwerck in Köln, einem in den 1980ern Jahren besetzten Fabrikgebäude, einen letzten Kölner Auftritt. Ihren Cousin C.O. Paeffgen hatte sie inzwischen kennengelernt.

1987 zog Nico von Manchester nach Ibiza um – zusammen mit Ari. Sie hatte einen Entzug hinter sich, sie hatte ihr Leben geändert, ernährte sich gesünder, begeisterte sich für Umweltschutz. Sie fasste noch einmal im Musikbusiness Fuß, erhielt einen Kompositionsauftrag für das Berliner Musikfestival „Fata Morgana“ im Planetarium. Am 6. Juni 1988 gab Nico zwei umjubelte Vorstellungen vor ausverkauftem Haus. Zurück auf Ibiza stürzte sie am 18. Juli 1988 mit dem Rad und starb wenig später, im Alter von nur 49 Jahren. Die Urne mit den sterblichen Überresten wurde im Grab ihrer Mutter auf dem Friedhof in Grunewald beigesetzt. Zuvor hatte sie bereits gesungen: „Liebes kleines Mütterlein, nun darf ich endlich bei dir sein, die Sehnsucht und die Einsamkeit, erlösen sich in Seligkeit.“ Das Grab ist eine internationale Pilgerstätte.

Heute wird Nico als Pionierin des Dark Wave, Punk Ambient und Gothic-Rock gewürdigt. Die Lieder des Bananen-Albums (Femme Fatale, All Tomorrow’s Parties und I’ll Be Your Mirror) sind Meilensteine der Popgeschichte, die eigenen Lieder einer engen, aber enthusiastischen Fangemeinschaft immer noch wichtig.

Musikerinnen wie Siouxsie Sioux, Patti Smith, Marianne Faithfull, Lisa Gerrard und Björk bezogen sich auf Nicos Musik oder interpretierten ihre Werke neu. Selbst neuere deutschsprachige Künstlerinnen wie Marianne Rosenberg oder die österreichische Sängerin Anja Plaschg alias Soap&Skin erwiesen ihr Reverenz. Es erschienen Hörspiele, ein Theaterstück und neue Musikstücke über sie, u.a. von der Kölner Band um Stefan Krachten.

2006 schlug die Verf. innerhalb eines Wettbewerbs vor, den neuen Platz an dem früheren Messegebäude in Christa-Päffgen-Platz umzubenennen. Der Vorschlag wurde in der Kulturszene unterstützt, aber von konservativer Seite aufgrund ihres „nicht vorbildlichen“ Lebenswandels blockiert. 

Dennoch erfuhr Nico in Köln und international immer wieder Würdigungen, so 2008 durch eine multimediale Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst zum 70. Geburtstag oder durch den Film NICO-ICON der Kölner Filmemacherin Susanne Ofteringer. 2017 wählte die Vogue Nico auf Platz 1 der „einflussreichsten Rock-Blondinen aller Zeiten“ – ein Titel, den keine Frau braucht und gerade ihr nicht gerecht wird. Eher entspricht ihr die Einschätzung des Pop-Redakteurs vom KStA , Christian Bos: „Doch muss man Nicos Leben und künstlerische Hinterlassenschaft als Negativfilm zum jovialen Frohsinn beschreiben, dessen die Stadt sich rühmt.”

Text: Irene Franken; das zitierte Manuskript von Ingrid Strobl ist im Kölner Frauengeschichtsverein einzusehen.

Juni 2020 – Gisela Koschig-Gehm

Gisela Koschig-Gehm – Mitgründerin des Kölner Frauenbuchladens

Gisela Koschig-Gehm, © Cornelie Wollenhaupt

Gisela Koschig-Gehm war eine schillernde Persönlichkeit der Neuen Frauen- und Lesbenbewegung in Köln und Mitgründerin des Kölner Frauenbuchladens. 

Was viele nicht wussten: Gisela wurde am 10. Juni 43 im Krankenhaus in Köln-Kalk geboren und war daher ein original „Kölsches“ Mädchen. Allerdings wuchs sie bei Adoptiveltern in der Nähe von Lüdenscheid auf. Dass sie adoptiert wurde erfuhr sie erst mit 18 Jahren.

Das Mädchen machte zunächst eine Lehre als Arzthelferin, vermutlich weil es sich „in der Provinz“ für Mädchen so anbot. Ihre Fähigkeiten lagen jedoch vielmehr im Bereich Wirtschaft. Sie zog nach Frankfurt, arbeitete im Verkauf und wurde schließlich in München Pharmavertreterin. Sie empfahl Diagnostika und Blutkonserven – und verdiente gut dabei.

Schon als Kind hatte sich Gisela zum eigenen Geschlecht hingezogen gefühlt, zunächst zu einer Cousine. Ihr ganzes Leben hatte sie nur Begehren für Frauen empfunden. In der Münchener Zeit bekam sie wegen ihres Privatlebens Probleme mit ihrem Kollegium. Sie ging eine Scheinehe mit einem schwulen Mann ein – eine damals durchaus übliche Strategie, um sich vor Gerüchten und Gerede zu schützen. Nach einigen Monaten gingen die Ehepartner wieder getrennte Wege, ließen sich später auch scheiden. Den Doppelnamen Koschig-Gehm behielt Gisela zeitlebens bei.

Als sie bemerkte, dass in ihrer Firma Etiketten gefälscht wurden, – so erzählte sie später – stieg sie empört aus dem Job aus und kehrte ins Rheinland zurück. Hier besuchte Gisela Koschig-Gehm die 1958 gegründete Rheinische Akademie Köln, um sich in Betriebswirtschaft weiter zu bilden. 1976 wurde sie von Alice Schwarzer als Betriebswirtschaftlerin angefragt, sich an der Gründung der Zeitschrift Emma zu beteiligen. Relativ bald schon kam es zu Konflikten, und noch vor dem Druck der ersten Nummer war Gisela draußen – ebenso wie andere Frauen des Gründungsteams.

Als zeitgleich in Köln ein Frauenzentrum entstand, beteiligte sich die tatkräftige lesbische Feministin an der Renovierung des 200 qm großen Raumes im Souterrain eines Bürgerhauses nahe dem Volksgarten. Das Frauenzentrum Eifelstraße wurde zum Treffpunkt der Kölner Frauenbewegungsszene, wo auch Gisela gerne am Tresen politische Diskussionen führte. Auch wenn sie nicht unbedingt kontinuierlich in einer Gruppe mitarbeiten wollte, waren ihre politischen Interessen breit gefächert.

Als sie durch ihre Mitbewohnerin, die im Frauenzentrum den Büchertisch organisierte, erfuhr, wie schwierig es war, an Bücher von und über Frauen zu kommen, beschloss sie – zusammen mit Ulla Böll und Erika Stegmann vom Verlag Kiepenheuer & Witsch – in Köln einen Frauenbuchladen zu gründen. Dafür sammelte sie Erfahrungen in dem kurz zuvor in Frankfurt eröffneten Frauenbuchladen. Im Zeitalter des Computers kaum noch vorstellbar: sie und ihre Kolleginnen schrieben alle vorhandenen Buchtitel mit der Hand ab. Übersichten oder Empfehlungslisten, welche Publikationen für ein Spezialsortiment Frauen und Lesbenbücher in Frage kamen, gab es noch nicht.

Der Kölner Frauenbuchladen eröffnete am 22. Januar 1977 in der Beethovenstraße 33. Alle drei „Buchladenfrauen“ hatten sich Geld geliehen. Nun war Gisela in ihrem Element. Zwar gab es Bedenken bei Feministinnen, dass sich nun Frauen auf bezahlten Arbeitsplätzen an anderen Frauen bereichern würden, aber die ließen sich leicht ausräumen – reich wurde dort keine.   

Gisela hatte bei der Einrichtung des Frauenbuchladens viel Wert auf ein Café gelegt. Es lag geschützt hinter einem Vorhang im Hinterzimmer, darin gab es ein großes Sofa, über dem ein mehrere Meter breites Bild einer lesenden Frau hing. Hier trank sie mit ausgewählten Frauen gerne mal einen Sekt oder Sherry, immer mit Hund Pollux an ihrer Seite. Überhaupt war Gisela im Buchladen eher für Kontakte zuständig, bestach weniger durch profunde Bücher-Kenntnis als durch gekonntes Netzwerken. Geschickt befragte sie Kundinnen, welche Bücher sie gut fanden, merkte sich diese „Rezensionen“ und empfahl die Bücher weiter. Außerdem gab es eine unterstützende Buchladengruppe, die u.a. Tipps gab, welche Bücher anzuschaffen seien.  Gisela konnte auch gut mit Männern umgehen und so war der Kölner Frauenbuchladen – in Kölscher „Liberalität“ – der einzige Deutschlands, der von Beginn an Männer hereinließ.

Abends ging Gisela gern aus, sie war auch privat sehr kommunikativ und lernte schnell Frauen kennen. Durch ihre Zeit als Pharmavertreterin kannte sie vermutlich mehr Lesbenbars bundesweit als jede andere Frau. Die Adressen lockte sie gewöhnlich durch reichliches Trinkgeld aus den Taxifahrern heraus.

Vom Typ war sie ein Dandy, eine „Salonlesbe“ im besten Sinne. Sie trug gern weiße Blusen und Westen, wirkte elegant und charmant. Ihrer lesbischen Identität war sie sich immer bewusst, die damals bedeutsame Frage, welchem ‚Lager‘ frau angehört, ob sogenannte Ur-Lesbe oder Bewegungslesbe, interessierte sie allerdings wenig. Sie besuchte alle angesagten Lokale der „Subkultur“ in Köln vom Candida, wo es eher „proletarisch“ zuging und auch schon mal zu körperlichen Auseinandersetzungen unter den Gästinnen kam bis zum George Sand, nach ihrer Besitzerin kurz „Ma“ genannt. Ma Braungart empfing in ihrem Lokal auch Medienleute, Halbprominenz, Prostituierte und Akademikerinnen. Es wurden Chansons gespielt, es gab ein Kulturprogramm – und Etikette. Dass Frauen sich vor aller Augen küssten war aber dort nicht erwünscht.

Die Möglichkeiten der parteipolitischen Diskussion war Ende der siebziger Jahre begrenzt, die Grünen gab es noch nicht und die kleinbürgerliche DKP war für lesbische Feministinnen nicht unbedingt eine Alternative. Gisela hegte einige Sympathie mit der RAF und fuhr am 27. Oktober 1977 zur Beerdigung von Ensslin, Baader und Raspe nach Stuttgart. Damit bildete sie im Frauenzentrum eine Ausnahme. Sie unterstützte auch zeitweilig die politischen Gefangenen der RAF. Ob das tatsächlich Überzeugung oder lediglich eine antiautoritäre Pose war, lässt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. 

Ernst war es ihr allerdings mit dem Protest gegen die Stationierung von Atomraketen und dem Thema Ökologie. Sie unterstützte 1981 den Frauen-Kongress gegen Atom und Militär in Köln sowie später die überregionale „Aktion Gegenwind“, bei der Frauen – u.a. mit Rad-Rallyes – gegen die in Deutschland stationierten Atomraketen der amerikanischen Truppen protestierten. Da dies vor der zweiten Anti-Atom Bewegung stattfand, waren die Aktivistinnen Avantgarde. Nicht zuletzt durch Frauen wie Gisela Koschig-Gehm entwickelte sich die Anti-Atomkraft-Bewegung Mitte der 1980er Jahre zur stärksten Bürgerrechtsbewegung in der BRD.

Damals gab es bereits Hinweise auf verstrahlte Ernährung, von denen Gisela sich sehr betroffen fühlte. Anfang der 1980er Jahre verkaufte sie den Frauenbuchladen und plante nach einer Reise im Winter 1981 /82, nach Australien auszuwandern, wo es sogenanntes Frauen-Land gab. Doch Gisela verliebte sich neu und blieb im Rheinland. Sie zog in die Eifel nach Basberg, züchtete Schafe und begann, die noch jungen Bioläden in Bonn und Köln mit Käse zu beliefern. Erstaunlicherweise genoss sie die neue „Einsamkeit“, behielt aber trotz dorftypischer Strickkleidung ihre dandyhafte Eleganz. Sie schloss sich dem Frauenzentrum in Gerolstein an und nun auch erstmals einer Partei, den Grünen. Im sog. Ökofonds an, der von den Grünen 1980 in NRW ins Leben gerufen worden war, nahm sie einen Job an, bei dem sie alternative Projekte mit sozialer, ethischer und ökologischer Zielsetzung  unterstützen konnte.

Gisela Koschig-Gehm starb am 19. April 1997 mit nur 53 Jahren an Krebs. Zu ihrer Beerdigung auf dem Kölner Südfriedhof kamen mehr als 300 Trauergäste, darunter auch viele Nachbar*innen aus Basberg. Ihre letzte Partnerin ließ ihren Grabstein nach einer Skulptur aus einer alten Frauenkultur gestalten.  Mut und Zivilcourage, so erinnert sich eine Weggefährtin, seien die Begriffe, die auf Gisela am meisten zutrafen.

© Irene Franken, Red. Bearbeitung Gabriela Schaaf

Februar 2020 – Ursula Linnhoff

Unsere Frau des Monats Februar: Ursula Linnhoff (geb. 1936, gest. am 10. Februar 2011)

Ursula Linnhoff wurde am 27. September 1936 in Wuppertal geboren. Sie starb am 10. Februar 2011. Sie war eine lesbische Sozialistische Feministin und arbeitete als Publizistin sowie freiberufliche entwicklungspolitische Gutachterin in Köln.

Ihren Todestag nehmen wir zum Anlass der Erinnerung an ihr feministisches Wirken in Köln und weit über Köln hinaus.   

1969 zog Ursula Linnhoff nach Köln und arbeitete im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit als entwicklungspolitische Gutachterin. Sie weilte zu längeren Aufenthalten in Südamerika und bezeichnete sich damals als Wissenschaftlerin im Staatsdienst. Nach wenigen Jahren der Berufstätigkeit begann sie, im Jahr 1971 an der Universität zu Köln Soziologie zu studieren und schied mit 35 Jahren – wie sie selbst in der e-f-a schrieb – “aus dem etablierten Berufsleben aus”. Sie wurde freie Expertin für Entwicklungshilfe, war in der Erwachsenenbildung und als Journalistin tätig.

Ab 1971 engagierte sie sich auch in der Neuen Frauenbewegung und stellte diesen politischen Zusammenhang als ihre wichtigste Identifikationsbasis dar. Zunächst war sie in einer eher bürgerlichen Gruppe, dem Frauenforum Köln e.V., aktiv. 1971 nahm sie jedoch dann an der Tagung der Radikalfeministinnen in Frankfurt am Main, dem Bundesfrauenkongress, teil, auf dem entschieden wurde, dass die Gruppen der Aktion 218-Gruppen Aktion 218 Köln zukünftig separat, d.h. ohne Männer, vorgehen sollten. Dieser Kongress am 11.-12. März 1972 markiert für einige ForscherInnen den Beginn der Neuen Frauenbewegung. 

1972 gründete Ursula Linnhoff dann in Köln gemeinsam mit anderen Frauen die Gruppe Sozialistisch-Feministische Aktion / SOFA Köln. Schwerpunkt dieser Organisation war die Auseinandersetzung mit dem herrschenden kapitalistischen und patriarchalen System und der Versuch, den Kampf gegen den Kapitalismus und gegen das Patriarchat zu vereinen. 

Im Redaktionskomitee der Zeitschrift e-f-a verantwortete Ursula Linnhoff mehrere Ausgaben und verfasste Artikel und Gedichte.

Mit ihrem 1974 in Köln bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Sammelband “Die neue Frauenbewegung. USA – Europa seit 1968” machte sie sowohl die wichtigsten Texte der Women’s Liberation zugänglich, die seit Mitte der 1960er Jahre erschienen waren, als auch Grundlagentexte bundesdeutscher, ideologisch unterschiedlich ausgerichteter Frauengruppen, u.a. der Kölner Frauengruppen S.O.F.A. und der radikalfeministischen Frauenbefreiungsaktion (FBA), in der circa 200 Frauen organisiert waren. Ziel der Publikation war es, die Neue Frauenbewegung als weltweites (westliches) Phänomen zu vermitteln und die unterschiedlichen theoretischen politischen Ansprüche, die verschiedenen Strategien und Praxen zu dokumentieren. 

Eine weitere politische Heimat war für sie die Homosexuellenemanzipationsbewegung. Als Sozialistin forderte sie ein allgemeinpolitisches Engagement von Lesben: “In dem Moment aber, wo die weiblichen Homosexuellen es fertigbringen, ihre Sozialisierungszwänge zu verlassen, in dem Moment werden auch sie für alle, die auf eine progressive Veränderung der Gesellschaft hinzielen, zu wertvollen Verbündeten. Damit ist dann die Sache der weiblichen Homosexuellen zu einem Faktor in einem übergreifenden, nicht mehr individuellen, sondern gesellschaftlichen Anliegen geworden” (e-f-a-, Jg. 1, 1973, H. 1, S. 17).

Ursula Linnhoff starb mit 75 Jahren. Sie ist auf dem Poppelsdorfer Friedhof in Bonn beerdigt.

In einem Nachruf auf sie aus dem Frauenarchiv FFBIZ in Berlin schrieb vermutlich dessen damalige Leiterin, Ursula Nienhaus, mit Bezug auf Linnhoffs Buch über Schriftstellerinnen und Kämpferinnen des 19. Jahrhunderts:

“Als wir 1978 das FFBIZ gründeten, konnten wir an solche, uns lebhaft vorgestellte weibliche Traditionen anknüpfen und dabei lernen, das (sic!) ‘Frauengeschichte’ und gender studies für nachfolgende Generationen besser bewahrt werden müssen.” 

Sie finden den Nachruf des FFBIZ auf Ursula Linnhoff im Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Artikels über Ursula Linnhof, den Irene Franken für das Frauen-Wiki des Kölner Frauengeschichtsvereins verfasst hat.   

Juli 2021 – Edith Leffmann

Eine widerständige Ausnahmefrau

Kaum eine deutsche Frau, geschweige eine Kölnerin, hat auf ihrem Stolperstein stehen: “in der Résistance überlebt”. Bei Edith Leffmann 1894 – 1984 ist dies der Fall. Wer war diese Frau? Warum kennt sie kaum jemand in Köln? Warum wird sie in den Büchern über Frauen im Widerstand nicht erwähnt?

Jugend, Ausbildung, Ehe

Edith Bella Leffmann, geboren am 22. Juli 1894 in Köln, war die Tochter des jüdischen Paares Martha Heidenheim und Bernd Löwenstein, eines Kölner Korsett-Fabrikanten. Martha Löwenstein heiratete – vermutlich als Witwe – in zweiter Ehe dessen Kompagnion Arthur Leffmann, der Ediths Stiefvater wurde und dessen Namen sie vermutlich annahm; er war (oder wurde nun) Direktor der Korsettfabrik Löwenstern & Leffmann. Sie hatte einen Halbbruder Fritz Leffmann und einen 1899 geborenen Cousin Dr. Ernst Leffmann, einen sozialdemokratischen Juristen, der im Belgischen Viertel lebte.

Wie vielen jüdischen Familien des beginnenden 20. Jahrhunderts war die Bildung auch von Töchtern wichtig. Edith Löwenstein legte ihr Abitur ab, absolvierte in Bonn und München ein Medizinstudium. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie als Lazaretthelferin beim Deutschen Roten Kreuz. Nach dem Studium nebst anschließender Promotion nahm sie eine erste Stelle am Berliner Kinderkrankenhaus an, eröffnete dort schon bald eine eigene Kinderarzt-Praxis. Sie wird selbst als nur knapp über 1,50 Meter groß, aber mit großen Händen und einer auffälligen Frisur in Erinnerung gerufen. Anfang der 1920er Jahre heiratete sie Robert (woanders fälschlich Rudolf ) Leffmann, vermutlich einen Verwandten ihres Stiefvaters. 1924 brachte sie den Sohn Bernd Julius („Bill“) zur Welt. Schon in dieser Zeit kam die soziale engagierte Mutter mit Mitgliedern der Roten Hilfe und der KPD in Berührung.

Verfolgung

Wie viele andere Kommunist*innen erlebte Edith Leffmann 1933 eine Sabotage ihrer Berufstätigkeit, die von Behörden wie dem Wohlfahrtsamt abhängig war, und musste ihre Praxis schließen. Sie kehrte – vermutlich mit dem Ehemann Robert Leffmann – zu ihren Eltern nach Köln zurück, lebte in der Gleueler Straße 192. Hier im Rheinland gab es beim Machtantritt der Nazis besonders viele jüdische Ärztinnen und Ärzte. Edith Leffmann (der Doktortitel war nicht mehr zulässig) arbeitete wieder in eigener Praxis als Kinderärztin; auch diese musste sie als Jüdin nach einigen Jahren aufgeben. Ab dem 30. September 1938 verloren jüdische Ärzt*innen per Gesetz ihre Approbation, erhielten Berufsverbot und mussten ihre Praxen schließen, Gemeinschaftspraxen mit ‘Arier*innen’ verlassen. Damit war ihre berufliche und bürgerliche Existenz vernichtet.

1938 verschärften sich die Lebensbedingungen für alle Juden und Jüdinnen. Edith Leffmann sorgte dafür, dass ihr Sohn 1939 gemeinsam mit den Großeltern in die Niederlande nach Amstelveen emigrieren konnte; er besuchte dort eine Exil-Schule für in Deutschland bedrohte Kinder.  Dennoch konnte sie sie letztlich nicht vor der Ermordung bewahren.

Sie selbst ging mit ihrem Mann am 17. April 1939 in das noch nicht besetzte Brüssel, wo es eine große sozialistische und kommunistische Emigrant*innenszene gab. Sie hofften auf eine Wende durch politische Aktivitäten. Im April 1940 starb ihr Mann, Edith Leffmann entschloss sich, nach Frankreich weiter zu ziehen. Ihrer Vorstellungen von politischer Arbeit in der Résistance erfüllten sich zunächst nicht, sie wurde verhaftet und für zwei Jahre im das südfranzöschen Lager Camp de Gurs interniert. Hier konnte sie zumindest den Lagerhäftlingen beistehen.

Widerstand

Ihr gelang die Flucht aus dem Lager Gurs, endlich konnte sie sich der Résistance, Sektion Travail Allemand, anschließen. Sie blieb zunächst in Südfrankreich, trat dem Comité „Allemagne libre“ pour l’Ouest bei, das dem KPD-nahen Nationalkomitee Freies Deutschland assoziiert war. Ziel war, Angehörigen der deutschen Wehrmacht gegen den Krieg umzustimmen; dazu gehörte die Verteilung von Propagandamaterial. Auf Anregung der Résistance kehrte sie noch während des Krieges – getarnt als die französische Krankenschwester Marie-Louise Lefèbre nach Deutschland zurück, um Untergrundarbeit zu leisten. In einer Papierwarenfabrik in Eger (heute Tschechien) konnte sie unter den anderen (Zwangs-)Arbeiterinnen agitieren und sich für Sabotage stark machen. Derweil wurde Dr. Edith Leffmanns Mutter aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert und ihr Sohn Julius / Bill aus der niederländischen Quäkerschule heraus in das KZ Herzogenbusch verbracht; der Jugendliche wurde über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo er im September 1942 getötet wurde (Stolperstein). Der Vater war bereits in Amsterdam verstorben.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg lebte Dr. Edith Leffmann in Ludwigshafen und Mannheim und wurde gleich wieder politisch aktiv: Sie reiste im Frühsommer gemeinsam mit dem Widerstandskämpfer Alphonse Kahn über Paris in die französische Besatzungszone ein und ließ sich im August 1945 in Ludwigshafen nieder. Zunächst ging Dr. Leffmann als jüdische Vertreterin in den Betreuungsausschuss für die Opfer des Faschismus, der 1950 in das Amt für Wiedergutmachung und Kontrolliertes Vermögen überführt wurde. Sodann trat sie der KPD bei, arbeitete später im Ludwigshafener Friedenskomitee mit und kandidierte 1951 auf der Liste der KPD für ein Mandat im rheinland-pfälzischen Landtag. Sie war Mitbegründerin der VVN, die erste rheinland-pfälzische Vorsitzende der VVN, Mitglied im VVN-Zonensekretariat und hielt auch bei Anfeindungen und Kriminalisierung der Orgabnisation (Strafbefehl im August 1952) zu ihr.

Edith Leffmann leistete trotz ihrer persönlichen Verluste, der anstrengenden Arbeit in deutschen Fabriken und der psychischen Grenzsituation einer mit falscher Identität in Deutschland agitierenden Frau, schließlich trotz gesundheitlicher Probleme Großes für die medizinische Versorgung der Nachkriegspatient*innen, viele davon Kinder von Täter*innen. Auch diese behandelte sie laut Zeitzeug*innen gleich zugewandt.  Sie sagte: “Ich kenne keinen Hass ausser den gegen den Krieg.” (Zeitzeuge Bernd Köhler)

Ihre eigene Praxis eröffnete sie 1950 in der Carl-Friedrich-Gauß-Straße im Hemshof (früher Kruppstraße 6), in einem der wenigen Häuser, nicht beschädigt waren.  In Ludwigshafen erhielt sie dafür schon zu Lebzeiten den Ehrentitel ‘Engel von Hemshof’.   Zeitzeug*innen brachten Beispiele für ihr Engagement:

“Ihr Wartezimmer war ständig überfüllt von unterernährten Kindern und weinenden Müttern. Die Kinderärztin Dr. Edith Leffmann arbeitete in der Nachkriegszeit bis zur totalen Erschöpfung. Kein Kind verließ ihre Praxis ohne ein Stück Schokolade oder ein Bonbon.” (Bericht von Bernhard Wadle-Rohe). oder: “Dr. Edith Leffmann hat mir das Leben gerettet. Ich hatte damals Lungenentzündung, Gelbsucht und Wasser in der Lunge.” (Monika Trautmann, Zeitzeugin). „Unsere Tochter Monika hatte mit vier Jahren plötzlich, nachts um ein Uhr, heftige Schmerzen. Ich rief die Frau Doktor an und sie kam sofort, drückte ihr auf den Bauch und rief: Sofort in die Kinderklinik nach Mannheim! Der Engel vom Hemshof hat ihr das Leben gerettet” (Mutter von Monika T.) . „Sie kam um die Babies zu besuchen direkt mit dem Taxi in die Häuser gefahren, ist dann von Patient zu Patient gefahren, um den kleinen Leuten zu ersparen im kalten Winter zu ihr in die Praxis zu kommen.” (Emma Schüssler)  Bernd Köhler führte 1978 ein Interview mit ihr für ein geplantes Buch über Antifaschist*innen. “Die Ärztin war da bereits im Ruhestand, lebte in Mannheim. ‘Ich erinnere mich noch, wie wir da hoch sind in den 5. Stock, da machte jemand die Tür auf, den man nicht gesehen hat, weil sie so klein war. Unglaublich geschminkt, mit so einer sonorigen Stimme, eine tolle Frau. Sie hat uns dann auch später erzählt, dass sie sich damals, als sie nach Deutschland geschickt wurde von der Résistance, als Französin zurechtgemacht hatte. Das hat sie später beibehalten.'”

Seit 1960 wohnte sie in Mannheim, wo sie am 3. Februar 1984 im Alter von 90 Jahren starb. Ihr Grab auf demMannheimer Hauptfriedhof existiert leider nicht mehr. 

Ehrungen

Nur wenige Frauen aus Köln haben sich so eindeutig und kraftvoll gegen die Nazidiktatur, und nach 1945 gegen das Vergessen, die Wiederaufrüstung und die Rehabilitation von politisch und ethnisch (‘rassisch’)  Verfolgten des Nationalsozialismus eingesetzt. es wird berichtet, sie habe vor Energie gestrotzt und sei trotz (oder wegen?) ihrer dunklen Stimme für die Kinder eine Vertrauensperson gewesen.

Nach ihrem Tod setzten sich verschiedene Initiativen für eine Würdigung von Edith Leffmann ein. In Köln setzte Gunter Demnig im März 2012 einen Stolperstein, auf dem steht: “Hier wohnte Dr. Edith Leffmann, geb. Leffmann [eigentlich Löwenstein, die Verf.] Jg. 1894, Flucht 1939, Belgien/ Frankreich, interniert Gurs. Tätig als Ärztin in der Résistance. Überlebt”. Ebenso wird an ihren Sohn und den Ehemann Robert erinnert. In Ludwigshafen konnte 2013 erst gegen den Widerstand der CDU-Mehrheit im Stadtrat eine Gedenktafel vor den ehemaligen Praxisräumen angebracht werden, Antifaschist*innen um Bernhard Wadle-Rohe hatten 14 Jahre lang dafür gekämpft. Es wurde u.a. ‘geprüft’, ob sie als Angehörige der 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands eine Stalinistin gewesen sei…

2007 wurde im Rahmen des Mannheimer Kultursommers die Lebensgeschichte der Widerstandskämpferin und sozial engagierten Ärztin Edith Leffmann in der Reihe Revolutionärinnen des Alltags künstlerisch in Szene gesetzt.

Literatur und Quellen:

* Bernd Köhler führte als Student 1978 in Mannheim ein Interview mit Edith Leffmann nach ihrer Pensionierung.

* Broschüre »Widerstehen: damals – heute – morgen« zum 70. Jahrestag der VVN , Frühjahr 2017

* Aus dem kämpferischen Leben des fast vergessenen Engels vom Hemshof. Altriper Schülerin Esther Tabea Kuntz schreibt Facharbeit über die 1984 verstorbene jüdische Ärztin Edith Leffmann, in: Ludwigshafener Rundschau,  56  (2000), Nr. 249 vom 26.10.2000.

Weblinks:

 * https://www.geni.com/people/Dr-Edith-Leffmann/6000000088898031877

* https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Leffmann

* https://antifa.vvn-bda.de/2017/01/20/zwei-mitbegruenderinnen-der-vvn/

* https://www.ewo2.de/01_home/Leffmann.htm

* https://www.joodsmonument.nl/en/page/29290/bernd-julius-leffmann

* https://www.rheinpfalz.de/lokal/ludwigshafen_artikel,-der-engel-vom-hemshof-_arid,662848.html

* https://kommunalinfo-mannheim.de/2016/09/22/ich-kenne-keinen-hass-ausser-gegen-den-krieg/ 

*https://de.wikipedia.org/wiki/QuC3%A4kerschule_Eerde#Bernd_Leffmann_(geb._20._September_1924_Berlin,_gest._24._September_1943_Auschwitz)

* https://www.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fimages%2FImages%2520349%2FLudwigshafen%2520Gedenktafel%2520Leffmann%2520010.jpg&imgrefurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fludwigshafen_synagoge.htm&tbnid=vvPjhhvIcXI2zM&vet=12ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd..i&docid=6nQrBgP1a6ioLM&w=1200&h=804&q=%22edith%20leffmann%22&ved=2ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd  

IF , Juli 2021