Irene Franken

Mitgründerin . Vorstand . Gästeführerin

  • Initiatorin des Kölner Frauengeschichtsvereins
  • Ausbildung zur Lehrerin Sek. I
  • Historikerin, Ausstellungsmacherin, Publizistin, Stadtführerin
  • Aktivistin der Neuen Frauen/Lesbenbewegung
  • Gremienarbeit, u.a. Schülerwettbewerb Geschichte des Bundespräsidenten, Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
  • Mehrfache Ehrungen, u.a. Alternative Ehrenbürgerin von Köln

www.ifranken.net

Touristin in der eigenen Stadt

Einstiegsrundgang auch für Nicht-Kölnerinnen in der Altstadt

War die Stadtgründerin Agrippina eine Mörderin? Warum wurde die Postmeisterin Katharina Henoth als „Hexe“ verbrannt?

Am Museum und rund um das Rathaus hören Sie von der Stadtgündung, von lokalen Muttergottheiten sowie den Ursprüngen der Weiberfastnacht. 

Wir besuchen den Frauenbrunnen mit seinen zehn Frauengestalten und berichten von manchen Besonderheiten wie den Frauenzünften, die es in dieser Ausprägung nur in Köln gab.

Gästeführerin:  Irene Franken
Start: 14 Uhr

Dauer: 1 1/2 bis 2 Std.
Kosten: 12 €
Treffpunkt: Vor dem (geschlossenen) Römisch-Germanischen Museum, ( KVB-Haltestelle: Dom/Hbf.)

Irene Franken im Gespräch

Der neue Beitrag in der Reihe Zeitzeuginnen der Kölner Frauen-/Lesbenbewegung im Gespräch stellt Irene Franken vor, die 1985 eine Initiatorin des Kölner Frauengeschichtsvereins ist und seitdem zu Tage fördert, was die Stadt Köln den Frauen zu verdanken hat, aber auch welche Täterinnen es hier gab. Im Kontext des Vereins, der bald zum „Gedächtnis der Frauen Kölns“ avancierte, entwickelte sie Rundgänge, mischte sich in die Frage der Repräsentation von Frauen im Stadtbild ein und wirkte federführend daran mit, dass 18 statt fünf Frauen auf den Ratsturm zu stehen kamen. Unter den zahlreichen Auszeichnungen sind u.a. der Rheinlandtaler (1997 als Vorstand), der Inge-von-Bönninghausen-Preis (2004) und die Kölner alternative Ehrenbürgerschaft (2017) zu nennen. Nach wie vor ist sie Motor und Impulsgeberin für den Kölner Frauengeschichtsverein und mit ihrem immensen Wissen selbst eine unschätzbare, historische Quelle.

App Orte jüdischen Frauenlebens in Köln

Im Rahmen des Festjahres 1700 jahre Jüdisches Leben in Deutschland erstellte der Kölner Frauengeschichtsverein eine Handy-App zu 30 Orten, an denen Jüdinnen in Köln gewirkt, geliebt und gelitten haben. Die App entstand unter der Projektleitung von Irene Franken, beteiligt war weiterhin ein Team von Historikerinnen und Geschichtsstudentinnen, ehemaligen oder derzeitigen Praktikantinnen.

Es werden bisher in die Kölner Geschichte nicht eingeschriebene Orte vorgestellt. Unter den Vereinen ist der seit ca. 1800/1807 bestehende Israelitische Frauenverein, der bis 1938 durchgehend existierte und von sehr geachteten Frauen geleitet wurde (zeitweilig von einer Schwester des Jaques Offenbach); daneben wird der Verein der jüdischen Krankenpflegerinnen ans Licht geholt.

In der Regel stehen jedoch Einzelbiografien im Fokus. Das Zeitspektrum der App umfasst die ältesten Spuren von mittelalterlichen Frauen auf Grabsteinen aus dem frühen 13. Jh. bis zu Frauen des 20. Jh. 
Es werden z.B. eine kölsche Puppenspielerin, eine Musikwissenschaftlerin, eine Historikerin, Konvertitinnen, eine zionistische Frauenrechtlerin, Kunsthistorinnen, eine Sozialbeamtin, eine Musikerin, eine Radiopionierin, eine Kommunistin, eine Bankerin, eine Sammlerin/Stifterin, eine Designerin, Feministinnen, Schriftstellerinnen, darunter Orthodoxe, Konvertierte, Zionistinnen, Atheistinnen und nur von der Vaterseite her jüdisch sozialisierte Frauen vorgestellt.

Die App thematisiert ihr Verhältnis zum Glauben ebenso wie ihr Wirken in der Welt, sodann ihr Leiden unter Antisemitismus und der Bedrohung durch die Shoa. 

Zu fast jeder Station gibt es ein Hörbeispiel, sei es als rezitierte Auswahl eigener Texte oder als fiktionaler Ego-Text.

Es kann neben der intuitiv zu nutzenden Karte auch eine chronologische Zeitleiste verwendet werden, um die Biografien anzuwählen.

Das Festjahr erfolgte auf Initiative der ‘Gründerväter’ des Vereins 2021JLiD: Abraham Lehrer, Prof. Dr. Jürgen Rüttgers und Dr. Matthias Schreiber.  Sie wurde finanziell unterstützt vom Ministerium des Innern.

Der Download erfolgt über diesen Link oder im Playstore/Applestore über “Orte jüdischen Frauenlebens in Köln“.

Auf mehrfachen Wunsch wird ein Rundgang erstellt, allerdings mit einer längeren Laufzeit. Premiere am Montag, den 30.08.2022 auf Initiative der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V.

Danksagungen:

Institutionen und Websites

  • The Central Zionist Archives: Anat Banin, Eva Ferrero
  • Israel States Archives: Galia Kaper 
  • NS-Dokumentationszentrum: Ibrahim Basalamah (!!!), Nina Matuszewski, Dr. Werner Jung (retired)
  • United States (US) Holocaust Memorial Museum: Megan Lewis
  • Ghetto Fighters’ House Museum: Zvi Oren
  • Theaterwissenschadftliche Sammlung: Charlene Fündgens
  • Leo Baeck Institute Archive: Willem Weber
  • Gidal Bildarchiv: Cordula Lissner
  • Jüdische Gemeinde: Herr Günther
  • KSM: Rita Wagner
  • Bibliotheca Hertziana Rom, Fotothek: Dr. Regina Deckers; Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Berlin: Simon Nobis
  • Rba: Cathleen Walther und Lena Pickartz
  • WDR-Historisches Archiv bzw. Unternehmensarchiv: Petra Witting-Nöthen
  • Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln: Dr. Ulrich S. Soénius
  • Find a grave: Tina und Dalia d.
  • Frauentouren Berlin/Claudia von Gélieu
  • Jutta Riedel-Henck zu Else Thalheimer
  • Frauenmediaturm: Katja Thieler und Berit Schallner
  • Bilddatenbank ‘Jüdische Geschichte’ / Institut für die Geschichte der deutschen Juden HH: Dr. Anna Menny
  • Jewish Women’s Archive
  • auszeiten archiv Bochum: Rita 
  • Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Archiv: Lydia Hamann-Reintgen
  • Spaarnestad Foto Den Haag: Laurencia, Ellen en Kevita
  • Gleichstellungsbeauftragte der Universität zu Köln: Dr. Gaeckle 
  • Deutsches Literaturarchiv Marbach: Mirko Nottscheid und Chris Korner

Freelancer:innen

  • Alain Gehring, Organist an der Friedenskirche Ehrenfeld, der drei Orgelstücke aufnahm
  • Martina Neschen als Kölsch-Expertin – und Sprecherin (und wunderbare Musikerin)
  • Monika Kampmann, Produzenzin  und Künstlerin der CD Eindrücke (mit u.a. Barbara von Sell) von 1997, die mir ein Lied von und mit Barbara von Sell und ihr zur Verfügung stellte
  • Fotografie: Guido Schiefer, Herby Sachs, Manfred Wegener,  Bettina Flitner, Joachim Heine  

Familienmitglieder beschriebener Jüdinnen

  • Hanan Ahlfeld
  • Gad Lewertoff zu Else Thalheimer-Lewertoff
  • Caroline Steelberg, geb. Moses and Pamela Moses (und Wolf Scheller für die Bekanntmachung)
  • Nomi Harper, geb. Düring

Expert:innen für Judentum, jüdische Geschichte

  • Dr. Barbara Becker-Jákli und Dr. Ursula Reuter für langjährige Anregungen zur jüdischen Geschichte
  • Schulamith Weil als Mitorganisatorin von Ferien vom Krieg, Dialogseminaren mit jungen Erwachsenen aus Israel und Palästina
  • Tal Kaizman für Gespräche über die Familie Bodenheimer und Shabattgrüße 
  • Marion Mäder für Einblicke in “jüdisches Denken”
  • Frau Rado, WIZO Köln
  • Malin Kundi

Chaosfestes Helfer:innenteam

  • Robert Filgner &  Jens Alvermann für die ‘Durchführung’
  • Janine Kaiser, Grafik
  • Claus Schiederich, Trouble Shooter und Einrichtung der Cloud
  • Dr. Miriam Haller 
  • Marie Schüller & Ullrich Biermann
  • Beate Gröschel, Leihgeberin von verlegten Büchern 
  • Martin Sölle, Buchhändler, Buchsalon Ehrenfeld
  • Prof. Norbert Finzsch und Carlo Gentile
  • die Damen und Herren der Organisation 321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V., u.a. Dr. Regina Plaßwilm, Stefan Meyer, Eva Dobberkau und Tristan Brelage
  • … und die Kolleginnen des Kölner Frauengeschichtsvereins

Oktober 2021 – Dr. Grete Wehmeyer

Eine Quer-Denkerin im besten Sinne

Grete Wehmeyer kam am 5. Oktober 1924 in Köln zur Welt. Über ihr Elternhaus ist nicht viel bekannt, der Vater soll Werbetexter und Wagnerfan gewesen sein, die Mutter soll im Textilgewerbe gearbeitet haben. Grete Wehmeyer lebte fast zeitlebens im Elternhaus in Lindenthal.

Die junge Frau absolvierte ein Klavierstudium an der Musikhochschule Köln, ergänzend studierte sie an der Universität zu Köln Musikwissenschaft, Deutsche Literatur und Philosophie. Ihre Doktorarbeit – vorgelegt 1950 – hatte das Thema Max Reger als Liederkomponist. Ein Beitrag zum Problem der Wort-Ton-Beziehung. Anschließend unterrichtete sie Kölner Kinder, darunter auch Flüchtlinge (Fembio). Zu ihren bürgerlichen Schüler:innen hatte sie ein durchaus gespaltenes Verhältnis: „Ich habe in den sogenannten besten Kreisen Unterricht gegeben: in den Familien von Ärzten, Studienräten, Richtern, Professoren. 96% meiner Schüler litten an ihren Familien. Das Klavierspielen hat manchem von ihnen eine eigene, genüßliche Ecke geschaffen, für andere war es eine zusätzliche Plage. Manchmal gelang es, Familien umzukrempeln, öfter wurden mir Schüler von ihren Eltern entzogen, weil ich zu wenig zum Üben ermahnte.“ (aus: Czerny 1983) Die taz-Autorin Sabine Seifert erinnert sich gerne an die Lehrerin: „Es war eine vertrauensvolle Versicherung: Wir reden erst mal, dann kannst du Klavier spielen. Sie war mütterlich, ohne bemutternd zu sein. Missionierend war sie nie. Ich nahm als Jugendliche Witterung auf. … Sie gab Unterricht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Bei den Schülerkonzerten in ihrer großen Wohnung mit den zwei Flügeln und den geöffneten Flügeltüren saßen hinterher die Herren und Damen Eltern auf dem Sofa, tranken Wein und qualmten, was das Zeug hielt. Das war der Wehmeyer-Salon, das konnte sie auch. Gutbürgerlich. Sie war locker, pragmatisch. Keine Triezerei mit Etüden, keine Triller – statt Tonleitern rauf- und runterzujagen, ließ sie mich Locke­rungsübungen für die Körperhaltung machen (die heute zu jeder Stimmbildung gehören) und die Handgelenke auf dem zugeklappten Klavierdeckel kreisen. Sie war überzeugt davon, dass man die natürliche Stellung der Hände berücksichtigen solle. Gegenläufigkeit statt Schnellläufigkeit.” 

Die Musikerin hielt Vorträge in der Volkshochschule Köln, bei der GEDOK Köln und auch im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität, wo durchaus noch Nazis lehrten und Sie spielte Konzerte der „Klassischen Moderne“ (Strauss, Strawinsky, Hindemith, Bartók, Satie u.a.).

In den 1950ern rückte ein neues Verständnis von Musik in den Fokus, 1951 entstand das später weltbekannte Studio für elektronische Musik beim (N)WDR in Köln. Nahm die Musikerin das wahr? Mit Sicherheit.  Klar ist jedoch, dass sie eher Werke der klassischen „Neuen Musik“ spielte: Schönberg, Hauer, Varèse, Cowell usw. 1983 trat sie (vermutlich) jedoch auch mit John Cage bei einer denkwürdigen Performance in Bonn auf.

Konzertpianistin zu werden war nicht ihr beruflicher Weg, sie war bei Auftritten stets nervös. Zudem wurde ihr der klassische Musikbetrieb zunehmend unerträglich, mit seinen pathetischen Ritualen der Hochkultur und Virtuositätszwängen. So entwickelte sie – angeleitet von Hans Anwander, dem Vater von Ursula Erler – ein eigenes Format, die sog. Gesprächskonzerte, bei denen sie ihre Nervosität transformieren konnte. Mit ihren „kommentierten Konzerten“ ging sie zwischen 1964 und bis weit in die 1970er Jahre auf eine weltweite Tournee an Goethe-Instituten, durch afrikanische und asiatische Länder. “Grete Wehmeyer wurde offenbar als Musik-Botschafterin eines „Deutschland nach dem Kriege“ akzeptiert.“ (fembio) Dazu trug bei, dass sie für die musikalischen Traditionen der bereisten Länder sehr offen war.

Seit 1968 war sie freie Mitarbeiterin beim WDR und anderen Sendern. „Wenn sie im Radio eines ihrer vielen ‚Zeitzeichen‘ sprach, klang ihr kölsches Idiom angenehm durch.“ (Taz) Sie verfasste Bücher über Eric Satie und Edgar Varèse, wobei die Biografie von Satie als Standardwerk gilt.

Auch “demontierte” sie das Standardwerk aller Klavierschüler:innen von Carl Czerny, einem Schüler von Beethoven und Lehrer von Liszt.  1983  publizierte sie „Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier (oder Die Kunst der Fingerfertigkeit und die industrielle Arbeitsideologie)“. Sie hinterfragte das Vorbild der Schnelligkeit beim Spielen und der kunstfertigen Fingerfertigkeit und verband es mit Kapitalismuskritik. In „ARS MUSICA—MUSICA SCIENTIA“ schrieb sie: „Die heutigen Höchstleistungen auf allen Musikinstrumenten und im Gesang sind ebenso das Produkt kapitalistischen Geistes wie der gegenwärtige Höchststand von Industrialisierung und Technisierung. Die Basis ist hier wie dort die Ideologie der Arbeit, die als Preis Askese fordert. Der »Prozess der Zivilisation« hat hier wie dort zu erheblichen Restriktionen der ungezwungenen menschlichen Äußerungen im Täglichen wie auch in der Kunst geführt.“  [Festschrift Heinrich Hüschen zum fünfundsechzigsten Geburtstag, Köln 1980]. Das rief die gesammelte Riege der Musikproduzent:innen gegen sie auf. Von Seiten der Schüler:innen gab es dagegen Zustimmung.

Nach einer Gastprofessur an der Kaiserlichen Musashino Akademie in Tokio setzte sie sich weiter mit Musiktheorie auseinander, der These des „tempo giusto“, nach der der (verhasste) Cerny die Taktgeschwindigkeit von Beethoven objektiv dokumentiert habe und so langsam seien die Stücke zu spielen und nicht anders.

 Wehmeyer lehnte sich an das 1988 verfasste Buch des Niederländers Willem Retze Talsma an, „Wiedergeburt der Klassiker: Anleitung zur Entmechanisierung der Musik“; sie folgte ihm mit der Feststellung, klassische Musik werde zu schnell gespielt und müsse entschleunigt werden.

Musik sei ein der Rede ähnlicher Gesang. 1989 veröffentlichte sie ihr Werk zur „Wiederentdeckung der Langsamkeit in der Musik“, „Prestißißimo“. Musikwissenschaftler waren abermals entsetzt.  Begründung war die Pendeltheorie, über die selbst Der Spiegel 1989 berichtete: „Die Sicherheit, daß der Einbruch der schnellen Technik die Musik vergewaltigt habe, gewinnt sie aus den Forschungen des holländischen Musikwissenschaftlers Willem Retze Talsma. Der ist davon überzeugt, daß die Metronomzahlen der Klassik seit Generationen falsch gelesen werden und die Musik deshalb um das Doppelte zu schnell erklingt: Die Klassiker zählten tack, wenn das Metronom hin- und zurückgependelt war, spätere Zeitgenossen sagten bereits tack beim einfachen Pendelschlag. Tack oder tacktack – Wehmeyers Klage über die virtuose Raserei paßt genau in den Trend. Seit Michael Ende im alternativen Märchen »Momo« unheimliche graue Herren beim Zeitdiebstahl ertappte und Sten Nadolny den Bestseller »Die Entdeckung der Langsamkeit« schrieb, fühlen sich sogenannte Zeitpioniere zum Widerstand gegen den allgemeinen Schweinsgalopp ermutigt.“ (SPIEGEL 20/1989).

 Sie schlug vor, die Metronomzahlen im Tempo zu halbieren und spielte selbst Klavierwerke im halben Tempo ein. .

Sie war zeitlebens eine markante Erscheinung: eine große Frau, eine Wissenschaftlerin mit hennagefärbten Haaren, einem hellem Lachen und kölschem Zungenschlag, eine humorvolle gute Zuhörerin. Sie liebte Jacques Offenbach und den rheinischen Humor, plädierte für die Wiedereinführung der Lachkultur in die Musik auf der Grundlage von Michail Michailowitsch Bachtins Werk „Literatur und Karneval.“

 “Unangepasst, immer unverschämt gut gelaunt. …Männer (oder Frauen) an ihrer Seite blieben, wenn es sie gab, unsichtbar.” (taz) . In Ihrem Haus in der Geibelstraße bot sie gesellige Abende an. „Konzerte, Vernissagen, Gesprächskonzerte, Vorträge … all das wurde gepflegt und es kam vor, dass zwei Tage später in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Besprechung des Events zu finden war. Immer gab es anregende, belebende und oft auch kontroverse Gespräche über das Dargebotene … und über Gott und die Welt.“ (Nachruf von Peter Paeffgen).

Grete Wehmeyer starb am 18. Oktober 2011 und damit wenige Tage nach ihrem Geburtstag.  Sie liegt im Familiengrab auf Melaten wie sie vorher im Familienhaus lebte.  Es passt zu ihr, dass ihr Name auf einem schlichten Grabkreuz steht, jedoch ein deutlich sichtbarer QR-Code die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Literatur:

* Fembio 

* https://www.spiegel.de/panorama/tack-oder-tacktack-a-7ce33524-0002-0001-0000-000013692783

* https://gedok-koeln.de/nachruf-dr-grete-wehmeyer/

* Sabine Seifert:  Die Musikpädagogin: Mein Rolemodel (Taz 2021)

Buchveröffentlichungen von Grete Wehmeyer:

• Kriminalgeschichte der Europäischen Klassischen Musik E-Book 2007

• Langsam leben Freiburg 2000

• Erik Satie Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 1974, 2. Auflage 1998

• Erik Satie. Eine Biographie Bosse Verlag: Regensburg 1998

• Höllengalopp und Götterdämmerung Lachkultur bei Jacques Offenbach und Richard Wagner Dittrich Verlag: Köln 1997 und 2000

• Erik Satie, Bilder und Dokumente München 1992

• Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sonst bin ich verloren. Mozart und die Geschwindigkeit Kellner Verlag: Hamburg 1990

 • Prestißißimo! Die Wiederentdeckung der Langsamkeit in der Musik Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 1989

 • Gioacchino Rossini Biographie, Übersetzungen aus dem Englischen 1986

 • Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier oder Die Kunst der Fingerfertigkeit Bärenreiter Verlag: Kassel 1983

 • Edgar Varèse Bosse Verlag: Regensburg 1979

Weitere Links:

 Irene Franken, 20.10.2021

Juli 2021 – Edith Leffmann

Eine widerständige Ausnahmefrau

Kaum eine deutsche Frau, geschweige eine Kölnerin, hat auf ihrem Stolperstein stehen: “in der Résistance überlebt”. Bei Edith Leffmann 1894 – 1984 ist dies der Fall. Wer war diese Frau? Warum kennt sie kaum jemand in Köln? Warum wird sie in den Büchern über Frauen im Widerstand nicht erwähnt?

Jugend, Ausbildung, Ehe

Edith Bella Leffmann, geboren am 22. Juli 1894 in Köln, war die Tochter des jüdischen Paares Martha Heidenheim und Bernd Löwenstein, eines Kölner Korsett-Fabrikanten. Martha Löwenstein heiratete – vermutlich als Witwe – in zweiter Ehe dessen Kompagnion Arthur Leffmann, der Ediths Stiefvater wurde und dessen Namen sie vermutlich annahm; er war (oder wurde nun) Direktor der Korsettfabrik Löwenstern & Leffmann. Sie hatte einen Halbbruder Fritz Leffmann und einen 1899 geborenen Cousin Dr. Ernst Leffmann, einen sozialdemokratischen Juristen, der im Belgischen Viertel lebte.

Wie vielen jüdischen Familien des beginnenden 20. Jahrhunderts war die Bildung auch von Töchtern wichtig. Edith Löwenstein legte ihr Abitur ab, absolvierte in Bonn und München ein Medizinstudium. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie als Lazaretthelferin beim Deutschen Roten Kreuz. Nach dem Studium nebst anschließender Promotion nahm sie eine erste Stelle am Berliner Kinderkrankenhaus an, eröffnete dort schon bald eine eigene Kinderarzt-Praxis. Sie wird selbst als nur knapp über 1,50 Meter groß, aber mit großen Händen und einer auffälligen Frisur in Erinnerung gerufen. Anfang der 1920er Jahre heiratete sie Robert (woanders fälschlich Rudolf ) Leffmann, vermutlich einen Verwandten ihres Stiefvaters. 1924 brachte sie den Sohn Bernd Julius („Bill“) zur Welt. Schon in dieser Zeit kam die soziale engagierte Mutter mit Mitgliedern der Roten Hilfe und der KPD in Berührung.

Verfolgung

Wie viele andere Kommunist*innen erlebte Edith Leffmann 1933 eine Sabotage ihrer Berufstätigkeit, die von Behörden wie dem Wohlfahrtsamt abhängig war, und musste ihre Praxis schließen. Sie kehrte – vermutlich mit dem Ehemann Robert Leffmann – zu ihren Eltern nach Köln zurück, lebte in der Gleueler Straße 192. Hier im Rheinland gab es beim Machtantritt der Nazis besonders viele jüdische Ärztinnen und Ärzte. Edith Leffmann (der Doktortitel war nicht mehr zulässig) arbeitete wieder in eigener Praxis als Kinderärztin; auch diese musste sie als Jüdin nach einigen Jahren aufgeben. Ab dem 30. September 1938 verloren jüdische Ärzt*innen per Gesetz ihre Approbation, erhielten Berufsverbot und mussten ihre Praxen schließen, Gemeinschaftspraxen mit ‘Arier*innen’ verlassen. Damit war ihre berufliche und bürgerliche Existenz vernichtet.

1938 verschärften sich die Lebensbedingungen für alle Juden und Jüdinnen. Edith Leffmann sorgte dafür, dass ihr Sohn 1939 gemeinsam mit den Großeltern in die Niederlande nach Amstelveen emigrieren konnte; er besuchte dort eine Exil-Schule für in Deutschland bedrohte Kinder.  Dennoch konnte sie sie letztlich nicht vor der Ermordung bewahren.

Sie selbst ging mit ihrem Mann am 17. April 1939 in das noch nicht besetzte Brüssel, wo es eine große sozialistische und kommunistische Emigrant*innenszene gab. Sie hofften auf eine Wende durch politische Aktivitäten. Im April 1940 starb ihr Mann, Edith Leffmann entschloss sich, nach Frankreich weiter zu ziehen. Ihrer Vorstellungen von politischer Arbeit in der Résistance erfüllten sich zunächst nicht, sie wurde verhaftet und für zwei Jahre im das südfranzöschen Lager Camp de Gurs interniert. Hier konnte sie zumindest den Lagerhäftlingen beistehen.

Widerstand

Ihr gelang die Flucht aus dem Lager Gurs, endlich konnte sie sich der Résistance, Sektion Travail Allemand, anschließen. Sie blieb zunächst in Südfrankreich, trat dem Comité „Allemagne libre“ pour l’Ouest bei, das dem KPD-nahen Nationalkomitee Freies Deutschland assoziiert war. Ziel war, Angehörigen der deutschen Wehrmacht gegen den Krieg umzustimmen; dazu gehörte die Verteilung von Propagandamaterial. Auf Anregung der Résistance kehrte sie noch während des Krieges – getarnt als die französische Krankenschwester Marie-Louise Lefèbre nach Deutschland zurück, um Untergrundarbeit zu leisten. In einer Papierwarenfabrik in Eger (heute Tschechien) konnte sie unter den anderen (Zwangs-)Arbeiterinnen agitieren und sich für Sabotage stark machen. Derweil wurde Dr. Edith Leffmanns Mutter aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert und ihr Sohn Julius / Bill aus der niederländischen Quäkerschule heraus in das KZ Herzogenbusch verbracht; der Jugendliche wurde über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo er im September 1942 getötet wurde (Stolperstein). Der Vater war bereits in Amsterdam verstorben.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg lebte Dr. Edith Leffmann in Ludwigshafen und Mannheim und wurde gleich wieder politisch aktiv: Sie reiste im Frühsommer gemeinsam mit dem Widerstandskämpfer Alphonse Kahn über Paris in die französische Besatzungszone ein und ließ sich im August 1945 in Ludwigshafen nieder. Zunächst ging Dr. Leffmann als jüdische Vertreterin in den Betreuungsausschuss für die Opfer des Faschismus, der 1950 in das Amt für Wiedergutmachung und Kontrolliertes Vermögen überführt wurde. Sodann trat sie der KPD bei, arbeitete später im Ludwigshafener Friedenskomitee mit und kandidierte 1951 auf der Liste der KPD für ein Mandat im rheinland-pfälzischen Landtag. Sie war Mitbegründerin der VVN, die erste rheinland-pfälzische Vorsitzende der VVN, Mitglied im VVN-Zonensekretariat und hielt auch bei Anfeindungen und Kriminalisierung der Orgabnisation (Strafbefehl im August 1952) zu ihr.

Edith Leffmann leistete trotz ihrer persönlichen Verluste, der anstrengenden Arbeit in deutschen Fabriken und der psychischen Grenzsituation einer mit falscher Identität in Deutschland agitierenden Frau, schließlich trotz gesundheitlicher Probleme Großes für die medizinische Versorgung der Nachkriegspatient*innen, viele davon Kinder von Täter*innen. Auch diese behandelte sie laut Zeitzeug*innen gleich zugewandt.  Sie sagte: “Ich kenne keinen Hass ausser den gegen den Krieg.” (Zeitzeuge Bernd Köhler)

Ihre eigene Praxis eröffnete sie 1950 in der Carl-Friedrich-Gauß-Straße im Hemshof (früher Kruppstraße 6), in einem der wenigen Häuser, nicht beschädigt waren.  In Ludwigshafen erhielt sie dafür schon zu Lebzeiten den Ehrentitel ‘Engel von Hemshof’.   Zeitzeug*innen brachten Beispiele für ihr Engagement:

“Ihr Wartezimmer war ständig überfüllt von unterernährten Kindern und weinenden Müttern. Die Kinderärztin Dr. Edith Leffmann arbeitete in der Nachkriegszeit bis zur totalen Erschöpfung. Kein Kind verließ ihre Praxis ohne ein Stück Schokolade oder ein Bonbon.” (Bericht von Bernhard Wadle-Rohe). oder: “Dr. Edith Leffmann hat mir das Leben gerettet. Ich hatte damals Lungenentzündung, Gelbsucht und Wasser in der Lunge.” (Monika Trautmann, Zeitzeugin). „Unsere Tochter Monika hatte mit vier Jahren plötzlich, nachts um ein Uhr, heftige Schmerzen. Ich rief die Frau Doktor an und sie kam sofort, drückte ihr auf den Bauch und rief: Sofort in die Kinderklinik nach Mannheim! Der Engel vom Hemshof hat ihr das Leben gerettet” (Mutter von Monika T.) . „Sie kam um die Babies zu besuchen direkt mit dem Taxi in die Häuser gefahren, ist dann von Patient zu Patient gefahren, um den kleinen Leuten zu ersparen im kalten Winter zu ihr in die Praxis zu kommen.” (Emma Schüssler)  Bernd Köhler führte 1978 ein Interview mit ihr für ein geplantes Buch über Antifaschist*innen. “Die Ärztin war da bereits im Ruhestand, lebte in Mannheim. ‘Ich erinnere mich noch, wie wir da hoch sind in den 5. Stock, da machte jemand die Tür auf, den man nicht gesehen hat, weil sie so klein war. Unglaublich geschminkt, mit so einer sonorigen Stimme, eine tolle Frau. Sie hat uns dann auch später erzählt, dass sie sich damals, als sie nach Deutschland geschickt wurde von der Résistance, als Französin zurechtgemacht hatte. Das hat sie später beibehalten.'”

Seit 1960 wohnte sie in Mannheim, wo sie am 3. Februar 1984 im Alter von 90 Jahren starb. Ihr Grab auf demMannheimer Hauptfriedhof existiert leider nicht mehr. 

Ehrungen

Nur wenige Frauen aus Köln haben sich so eindeutig und kraftvoll gegen die Nazidiktatur, und nach 1945 gegen das Vergessen, die Wiederaufrüstung und die Rehabilitation von politisch und ethnisch (‘rassisch’)  Verfolgten des Nationalsozialismus eingesetzt. es wird berichtet, sie habe vor Energie gestrotzt und sei trotz (oder wegen?) ihrer dunklen Stimme für die Kinder eine Vertrauensperson gewesen.

Nach ihrem Tod setzten sich verschiedene Initiativen für eine Würdigung von Edith Leffmann ein. In Köln setzte Gunter Demnig im März 2012 einen Stolperstein, auf dem steht: “Hier wohnte Dr. Edith Leffmann, geb. Leffmann [eigentlich Löwenstein, die Verf.] Jg. 1894, Flucht 1939, Belgien/ Frankreich, interniert Gurs. Tätig als Ärztin in der Résistance. Überlebt”. Ebenso wird an ihren Sohn und den Ehemann Robert erinnert. In Ludwigshafen konnte 2013 erst gegen den Widerstand der CDU-Mehrheit im Stadtrat eine Gedenktafel vor den ehemaligen Praxisräumen angebracht werden, Antifaschist*innen um Bernhard Wadle-Rohe hatten 14 Jahre lang dafür gekämpft. Es wurde u.a. ‘geprüft’, ob sie als Angehörige der 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands eine Stalinistin gewesen sei…

2007 wurde im Rahmen des Mannheimer Kultursommers die Lebensgeschichte der Widerstandskämpferin und sozial engagierten Ärztin Edith Leffmann in der Reihe Revolutionärinnen des Alltags künstlerisch in Szene gesetzt.

Literatur und Quellen:

* Bernd Köhler führte als Student 1978 in Mannheim ein Interview mit Edith Leffmann nach ihrer Pensionierung.

* Broschüre »Widerstehen: damals – heute – morgen« zum 70. Jahrestag der VVN , Frühjahr 2017

* Aus dem kämpferischen Leben des fast vergessenen Engels vom Hemshof. Altriper Schülerin Esther Tabea Kuntz schreibt Facharbeit über die 1984 verstorbene jüdische Ärztin Edith Leffmann, in: Ludwigshafener Rundschau,  56  (2000), Nr. 249 vom 26.10.2000.

Weblinks:

 * https://www.geni.com/people/Dr-Edith-Leffmann/6000000088898031877

* https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Leffmann

* https://antifa.vvn-bda.de/2017/01/20/zwei-mitbegruenderinnen-der-vvn/

* https://www.ewo2.de/01_home/Leffmann.htm

* https://www.joodsmonument.nl/en/page/29290/bernd-julius-leffmann

* https://www.rheinpfalz.de/lokal/ludwigshafen_artikel,-der-engel-vom-hemshof-_arid,662848.html

* https://kommunalinfo-mannheim.de/2016/09/22/ich-kenne-keinen-hass-ausser-gegen-den-krieg/ 

*https://de.wikipedia.org/wiki/QuC3%A4kerschule_Eerde#Bernd_Leffmann_(geb._20._September_1924_Berlin,_gest._24._September_1943_Auschwitz)

* https://www.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fimages%2FImages%2520349%2FLudwigshafen%2520Gedenktafel%2520Leffmann%2520010.jpg&imgrefurl=https%3A%2F%2Fwww.alemannia-judaica.de%2Fludwigshafen_synagoge.htm&tbnid=vvPjhhvIcXI2zM&vet=12ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd..i&docid=6nQrBgP1a6ioLM&w=1200&h=804&q=%22edith%20leffmann%22&ved=2ahUKEwiOqaWcsdHyAhVP66QKHbPfDKEQMygNegQIARBd  

IF , Juli 2021 

März 2021 – Auguste (Gussie) Adenauer

Auguste (Gussie) Adenauer (1895 – 1948)

aber ihr wurde eine fundierte Ausbildung verwehrt.  Als Anfang 20-Jährige entschied sie sich, die Stiefmutter  der drei Kinder des verwitweten Politikers Konrad Adenauer zu werden. Sie hat mit dem häufig abwesenden, weil politisch so erfolgreichen Mann die Familie noch  vergrößert. Die elegante Frau hielt sich meist im Hintergund, nur einmal äußerte sie sich öffentlich zur Politik.

Bedingt durch psychische Folter in der NS-Zeit  verlief ihr restliches Leben tragisch.

Gussie Adenauer, geb. Zinnser (1895-1948) © KAS

 Auguste (Gussie) Adenauer

Augustes Vater war der Dermatologe Prof. Dr. Ferdinand Zinsser, der einen Teil seiner Kindheit in den USA verbracht hatte. Über die Mutter Wilhelmine (Minna) Tourelle ist wie so häufig nicht viel bekannt, das Paar war ggf. Cousin und Cousine. Die Familie war protestantisch und lebte in der Lindenthaler Haydnstraße 7-9. Während Bruder Ernst, der ca. acht Jahre jünger war, studieren und Architekt werden konnte, wurde dies der Tochter nicht zugestanden, obwohl seit 1908 in Preußen das Frauenstudium erlaubt war. Immerhin erhielt die begabte Tochter eine fundierte kulturelle Bildung, sie spielte hervorragend Geige.

1911 zogen die Familie Zinsser in die Max-Bruch-Straße Nr. 6, benachbart zum Stadtverordneten Konrad Adenauer, seiner Frau Emma und deren drei Kindern. Die Familien pflegten bald ein freundschaftliches und zwangloses Verhältnis. 

Die neue Frau Adenauer

 Nachdem Emma Adenauer 1916 verstorben war verspürte Konrad Adenauer das Bedürfnis, seinen Kindern bald eine neue Mutter andienen zu können. Gussie Zinsser und Konrad Adenauer verband die Liebe zur Natur, zum Gärtnern und zur Musik, sie schrieben sich zunächst ganz züchtig zahllose Briefe. Der 40-jährige Adenauer verjüngte sich in diesen Monaten äußerlich, was sicher nicht nur politisch motiviert war (Beginn des demokratischen Staates 1918). Vier Jahre nach Emmas Ableben heiratete die 24-jährige Gussie den hochrangigen Kölner Repräsentanten der Stadt und kümmerte sich um die drei Kinder Konrad, Max und Maria, die zwischen sieben und 13 Jahre alt waren. Zuvor war sie zum katholischen Glauben konvertiert, was ihr nach Erinnerung ihrer jüngsten Tochter Libet nicht leicht fiel: „Sie hatte Mühe, sich mit dem starren Geboten zurechtzufinden. Ihre Religiosität war unmittelbarer. Ihre Liebe zu Gott ermöglichte ihr jedoch ein tiefes Verständnis vieler Heiliger.“ (Werhahn, Libet s.u., S. 80) Die Konversion hielt sie nicht davon ab, weiterhin Ideen einer Ökumene anzuhängen.

Unentbehrliche Ratgeberin und Mutter

Ab 1921 folgten fünf Geburten; das erste Kind starb, was sicher nicht leicht zu bewältigen war. Die folgenden vier Kinder überlebten (Paul, Charlotte, Elisabeth/Libet und Georg). Der Ehemann war viel unterwegs und hatte oft Kopfschmerzen, so prägte die Mutter „die häusliche Atmosphäre…, dem heiteren Lebensstil ihres Elternhaus folgend, förderte warmherzig und lebensbejahend ein fröhliches, abwechslungsreiches Familienleben.“ (ebenda) Das Paar tauschte sich über Politik aus und Gussie wurde ihrem Mann eine unentbehrliche Zuhörerin und Ratgeberin; sie teilte seine Erfolge und seine Zweifel, z.B. angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen. Die elegante Frau Adenauer begleitete ihren Mann auch gerne nach Berlin, wo dieser als Mitglied des Staatsrates agierte. Sie nahm Termine wahr egal ob in Bergmannsmontur bei der Fahrt in einen Kohlenschacht oder im feinen Seidenkleid bei der kulturelle Veranstaltung. Die Mutter von sieben Kindern wusste sich zuhause von einer ausgebildeten Kindergärtnerin unterstützt, beide Frauen waren Anhängerin der Pädagogik von Maria Montessori.

Grabstätte von Konrad Adenauer und seinen zwei Ehefrauen nebst dem als Säugling verstorbenen Kind Ferdinand auf dem Waldfriedhof in Rhöndorf, © Die Turmkoop/Irene Franken

 Die Neu-Katholikin wurde zur Bezirksvorsitzenden im Ortsverein Köln des einflussreichen Katholischen Deutschen Frauenbundes gewählt. Die Mitwirkung im Deutschen Roten Kreuz war ein Zeichen nationaler Verbundenheit. 1929 ließ sie sich in den geschäftsführenden Arbeitsausschuss des Frauenbeirates der Kölner Zentrumspartei wählen. Ebenso engagierte sie sich für Künstlerinnen, wurde 1929 Mitgründerin des Frauen-Kunstverbandes Gedok und förderte jüngere Frauen als sog. Kunstfreundin. Diese luden z.B. Musikerinnen oder Rezitatorinnen in ihre repräsentativen Behausungen ein und ermöglichten ihnen Aufführungspraxis oder stellten Kunstobjekte aus. Diese Mitgliedschaft brachte sie in Kontakt mit vielen nichtkonfessionell engagierten Frauen des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine, u.a. mit Else Falk, der bedeutendsten Kölner Frauenrechtlerin der Weimarer Spätzeit, mit der Zionistin Rosa Bodenheimer oder der Sozialdemokratin Dr. Hertha Kraus.

Als die Verhältnisse auf eine Nazi-Diktatur zuliefen, ergriff sie Partei. Am 25.2.1933 unterschrieb sie mit anderen prominenten katholischen Frauen einen Wahlaufruf und legte den Kölner Frauen die Wahl der Liste 4 (Deutsche Zentrumspartei) bei der Reichstags-Wahl am 5.3. und der Kommunalwahl am 12.3. nahe. Der Aufruf sprach sich nicht explizit gegen die Nazis aus, wohl aber „gegen Straßenterror und hemmungslosen Hass.“ Laut der Konrad Adenauer Stiftung erlitt sie dafür „Diffamierungen und Drohungen der Nationalsozialisten.“ Das war vermutlich Gussie Adenauers erste und letzte explizit politische Äußerung.

Leben in Gefahr

Ihr Ehemann wurde von der NSDAP noch im März 1933 seines Amtes enthoben, obwohl er Anfang der 1930er Jahre durchaus offen war für eine Koalition mit der NSDAP. Trotz der erkennbaren Beliebtheit bei vielen Kölner:innen gab es nach seiner unehrenhaften Entlassung kaum öffentliche Solidarisierungen. Konrad und Gussie Adenauer und die Kinder vermieden 1934 durch Wegzug nach Potsdam offene Anfeindungen, Konrad Adenauer hoffte jedoch vergeblich, dort eine neue Anstellung zu finden. 

Im weiteren Verlauf der NS-Diktatur wurde Auguste Adenauer für ihren Mann eine große Stütze. Laut der Freundin des Hauses Dora Pferdmenges gab sie ihm die Kraft, das Leben ohne Amt und im Versteck zu ertragen. Der tatenlose 60-Jährige erwies er sich in dieser Zeit als strenger Patriarch; der Alltag von Gussie und den vier im Haushalt verbliebenen Kindern muss bisweilen hart gewesen sein, da sich Konrad intensiv in das Leben seiner Kinder einmischte, sofern er nicht wegen Verhaftungsdrohungen oder Ausweisungen abwesend war. Als sich keine neue Arbeitsmöglichkeit ergab, beschloss die Familie 1935, nach Rhöndorf im Siebengebirge zu ziehen. Das bald bezogene Wohnhaus, heute ein Museum, hatte Gussies Bruder Ernst entworfen. Mit Gussies Hilfe konnte Konrad Adenauer nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 und der kurzfristigen Inhaftierung auf dem Deutzer Messegelände in den Westerwald fliehen. Dadurch brachte er jedoch seine Familie und vor allem seine Frau in große Bedrängnis. Um auf die Ehefrau des prominenten katholischen Regimegegners Druck auszuüben wurde sie in der Gestapo-Zentrale am Appellhofplatz (EL-DE-Haus) in´haftiert, wo ihr Gewalt angedroht wurde, wenn sie nicht den Aufenthaltsort ihres Mannes preisgebe. Auch wurde in Aussicht gestellt, bei Weigerung die Töchter im Gestapokeller zu inhaftieren. Nach wenigen Tagen verlegten die NS-Schergen sie nach Brauweiler. Die sechszehnjährige Tochter Libet besuchte sie dort und fand eine gebrochene Frau vor: „Sie schaute mich apathisch an. Ihre Augen waren tiefdunkel umschattet. Sie können sie bald wieder haben, sagte man mir. Wir sind ihrem (sic) Vater auf der Spur.“ (Werhahn, S. 86).

Von den Nazis gebrochen

Gussie hatte unter der Drohung gegen die Töchter das Versteck ihres Mannes verraten – und dieser wurde aufgegriffen. Den Tag der Silbernen Hochzeit am 25. September 1944 verbrachte das Paar – unwissend – benachbart im Gestapo-Gefängnis Köln-Brauweiler, aber getrennt in der Frauenabteilung resp. Männerabteilung. Beide erlebten unvergessbare Gräueltaten und mussten dort laut einer Aussage Konrad Adenauers Folterungen anhören.

 Aufgrund ihres hohen moralischen Ethos konnte Auguste Adenauer sich die Preisgabe des Verstecks nicht verzeihen. Sie unternahm in Haft einen Suizidversuch. Diese Handlung, mit der sie die Gebote ihrer Religion vestieß, spiegelt ihre seelische Not wider. Daraufhin wurde sie freigelassen. Sie litt aber noch länger an den Folgen ihrer schweren Tablettenvergiftung.

Auch wenn der Ehemann ihr nie einen Vorwurf machte wurde sie ihres Lebens nicht mehr froh.

Die Entscheidung Konrads, wieder OB von Köln zu werden, trug die Familie mit, seine unehrenhafte Entlassung durch die Briten am 6. Oktober 1945 wegen angeblich unterlassener Pflichterfüllung traf Gussie Adenauer in ihrer psychisch instabilen Situation schwer. Sie erkrankte lebensbedrohlich. 1946 gründete Konrad Adenauer in der Britischen Zone die CDU, Gussie nahm anders als andere katholische Weggefährtinnen wie Christine Teusch keinen aktiven Anteil.

Am 3. März 1948 starb sie qualvoll im Beisein des 72-jährigen Ehemannes und einiger der Kinder mit nur 52 Jahren im Bonner Johanneshospital, – an den Folgen des misslungenen Suizids, wahrscheinlich kam eine Leukämie hinzu, aber sicher spielte auch Verzweiflung eine Rolle bei diesem frühen Tod. Auch die zweite Ehefrau ließ Konrad Adenauer als Witwer zurück. Tochter Libet erinnert sich: „Und unser Vater fiel (…) für mehrere Tage komplett aus. Er schloss sich ein und war für uns überhaupt nicht mehr erreichbar.“ (Werhahn). Diese Trauer erwähnte er später als einen von wenigen privaten Momenten in seinen Memoiren.

Ehrung

1963 wurde im Wenigerbachtal bei Bendorf ein Haus des Katholischen Deutschen Frauenbundes nach Gussie Adenauer benannt, es diente der Müttergenesung. Bundeskanzler Konrad Adenauer kam zur Einweihung am 25. Mai 1963, was wohl auch eine Intention der Namensgebung gewesen war, denn im Gefolge kamen viele geistliche Würdenträger und die Presse. Anneliese Debray begründete die Wahl der Namenspatin mit den Worten “Gussie Adenauer, Gefährtin und Helferin in Notzeiten und Verfolgung, als Bild der Ermutigung für viele Mütter, die täglich mit neuem Leide aus den Großstädten zu uns kommen”.

Irene Franken

Lit. und Links:

  • Werhahn, Libet (zus mit. Marlene Zinken): Im Wechselbad der Geschichte. Gussie Adenauer, in: Der unverstellte Blick. Unsere Mütter (aus)gezeichnet durch die Zeit 1938 bis 1958. Töchter erinnern sich, Opladen/Farmington Hills, Mich. 2008 , S. 80-89
  • Franken, Irene:
  • Gussie Adenauer – Die Frau an seiner Seite. In: Rita Wagner, Kölnisches Stadtmuseum (Hrsg.): Konrad der Große – Die Adenauerzeit in Köln 1917–1933. Nünnerich-Asmus, Mainz 2017, S. 25–27. (Begleitband zur Ausstellung Konrad der Goße im Kölnischen Stadtmuseum).
  • https://www.konrad-adenauer.de/wegbegleiter/a/adenauer-gussi
  • Sack, Birgit: Zwischen religioeser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/19 – 1933, Münster 1998
  • http://www.imsichtfeld.de/adenauerwelt/zuhause/
  • vgl. HAStK Best. 903 Billstein, Heinrich, A 364 Wahlaufruf

Februar 2021 – Maria Mies

Prof. Dr. Maria Mies im Januar 2018 © Kölner Frauengeschichtsverein, Fotografin: Irene Franken

 Immer wieder wird sie von jungen Frauengenerationen entdeckt – die Kölner Wissenschaftskritikerin und Aktivistin von Weltrang. Maria Mies schaffte den Aufstieg von der Eifler Bauerntochter zur Professorin, – eine Beispiel-lose Karriere.  Die Soziologin entwickelte Grundlagen-Diskurse zur Frauenforschung und beschäftigte sich besonders mit den Arbeitsbedingungen der Frauen des Südens. Sie ist bis heute eine der  bekanntesten und international meist vernetzten Kritikerinnen der Globalisierung. Am 9.2. 2021 wird Maria Mies 90 Jahre alt, – Anlass für eine  Würdigung!

Maria Mies wurde am 6.2. 1931 in der Vulkan Eifel geboren; sie war das siebte von zwölf Kindern.  Das Mädchen war sehr wissbegierig und schaffte es als erstes ihres Dorfes, den Besuch einer Höhere Schule durchzusetzen. Sie wurde zunächst – auf Umwegen – Lehrerin für Englisch und Deutsch, dann wurde ihr das Umfeld zu eng und sie zog in die Welt. Die Anregungen aus dieser agrarisch geprägten Kindheit nahm sie jedoch immer mit, u.a. später in ihrer Theorie der Subsistenzperspektive oder in den Titel ihrer Autobiografie: Das Dorf und die Welt.

Freiheitsliebe und Abenteuerlust führten die junge Lehrerin in den 1960er Jahren fünf Jahre lang an ein Goethe-Institut im indischen Pune (früher Poona). Dort unterrichtete sie junge Inder:innen in der deutschen Sprache – und machte erste soziologische Beobachtungen, wie sie in ihrer Autobiografie schildert: „Als ich nach Indien ging, war ich noch total unpolitisch. Im Goethe-Institut in Pune traf ich nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die Deutsch lernen wollen. Was bezweckten die Frauen damit, fragte ich mich. Eine indische Professorin für Anthropologie hat mir vorgeschlagen, eine Umfrage durchzuführen, was ich zuvor noch nie gemacht hatte. Das Ergebnis des Fragebogens ‚Why German?‘, also ‚Warum Deutsch?‘, war wie erwartet, was die Männer betraf: Sie gehen nach Deutschland, um

 Zurück in Deutschland ging sie folgerichtig an die Kölner Universität und forschte bei dem Soziologen Prof. René König zum Patriarchat in Indien und Deutschland. Ihre Dissertation von 1971 trug den Titel „Rollenkonflikte gebildeter indischer Frauen“ (veröffentlicht 1973 unter dem Titel “Indische Frauen zwischen Patriarchat und Chancengleichheit. Rollenkonflikte studierender und berufstätiger Frauen”.).  

Nicht zuletzt als Folge des Studiums in den bewegten Jahren 1968/69/70 wurde sie politische Aktivistin. Zunächst beteiligte sich die Studentin an mehreren Kölner Nachtgebeten in der Antoniterkirche, einer progressiven Form des politisch aufklärenden Gottesdienstes. So war sie am 5. Januar 1971  beim Nachtgebet zum Thema Frauenemanzipation beteiligt, was langfristige Folgen hatte:

„Eine Freundin hatte mich zu der Nachtgebetsgruppe mitgenommen und ich beschloss, dort mitzumachen. Ich war Studentin und trotz meiner Religionskritik noch in der Kirche“, heisst es in ihrer Autobiografie. „Ich wollte diese patriarchalischen Strukturen in einem Politischen Nachtgebet darstellen, kritisieren und zu Veränderungen aufrufen. […] Als Slogan für unser Flugblatt wählten wir einen von uns etwas abgeänderten Satz von Ernst Bloch: ‚Die Frau liegt (immer noch) unten.‘ “ Schon damals hatte sie die Abwertung der Frauenarbeit im Blick: „Der Kern unserer Kritik galt der üblichen familialen Arbeitsteilung: Der Mann ist der ‚Ernährer‘, der das Geld verdient. Die Arbeit der Hausfrau zählt nicht.“

Das Vorbereitungsgremium aus vier Frauen, darunter Dorothee Sölle, sprach sich für ‚männerfreie‘ Gruppen zur Selbstfindung aus. Nach Erlangung des nötigen Selbstbewusstseins könne es gemeinsam mit den Männern weitergehen; die angestrebten Veränderungen würden im Übrigen auch den Mann befreien. 

Diese Utopien wurden in der Tagespresse belächelt, aber von den anwesenden Frauen gut angenommen. Im Anschluss an den Abend, der wegen des Andrangs sofort wiederholt wurde, gründeten sich in Köln VHS-Kurse zu der Thematik, die über Jahrzehnte fortgeführt wurden, sie wurden für unzählige Frauen zum Auslöser von Emanzipationsprozessen. Und es bildete sich die erste lokale Frauengruppe der neuen Frauenbewegung, das Frauenforum Köln e.V.

1971 konnte der weite Begriff Emanzipation Frauen noch zusammenführen. Mit dem Erstarken des autonomen Feminismus und der Frauen in linken Vereinigungen erfolgten die ersten Abspaltungen. So haben sich1972/3 vom Frauenforum bald die Sozialistinnen abspalteten, sie gründeten die Sozialistisch-feministische Aktion (Sofa); Maria Mies war aber in keiner der beiden Gruppen aktiv. Sie bereitete ihre Uni-Karriere vor.

Maria Mies im Sommer 2013 © Kölner Frauengeschichtsverein, Fotografin: Gabriela Schaaf

Von 1974 bis 1977 führte sie im Rahmen eines Lehrauftrages an der Universität Frankfurt Seminare zur „Geschichte der Internationalen Frauenbewegung” durch. Diese Kurse waren von Frankfurter Studentinnen erstritten worden, um einen Lehrstuhl zur Frauenforschung  durchzukämpfen.  Maria Mies übernahm danach einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Köln für Sozialpädagogik an und wandte sich zunehmend feministischen Inhalten zu. Die 1. Internationale UN-Frauenkonferenz in Mexiko 1975 hatte Maria Mies weitere Erkenntnisse – und Fragen verschafft. Sie stellte fest, dass sie kaum etwas über die ‘alte’ Frauenbewegung in Europa, geschweige denn über die Bewegungen in anderen Teilen der Welt wusste, und dass sie dies auch ihren überwiegend weiblichen Studierenden nicht vermitteln konnte. Daraus folgte für sie: Es müssen neue Wissensfelder und neue Formen der Vermittlung her. Zwar sollten es keine Selbsterfahrungsgruppen sein, wie sie aus den USA herübergeschwappt waren, aber Frauenseminare, deren Inhalte praktisch-politisch umgesetzt werden konnten.

Erkannt – getan, sie richtete Frauenseiminare an der FH ein.

„Da war vor allem die Erfahrung der Gewalt: Um diese Zeit war von Erin Pizzey das erste Haus für geprügelte Frauen im Londoner Stadtteil Chiswick errichtet worden. Die Studentinnen beschlossen, auch in Köln ein Haus für geschlagene Frauen zu gründen.“  So war Maria Mies eine der ‘Hebammen’ des ersten Hauses für geschlagene Frauen, das aus der autonomen Frauenbewegung heraus entstand (vorher gab es erst eines des Berliner Senats).

1978 veröffentlichte die Soziologin ihren vielleicht meist rezipierten Text „Postulate der Frauenforschung“, der im deutschsprachigen Raum direkt großes Aufsehen erregte: Die Verfasserin verlangte nicht nur, den ‚subjektiven Faktor‘ der Forschenden offen zu legen, sondern sie forderte Parteilichkeit für Frauen, was gegen das Dogma der (vermeintlichen) wissenschaftlichen Objektivität verstieß. Nicht alle Wissenschaftlerinnen folgten ihr. 

Mies war schon lange Internationalistin, hatte früh begonnen, weltweit Kontakte zu knüpfen. 1979 begründete sie am Institute of Social Studies in Den Haag den Schwerpunkt “Women and Development“. Als Marx-Kritikerin beschrieb sie z.B. 2003, dass der Kapitalismus das Patriarchat nicht aufgehoben habe, was Marx vorausgesagt habe. Der Kapitalismus schaffe immer neue Ungleichheiten. Mies betrachtete Hausarbeit als Basis des Kapitalismus, im Gegensatz zu Marx, der die Lohnarbeit als Basis ansah. Daher folgte sie teilweise Rosa Luxemburg in ihren ökonomischen Abhandlungen, erweiterte diese jedoch um Thesen zur Unterbewertung der Haus- bzw. Reproduktionsarbeit. Die sichtbare Lohnarbeit sei weiß, männlich und in den Ländern des Nordens durch Arbeitsverträge geregelt. so Mies. Nur diese käme in den Berechnungen es Bruttosozialprodukts vor. Darunter läge wie bei einem Eisberg der Hauptteil unsichtbarer Arbeit von weißen und schwarzen Frauen (auch in der Prostitution) und auch bei Männern in sog. McJobs. Unsichtbar sei des weiteren die Arbeit in der sog Subsistenzwirtschaft durch Bäuerinnen/Bauern, die ihre Landwirtschaft zum eigenen Erhalte betrieben (Kleinbauern) oder durch kleine Handwerker:innen, die für den lokalen Markt arbeiten, sodann durch Kolonialisierte.

Eines ihrer bekanntesten Bücher ist der Sammelband Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit (1983) das sie mit den sog. Bielefelderinnen (V. Bennholdt-Thomsen und C. von Werlhof.) herausgab.

Mies entwickelte die These der Hausfrauisierung, die sie später in der Zeit der neoliberalen Globalisierung auf die Männer ausweitete, da auch sie immer weniger auf geschützte Beschäftigungsverhältnisse zählen könnten… 

Nochmals ging sie nach Indien, produzierte eine beeindruckende Studie über Spitzen-Arbeiterinnen, in der sie dargelegte, wie diesen durch Entzug der Kenntnisse und Aufträge von Häkel-Motiven eine erhöhte Ausbeutung der Frauen möglich war: Sie konnten nur noch einzelne kleine Rosetten häkeln und diese selbst nicht mehr verkaufen (Lace Makers of Narsapur. Indian Housewives Produce for the World Market, 1982). Übrigens heiratete sie nach langer Fernbeziehung den indischen Wissenschaftler Saral Sarkar, der seit 1982 mit ihr in Deutschland lebt.

Ihre Forschungsschwerpunkte waren nun Landfrauen in der (wies es damals hieß) Ersten und Dritten Welt, Kapitalismus und Subsistenz, Gentechnik und immer wieder Alternativen zur globalisierten Wirtschaft. Sie publizierte feministische, ökologische und entwicklungspolitische Bücher, die auch ins Englische übersetzt wurden und weltweit Beachtung fanden. Sie folgerte, gerade von den Frauen müsse die Frage kommen, welche Wirtschaft und welche Gesellschaft wir wollten – „was ist möglich auf einem begrenzten Planeten?“ Maria Mies nahm heutige Diskurse wie ‚Es gibt keinen Planet B’ vorweg, forderte ein Zurückfahren des Konsums – heute wird diese Bewegung degrowth genannt, Schrumpfen, – eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform einrichten, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. „Wir sind der Überzeugung, dass die gemeinsamen Werte einer Postwachstumsgesellschaft Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation sein sollten. Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen.“ Sie verstand Subsistenzwirtschaft nicht als Zurück ins Mittelalter, sondern als das Verfolgen eines anderen Ziels beim Wirtschaften: die Wiederherstellung des Lebens; die Grenzen der Natur, auch der eigenen Körperlichkeit, erkennen; Nahrungsproduktion vor Industrieproduktion; den Wachstums Wahn beenden; Fülle und Vielfalt statt Monokultur; lokales Wirtschaften; Gemeingut- und Allmenden-Denken hochschätzen; die Verhinderung der Privatisierung von Wasser usf. 1996 erlebte ihre Broschüre “Die Befreiung vom Konsum”  ihre 2. Auflage.

Ab den 1980ern und damit sehr früh hat sie zur internationalen Vernetzung der globalisierungskritischen Bewegung beigetragen. Mies’ Kritik richtet sich gegen die unzureichende demokratische Kontrolle internationaler Finanz- und Handelsinstitutionen wie die WTO, den IWF und die Weltbank,. Sie gründete in Deutschland das Komitee Widerstand gegen das MAI  (Multilateral Agreement on Investment) mit, das die bundesdeutsche Öffentlichkeit erstmals über länderübergreifende privatwirtschaftliche, Heuschrecken-freundliche Abkommen informierte, die die Herabsenkung aller Standards für ArbeitnehmerInnen und Umwelt beinhalteten und zu deren Verarmung bzw. Zerstörung führen werden. Deren Existenz wurde einer größeren Allgemeinheit jedoch erst durch den Kampf gegen das TTTP bekannt.

Maria Mies gebrauchte auch früh den Begriff des Guten Lebens, – heute gibt es in Kölner Stadtteilen den Tag des guten Lebens! Dabei wird dann gern auf internationale Bewegungen, auf indigene Völker in Bolivien rekurriert, die das Entwicklungsparadigma des Westens in Frage stellen. Diese Ideen des guten Leben zusammen mit Tieren, mit Pflanzen, mit anderen Menschen, mit einer anderen Ethik, wäre auch in Köln zu finden gewesen …

1993 kam die Emeritierung – aber Maria Mies blieb noch lange in der feministischen und globalisierungskritischen Bewegung, zum Beispiel bei Attac Köln, feminist attac etc., aktiv. Jedoch ging die den Weg des gender mainstreamings nicht mit: “Ich bin gegen diese Gleichstellungspolitik. Mit dem, was Männer heutzutage im kapitalistischen Patriarchat machen, will ich nicht gleichgestellt werden. Die Männer verkörpern nicht das ideale Menschenbild für mich. Die Menschen sollten nicht sein, wie die patriarchalen Männer heute sind. Egal in welchem Land. Wir haben in Deutschland eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin. Dadurch wirkt das Land vermeintlich fortschrittlich. Viele Feministinnen denken so. Aber die Politik, die diese beiden betreiben, ist doch dieselbe, sie ist patriarchalisch, sie ist kapitalistisch, sie ist kolonialistisch – wie eh und je. Was geändert werden müsste, ist dieses ganze Bild, die ganze Vorstellung und die ganze Weltanschauung, die den idealen Menschen im Mann sieht. Und das ist eine uralte Geschichte. Das hat nicht jetzt erst angefangen.”

Maria Mies lebt weiterhin mit ihrem Mann in Köln. Sie hat ihren gesamten Vorlass dem Kölner Frauengeschichtsverein übergeben. Das große Konvolut wird von der Archivkollegin Gabriela Schaaf kompetent und kontinuierlich in unserer Datenbank erfasst, um ihn zeitnah für Forschungen zur Verfügung zu stellen.  

Links:

 2020 las Maria Mies für den Kölner Frauengeschichtsverein aus ihrer Autobiografie

Irene Franken, Januar 2021.

Februar 2020 – Ursula Linnhoff

Unsere Frau des Monats Februar: Ursula Linnhoff (geb. 1936, gest. am 10. Februar 2011)

Ursula Linnhoff wurde am 27. September 1936 in Wuppertal geboren. Sie starb am 10. Februar 2011. Sie war eine lesbische Sozialistische Feministin und arbeitete als Publizistin sowie freiberufliche entwicklungspolitische Gutachterin in Köln.

Ihren Todestag nehmen wir zum Anlass der Erinnerung an ihr feministisches Wirken in Köln und weit über Köln hinaus.   

1969 zog Ursula Linnhoff nach Köln und arbeitete im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit als entwicklungspolitische Gutachterin. Sie weilte zu längeren Aufenthalten in Südamerika und bezeichnete sich damals als Wissenschaftlerin im Staatsdienst. Nach wenigen Jahren der Berufstätigkeit begann sie, im Jahr 1971 an der Universität zu Köln Soziologie zu studieren und schied mit 35 Jahren – wie sie selbst in der e-f-a schrieb – “aus dem etablierten Berufsleben aus”. Sie wurde freie Expertin für Entwicklungshilfe, war in der Erwachsenenbildung und als Journalistin tätig.

Ab 1971 engagierte sie sich auch in der Neuen Frauenbewegung und stellte diesen politischen Zusammenhang als ihre wichtigste Identifikationsbasis dar. Zunächst war sie in einer eher bürgerlichen Gruppe, dem Frauenforum Köln e.V., aktiv. 1971 nahm sie jedoch dann an der Tagung der Radikalfeministinnen in Frankfurt am Main, dem Bundesfrauenkongress, teil, auf dem entschieden wurde, dass die Gruppen der Aktion 218-Gruppen Aktion 218 Köln zukünftig separat, d.h. ohne Männer, vorgehen sollten. Dieser Kongress am 11.-12. März 1972 markiert für einige ForscherInnen den Beginn der Neuen Frauenbewegung. 

1972 gründete Ursula Linnhoff dann in Köln gemeinsam mit anderen Frauen die Gruppe Sozialistisch-Feministische Aktion / SOFA Köln. Schwerpunkt dieser Organisation war die Auseinandersetzung mit dem herrschenden kapitalistischen und patriarchalen System und der Versuch, den Kampf gegen den Kapitalismus und gegen das Patriarchat zu vereinen. 

Im Redaktionskomitee der Zeitschrift e-f-a verantwortete Ursula Linnhoff mehrere Ausgaben und verfasste Artikel und Gedichte.

Mit ihrem 1974 in Köln bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Sammelband “Die neue Frauenbewegung. USA – Europa seit 1968” machte sie sowohl die wichtigsten Texte der Women’s Liberation zugänglich, die seit Mitte der 1960er Jahre erschienen waren, als auch Grundlagentexte bundesdeutscher, ideologisch unterschiedlich ausgerichteter Frauengruppen, u.a. der Kölner Frauengruppen S.O.F.A. und der radikalfeministischen Frauenbefreiungsaktion (FBA), in der circa 200 Frauen organisiert waren. Ziel der Publikation war es, die Neue Frauenbewegung als weltweites (westliches) Phänomen zu vermitteln und die unterschiedlichen theoretischen politischen Ansprüche, die verschiedenen Strategien und Praxen zu dokumentieren. 

Eine weitere politische Heimat war für sie die Homosexuellenemanzipationsbewegung. Als Sozialistin forderte sie ein allgemeinpolitisches Engagement von Lesben: “In dem Moment aber, wo die weiblichen Homosexuellen es fertigbringen, ihre Sozialisierungszwänge zu verlassen, in dem Moment werden auch sie für alle, die auf eine progressive Veränderung der Gesellschaft hinzielen, zu wertvollen Verbündeten. Damit ist dann die Sache der weiblichen Homosexuellen zu einem Faktor in einem übergreifenden, nicht mehr individuellen, sondern gesellschaftlichen Anliegen geworden” (e-f-a-, Jg. 1, 1973, H. 1, S. 17).

Ursula Linnhoff starb mit 75 Jahren. Sie ist auf dem Poppelsdorfer Friedhof in Bonn beerdigt.

In einem Nachruf auf sie aus dem Frauenarchiv FFBIZ in Berlin schrieb vermutlich dessen damalige Leiterin, Ursula Nienhaus, mit Bezug auf Linnhoffs Buch über Schriftstellerinnen und Kämpferinnen des 19. Jahrhunderts:

“Als wir 1978 das FFBIZ gründeten, konnten wir an solche, uns lebhaft vorgestellte weibliche Traditionen anknüpfen und dabei lernen, das (sic!) ‘Frauengeschichte’ und gender studies für nachfolgende Generationen besser bewahrt werden müssen.” 

Sie finden den Nachruf des FFBIZ auf Ursula Linnhoff im Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Artikels über Ursula Linnhof, den Irene Franken für das Frauen-Wiki des Kölner Frauengeschichtsvereins verfasst hat.